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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Bestandtheile der "patriotischen" Partei ihr Handwerk, soweit es gegen Preußen
gerichtet ist, theils in der Ueberzeugung von der völligen Hoffnungslosigkeit,
zum größeren Theil aber in der Umkehr zum Bessern, bis auf Weiteres ein¬
gestellt haben.

Zu den letzteren darf man wohl auch den katholischen Clerus zählen.
Mag immerhin ein wahnwitziger Mönch den Soldaten im Lager auf dem
Lechfelde gepredigt haben, nicht auf die Franzosen, ihre katholischen Mit¬
brüder, zu schießen, ich kann es nicht glauben, daß in dem Erlaß des Erz-
bischofs von München, der die Geistlichkeit allenthalben zur Erweckung der
wahren Vaterlandsliebe und Opferwilligkeit auffordert, daß in dem tiefen,
ernsten Klang der Se. Benno-Glocke. die die Gläubigen täglich zum Gebet
für den Sieg unserer Waffen in die erzbischöfliche Kathedrale ruft, so falsche,
unreine Töne enthalten sein sollen. Wie lange allerdings diese günstige
Stimmung bei den Patrioten anhalten, ob sie auch nur eine vorübergehende
Niederlage überdauern wird, ist eine andere Frage. Am meisten fürchtet
man in dieser Beziehung den Einfluß Oestreichs, dessen Bestreben nach hiesiger
Auffassung dahin geht, seine Hände wieder in die deutschen Angelegenheiten
zu bekommen. Wenn es uns im Fall einer großen Niederlage Preußens
eine Neutralität von Frankreich zu erwirken verstände, so würden unsere
Patrioten wohl kaum lange anstehen, dieselbe unter dem Protektorat Oestreichs
anzunehmen und die lang ersehnte Hegemonie über die Südstaaten wäre
wieder begründet. Wir fürchten daher hier nichts so sehr, als patronisirende
Freundschaft der Oestreicher, die uns den Keim zur Sprengung der gegen¬
wärtigen glücklichen Partei-Coalition zu erhalten scheint. Es wird die schwierigste
und bedeutendste Aufgabe der nationalen Partei in Bayern sein, den Theil
der Patrioten, der durch den Gang der Ereignisse der deutschen Sache zuge¬
führt worden ist, auch in gefährlichen Krisen bei dieser Fahne zu erhalten, und
zu verhindern, daß in solchen Tagen die Stimme der Unverbesserlichen, die
offenbar nur auf eine erste Niederlage warten, irgendwie Geltung erlange.

Wie sich doch die öffentliche Meinung im Laufe von ein paar Jahren
so völlig ändern kann! Noch im Jahre 1866 dachte sich der gewöhnliche
Altbayer jeden Preußen als Windbeutel, als Schwätzer, der nur im Reno-
miren Großes leistet, sich selbst in allen Stücken ihm für überlegen. Mit
"Schneidergeselle" glaubt" er ihn am besten charakterifirt zu haben. Und jetzt
ein Vertrauen aus die Umsicht und die Führung Preußens, das nicht größer
sein könnte, wenn auch diesem Staat die Allmacht Gottes zur Verfügung
stände. Zwar in Bezug auf die persönliche Tapferkeit hat er sich den Vor¬
zug noch immer stillschweigend reservirt, denn hierin von Jemandem über¬
troffen zu werden, hält er für rein unmöglich, aber der Leitung Preußens
ordnet er sich willig, ja mit wahrer Freude unter, weil, wie die Leute hier


Bestandtheile der „patriotischen" Partei ihr Handwerk, soweit es gegen Preußen
gerichtet ist, theils in der Ueberzeugung von der völligen Hoffnungslosigkeit,
zum größeren Theil aber in der Umkehr zum Bessern, bis auf Weiteres ein¬
gestellt haben.

Zu den letzteren darf man wohl auch den katholischen Clerus zählen.
Mag immerhin ein wahnwitziger Mönch den Soldaten im Lager auf dem
Lechfelde gepredigt haben, nicht auf die Franzosen, ihre katholischen Mit¬
brüder, zu schießen, ich kann es nicht glauben, daß in dem Erlaß des Erz-
bischofs von München, der die Geistlichkeit allenthalben zur Erweckung der
wahren Vaterlandsliebe und Opferwilligkeit auffordert, daß in dem tiefen,
ernsten Klang der Se. Benno-Glocke. die die Gläubigen täglich zum Gebet
für den Sieg unserer Waffen in die erzbischöfliche Kathedrale ruft, so falsche,
unreine Töne enthalten sein sollen. Wie lange allerdings diese günstige
Stimmung bei den Patrioten anhalten, ob sie auch nur eine vorübergehende
Niederlage überdauern wird, ist eine andere Frage. Am meisten fürchtet
man in dieser Beziehung den Einfluß Oestreichs, dessen Bestreben nach hiesiger
Auffassung dahin geht, seine Hände wieder in die deutschen Angelegenheiten
zu bekommen. Wenn es uns im Fall einer großen Niederlage Preußens
eine Neutralität von Frankreich zu erwirken verstände, so würden unsere
Patrioten wohl kaum lange anstehen, dieselbe unter dem Protektorat Oestreichs
anzunehmen und die lang ersehnte Hegemonie über die Südstaaten wäre
wieder begründet. Wir fürchten daher hier nichts so sehr, als patronisirende
Freundschaft der Oestreicher, die uns den Keim zur Sprengung der gegen¬
wärtigen glücklichen Partei-Coalition zu erhalten scheint. Es wird die schwierigste
und bedeutendste Aufgabe der nationalen Partei in Bayern sein, den Theil
der Patrioten, der durch den Gang der Ereignisse der deutschen Sache zuge¬
führt worden ist, auch in gefährlichen Krisen bei dieser Fahne zu erhalten, und
zu verhindern, daß in solchen Tagen die Stimme der Unverbesserlichen, die
offenbar nur auf eine erste Niederlage warten, irgendwie Geltung erlange.

Wie sich doch die öffentliche Meinung im Laufe von ein paar Jahren
so völlig ändern kann! Noch im Jahre 1866 dachte sich der gewöhnliche
Altbayer jeden Preußen als Windbeutel, als Schwätzer, der nur im Reno-
miren Großes leistet, sich selbst in allen Stücken ihm für überlegen. Mit
„Schneidergeselle" glaubt« er ihn am besten charakterifirt zu haben. Und jetzt
ein Vertrauen aus die Umsicht und die Führung Preußens, das nicht größer
sein könnte, wenn auch diesem Staat die Allmacht Gottes zur Verfügung
stände. Zwar in Bezug auf die persönliche Tapferkeit hat er sich den Vor¬
zug noch immer stillschweigend reservirt, denn hierin von Jemandem über¬
troffen zu werden, hält er für rein unmöglich, aber der Leitung Preußens
ordnet er sich willig, ja mit wahrer Freude unter, weil, wie die Leute hier


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/290>, abgerufen am 26.06.2024.