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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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sagen, "der Preuß ein gar so großer Pläner ist" und der Altbayer recht
wohl weiß, daß das Planentwerfen seine starke Seite nicht ausmacht. Der
Altbayer ist eben wenig kritischer Natur und wem er sein Vertrauen einmal
schenkt, dem schenkt er es voll und ganz und erwartet von ihm das Höchste
und Beste. Deswegen mußten 3 Tage nach dem Emser Telegramm schon
200,000 Preußen am Rhein stehen, und deswegen mußten sie auch Kugel¬
spritzen oder eine ähnliche Teufelei haben, und man machte die Leute entsetz¬
lich ärgerlich, wenn man solchen Ansichten widersprach. Dagegen hat auch
ein kleines Mißgeschick, wie das bei Saarbrücken, hier nicht den geringsten Ein¬
druck gemacht, obwohl die östreichischen Blätter, die einzigen auswärtigen,
die uns zugänglich geblieben sind, und selbst die "Augsburger allgemeine
Zeitung" nicht ermangelten, hieraus einen französischen Sieg zu formiren.
Nun, unser Vertrauen ist durch die beiden Siege von Weißenburg und Wörth
glänzend gerechtfertigt worden.

Die Nachricht von der Erstürmung der Weißenburger Linien traf uns
Freitag in aller Frühe, die meisten noch im Bette. Daß der Krieg von un¬
serer Seite mit so energischen und siegreichen Schlägen begonnen und von
Anfang an nach Frankreich hinübergespielt werden würde, war für viele
hier, namentlich von der älteren Generation, ein Gedanke, zu dem sie sich
schwer emporschwingen konnten. Denn in den meisten Süddeutschen steckt
doch als Folge unserer traurigen Geschichte und der Kleinstaaterei ein ge¬
wisser Kleinglaube, der nur nach einem "reinigenden" Nationalunglück auf den
endlichen Sieg Deutschlands zu hoffen wagt, an einen kecken, frischen An¬
griffskrieg aber nicht zu glauben vermag. Die Erstürmung Weißenburgs
hat viele Spuren einer vergangenen unglücklichen Periode in unseren "alten
Herrn" ausgetilgt. Die jüngere Generation hatte sich ja längst in die
Früchte des Jahres 66 eingelebt.

Der Sieg von Wörth vollends verschaffte uns den festlichsten aller
königlich bayrischen Sonntage; und als dann auch die handgreiflichen Beweise
anlangten, die ersten gefangenen Franzosen, da war alle gute Laune der
Dult über die ungeduldig harrenden Schaaren am Bahnhofe ausgegossen
und auf die armen Burschen regnete es deutsches Bier so dicht herab wie vor
wenig Tagen deutsche Hiebe.




Berliner Briefe.
III.

In den Tagen der Erwartung soll nicht schweigen, wer da Hoffnung
hat; da ist es wohlgethan, wider die Zweifler zu streiten und den Zaghaften


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sagen, „der Preuß ein gar so großer Pläner ist" und der Altbayer recht
wohl weiß, daß das Planentwerfen seine starke Seite nicht ausmacht. Der
Altbayer ist eben wenig kritischer Natur und wem er sein Vertrauen einmal
schenkt, dem schenkt er es voll und ganz und erwartet von ihm das Höchste
und Beste. Deswegen mußten 3 Tage nach dem Emser Telegramm schon
200,000 Preußen am Rhein stehen, und deswegen mußten sie auch Kugel¬
spritzen oder eine ähnliche Teufelei haben, und man machte die Leute entsetz¬
lich ärgerlich, wenn man solchen Ansichten widersprach. Dagegen hat auch
ein kleines Mißgeschick, wie das bei Saarbrücken, hier nicht den geringsten Ein¬
druck gemacht, obwohl die östreichischen Blätter, die einzigen auswärtigen,
die uns zugänglich geblieben sind, und selbst die „Augsburger allgemeine
Zeitung" nicht ermangelten, hieraus einen französischen Sieg zu formiren.
Nun, unser Vertrauen ist durch die beiden Siege von Weißenburg und Wörth
glänzend gerechtfertigt worden.

Die Nachricht von der Erstürmung der Weißenburger Linien traf uns
Freitag in aller Frühe, die meisten noch im Bette. Daß der Krieg von un¬
serer Seite mit so energischen und siegreichen Schlägen begonnen und von
Anfang an nach Frankreich hinübergespielt werden würde, war für viele
hier, namentlich von der älteren Generation, ein Gedanke, zu dem sie sich
schwer emporschwingen konnten. Denn in den meisten Süddeutschen steckt
doch als Folge unserer traurigen Geschichte und der Kleinstaaterei ein ge¬
wisser Kleinglaube, der nur nach einem „reinigenden" Nationalunglück auf den
endlichen Sieg Deutschlands zu hoffen wagt, an einen kecken, frischen An¬
griffskrieg aber nicht zu glauben vermag. Die Erstürmung Weißenburgs
hat viele Spuren einer vergangenen unglücklichen Periode in unseren „alten
Herrn" ausgetilgt. Die jüngere Generation hatte sich ja längst in die
Früchte des Jahres 66 eingelebt.

Der Sieg von Wörth vollends verschaffte uns den festlichsten aller
königlich bayrischen Sonntage; und als dann auch die handgreiflichen Beweise
anlangten, die ersten gefangenen Franzosen, da war alle gute Laune der
Dult über die ungeduldig harrenden Schaaren am Bahnhofe ausgegossen
und auf die armen Burschen regnete es deutsches Bier so dicht herab wie vor
wenig Tagen deutsche Hiebe.




Berliner Briefe.
III.

In den Tagen der Erwartung soll nicht schweigen, wer da Hoffnung
hat; da ist es wohlgethan, wider die Zweifler zu streiten und den Zaghaften


37*
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[0291] sagen, „der Preuß ein gar so großer Pläner ist" und der Altbayer recht wohl weiß, daß das Planentwerfen seine starke Seite nicht ausmacht. Der Altbayer ist eben wenig kritischer Natur und wem er sein Vertrauen einmal schenkt, dem schenkt er es voll und ganz und erwartet von ihm das Höchste und Beste. Deswegen mußten 3 Tage nach dem Emser Telegramm schon 200,000 Preußen am Rhein stehen, und deswegen mußten sie auch Kugel¬ spritzen oder eine ähnliche Teufelei haben, und man machte die Leute entsetz¬ lich ärgerlich, wenn man solchen Ansichten widersprach. Dagegen hat auch ein kleines Mißgeschick, wie das bei Saarbrücken, hier nicht den geringsten Ein¬ druck gemacht, obwohl die östreichischen Blätter, die einzigen auswärtigen, die uns zugänglich geblieben sind, und selbst die „Augsburger allgemeine Zeitung" nicht ermangelten, hieraus einen französischen Sieg zu formiren. Nun, unser Vertrauen ist durch die beiden Siege von Weißenburg und Wörth glänzend gerechtfertigt worden. Die Nachricht von der Erstürmung der Weißenburger Linien traf uns Freitag in aller Frühe, die meisten noch im Bette. Daß der Krieg von un¬ serer Seite mit so energischen und siegreichen Schlägen begonnen und von Anfang an nach Frankreich hinübergespielt werden würde, war für viele hier, namentlich von der älteren Generation, ein Gedanke, zu dem sie sich schwer emporschwingen konnten. Denn in den meisten Süddeutschen steckt doch als Folge unserer traurigen Geschichte und der Kleinstaaterei ein ge¬ wisser Kleinglaube, der nur nach einem „reinigenden" Nationalunglück auf den endlichen Sieg Deutschlands zu hoffen wagt, an einen kecken, frischen An¬ griffskrieg aber nicht zu glauben vermag. Die Erstürmung Weißenburgs hat viele Spuren einer vergangenen unglücklichen Periode in unseren „alten Herrn" ausgetilgt. Die jüngere Generation hatte sich ja längst in die Früchte des Jahres 66 eingelebt. Der Sieg von Wörth vollends verschaffte uns den festlichsten aller königlich bayrischen Sonntage; und als dann auch die handgreiflichen Beweise anlangten, die ersten gefangenen Franzosen, da war alle gute Laune der Dult über die ungeduldig harrenden Schaaren am Bahnhofe ausgegossen und auf die armen Burschen regnete es deutsches Bier so dicht herab wie vor wenig Tagen deutsche Hiebe. Berliner Briefe. III. In den Tagen der Erwartung soll nicht schweigen, wer da Hoffnung hat; da ist es wohlgethan, wider die Zweifler zu streiten und den Zaghaften 37*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/291>, abgerufen am 26.06.2024.