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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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die Bevölkerung brachte, welche ihm eine rührende Anhänglichkeit widmete.
Ein dem deutschen Reiche zugerechnetes Fürstenthum war noch einmal der
französischen Herrschaft entrückt.

Merkwürdig aber, wie schon bald aus jenen Beziehungen des französi¬
schen Hauses zu Habsburg, welche auch nach der Zeit der Verbannung fort¬
dauerten, zwei Resultate hervorgingen, scheinbar ganz entgegengesetzter Natur
und doch eng mit einander zusammenhängend -- die Einverleibung Lothrin¬
gens in Frankreich auf der einen Seite, auf der andern die Gelangung des
lothringischen Herzogsgeschlechtes zur römisch-deutschen Kaisnwürde sowie an
die Spitze der großen österreichischen Hausmacht. Man weiß, in welcher
Spannung während der Zwanziger- und ersten Dreißiger-Jahre des vorigen
Jahrhunderts das ganze Europa durch die Frage gehalten wurde, wer mit
der Hand Maria Thercsiens, der ältesten Tochter Kaiser Karls VI., die Aus¬
sicht gewinnen würde auf den Mitbesitz der ausgedehnten Habsburgischen Erb¬
staaten und auf den Gewinn der römisch-deutschen Kaiserkrone, die von dieser
Habsburgischen Hausmacht sich getrennt zu denken schwer fiel. Das nahe Ver¬
hältniß zwischen dem Wiener Hof und den Lothringern, der Aufenthalt des
jungen Herzogs Franz Joseph in den Landen und der Umgebung Karls VI>,
die wachsende Zuneigung der Prinzessin selbst zu dem schönen, liebenswürdi¬
gen Manne lenkten die Wahl auf diesen. Sofort aber faßte die Regierung
Ludwigs XV., unter Leitung des alten stillehrgeizigen Cardinal Fleury, ihren
Entschluß. Hatte man bisher das Herzogthum bestehen lassen, zu¬
frieden damit, daß man sich im Stande fühlte, es wehrlos zu machen so¬
bald es hätte gefährlich werden können, -- hatte man namentlich auch seinen
nomineller Zusammenhang mit dem deutschen Reiche ohne Eifersucht fort¬
gelten lassen -- jetzt glaubte man auf Neues sinnen zu müssen. Wurde das
Land mit der Habsburgischen Hausmacht -- nach damaliger Franzosen-Ansicht
der Erb - Feindin Frankreichs -- vereinigt, so bildete es für diese einen vorge¬
schobenen Posten, durch welchen sie bis in die Nähe von Frankreichs Herz¬
landen reichte. Es war abzunehmen, daß dann nicht so rasch wie bisher bei
jeder drohenden Gefahr eine Occupation der Festungen, eine Ueberziehung des
Land-s, daß vielmehr von diesem Lande aus sehr gefährliche Angriffe auf
Frankreich möglich sein würden. So beschloß denn das französische Cabinet
Wandel zu schaffen. Es war verbündet mit dem spanischen Hofe, den die
Vereitelung seiner Hoffnung, die Hand Maria Theresiens für einen seiner
Prinzen erhalten, empfindlich gereizt hatte; Oestreich dagegen besaß seine
alten Verbindungen mit England und Holland. Es kam darauf an, Oest¬
reich in einer Frage zu fassen, von welcher sich diese Bundesgenossen nicht
berührt fühlen, auf welche sie ihren Verpflichtungen keine Ausdehnung geben
würden. Der Streit um die polnische Königskrone (1733) bot eine glückli-


die Bevölkerung brachte, welche ihm eine rührende Anhänglichkeit widmete.
Ein dem deutschen Reiche zugerechnetes Fürstenthum war noch einmal der
französischen Herrschaft entrückt.

Merkwürdig aber, wie schon bald aus jenen Beziehungen des französi¬
schen Hauses zu Habsburg, welche auch nach der Zeit der Verbannung fort¬
dauerten, zwei Resultate hervorgingen, scheinbar ganz entgegengesetzter Natur
und doch eng mit einander zusammenhängend — die Einverleibung Lothrin¬
gens in Frankreich auf der einen Seite, auf der andern die Gelangung des
lothringischen Herzogsgeschlechtes zur römisch-deutschen Kaisnwürde sowie an
die Spitze der großen österreichischen Hausmacht. Man weiß, in welcher
Spannung während der Zwanziger- und ersten Dreißiger-Jahre des vorigen
Jahrhunderts das ganze Europa durch die Frage gehalten wurde, wer mit
der Hand Maria Thercsiens, der ältesten Tochter Kaiser Karls VI., die Aus¬
sicht gewinnen würde auf den Mitbesitz der ausgedehnten Habsburgischen Erb¬
staaten und auf den Gewinn der römisch-deutschen Kaiserkrone, die von dieser
Habsburgischen Hausmacht sich getrennt zu denken schwer fiel. Das nahe Ver¬
hältniß zwischen dem Wiener Hof und den Lothringern, der Aufenthalt des
jungen Herzogs Franz Joseph in den Landen und der Umgebung Karls VI>,
die wachsende Zuneigung der Prinzessin selbst zu dem schönen, liebenswürdi¬
gen Manne lenkten die Wahl auf diesen. Sofort aber faßte die Regierung
Ludwigs XV., unter Leitung des alten stillehrgeizigen Cardinal Fleury, ihren
Entschluß. Hatte man bisher das Herzogthum bestehen lassen, zu¬
frieden damit, daß man sich im Stande fühlte, es wehrlos zu machen so¬
bald es hätte gefährlich werden können, — hatte man namentlich auch seinen
nomineller Zusammenhang mit dem deutschen Reiche ohne Eifersucht fort¬
gelten lassen — jetzt glaubte man auf Neues sinnen zu müssen. Wurde das
Land mit der Habsburgischen Hausmacht — nach damaliger Franzosen-Ansicht
der Erb - Feindin Frankreichs — vereinigt, so bildete es für diese einen vorge¬
schobenen Posten, durch welchen sie bis in die Nähe von Frankreichs Herz¬
landen reichte. Es war abzunehmen, daß dann nicht so rasch wie bisher bei
jeder drohenden Gefahr eine Occupation der Festungen, eine Ueberziehung des
Land-s, daß vielmehr von diesem Lande aus sehr gefährliche Angriffe auf
Frankreich möglich sein würden. So beschloß denn das französische Cabinet
Wandel zu schaffen. Es war verbündet mit dem spanischen Hofe, den die
Vereitelung seiner Hoffnung, die Hand Maria Theresiens für einen seiner
Prinzen erhalten, empfindlich gereizt hatte; Oestreich dagegen besaß seine
alten Verbindungen mit England und Holland. Es kam darauf an, Oest¬
reich in einer Frage zu fassen, von welcher sich diese Bundesgenossen nicht
berührt fühlen, auf welche sie ihren Verpflichtungen keine Ausdehnung geben
würden. Der Streit um die polnische Königskrone (1733) bot eine glückli-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/286>, abgerufen am 26.06.2024.