Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.und bis Ende Juni noch nicht beendet werden konnten, erscheint das Resultat, Grenzboten III. 1870. 37
und bis Ende Juni noch nicht beendet werden konnten, erscheint das Resultat, Grenzboten III. 1870. 37
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und bis Ende Juni noch nicht beendet werden konnten, erscheint das Resultat,
das die neue Wehrverfassung geliefert hat, immerhin ein Staunenswerthes.
In weniger als 14 Tagen war die Mobilisirung beendet, die Truppen an
den Rhein geschickt, und wenn einzelne norddeutsche Abtheilungen noch früher
fertig werden konnten, so haben sie ihren eigenen Mobilisirungs-Kalender
übertroffen. Allerdings hätte man in etwa der Hälfte der Zeit marschbereit
dastehen können, wenn wir in Bayern, wie dies im norddeutschen Bund der
Fall sein soll, ein Pferde-Expropriations- und Conscriptions-Gesetz hätten.
In Ermangelung dessen mußte jedes Pferd durch ein Privat-Kaufgeschäft
erworben werden und selbst dieser Weg war durch einen besonderen Umstand
im Augenblick erschwert. Im Jahre 1866 hatten sich die Juden sämmtlicher
Pferdelieferungen an den Staat zu bemächtigen gewußt und einen enormen
Profit daraus gezogen. Diesmal dagegen waren alle Pferdebesitzer, wenigstens
im südlichen Bayern, darüber einig, kein Pferd mehr an jüdische Unterhändler
abzulassen, sondern selbst am Markt zu erscheinen. So wenig man ihnen dies
verargen kann, so hat doch hierdurch — denn bis der altbayrtsche Bauer
sich entschließt, nach München oder Augsburg zu reiten, und an jedem Wirths¬
haus am Weg glücklich vorbeigekommen ist, vergeht immerhin einige Zeit —
der Pferdehandel an Concentration und Schnelligkeit verloren, und in den
ersten Tagen der Mobilisirung wurden daher sehr wenig Pferde vorgeführt. —
Abgesehen von dem beschleunigten Verlauf der Mobilisirung ist mir gegen¬
über den Vorkommnissen des Jahres 1866 noch ein weiterer Punkt angenehm
aufgefallen. Damals waren fast alle Truppen, die ich einquartieren sah,
schmählich betrunken, und eine Folge hiervon war, daß die Leute mit einem
physischen und moralischen Katzenjammer auf dem Kriegsschauplatz erschienen.
Diesmal habe ich dergleichen nicht gesehen. Man hat die Klugheit gehabt,
den Soldaten die Zeit des Abzuges erst ganz kurz vor demselben bekannt zu
geben, und wenn der Ausmarsch hierdurch auch um einige dramatische Ab¬
schiedsscenen gekommen ist, so hat er gegen früher an Ordnung und Ruhe
um so mehr gewonnen. Die Truppen wurden in kleinen Abtheilungen still
und ruhig durch die Stadt geführt, man wußte nicht recht, ob zum Exercieren
oder schon zur Abreise. Indessen ist unsere Hauptstadt ungemein ruhig, fast
öde geworden. Keine Durchzüge fremder Truppen, keine Einquartierung —
nichts, was an den Krieg erinnert. Selbst die Prüfe der Lebensmittel sind
fast die gleichen geblieben wie früher. Die öffentliche Meinung, nicht mehr
durch die undeutschen Hetzereien der ultramontanen Blätter zu gewaltsamen
Ausbrüchen gereizt, hat ebenfalls das Gleichgewicht wiedergewonnen und
ist ruhig und vertrauend geworden, seit der innere Friede errungen ist. Es
kann wohl mit Bestimmtheit behauptet werden, daß selbst die prononcirtesten
Grenzboten III. 1870. 37
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