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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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S00 Schweizern. Im Spätsommer 1681 sammelten sich französische Trup¬
pen in Lothringen, Elsaß und Burgund. Der König selbst begab sich in
die Nähe. Die unmittelbaren Vorbereitungen zu dem Hauptschlag aber
wurden in größter Heimlichkeit getroffen. Plötzlich, am 27. September, über¬
wältigte General Montclas die Schanzen vor der Stadt und schloß letztere
ein. Am nächsten Tage erschien der französische Kriegsminister Louvois in
dem Hauptquartier; gestützt auf den Ausspruch eines französischen Gerichts¬
hofes zu Brisach, forderte er Unterwerfung; für den Fall des Widerstandes
drohte er eine Behandlung an, wie der Rebell gegen den rechtmäßigen Herrn sie
verdiene. Es gab in der Stadt eine französische Faction, die sich um die Domherren
des bischöflichen Capitels gesammelt; in der Masse der Bürgerschaft aber war
keinerlei Neigung, die Stellung freier reichstädtischer Bürger mit dem Unter¬
thanengehorsam gegen den französischen König zu vertauschen. Nur freilich, welch'
ein Wunder hätte geschehen müssen, um unter damaligen Umständen den Ent¬
schluß, es aufs Aeußerste ankommen zu lassen, zu Wege zu bringen! Die Zeit, wo
die Bürgerschaft einer Stadt, ganz auf sich selbst gestellt, Kaisern und Köni¬
gen trotzen mochte, war längst vorüber. Von den waffenfähigen Bürgern
waren kürzlich viele durch eine Epidemie hingerafft worden, andere wurden
durch die eben im Gange befindliche Frankfurter Messe von der Heimath
ferngehalten. Hilfe von außenher aber -- etwa die Reichshilfe, die der kai¬
serliche Resident in Aussicht stellte -- wer hätte sich wirklich mit der Hoff¬
nung auf ihr rechtzeitiges Eintreffen schmeicheln dürfen? Der Magistrat
dachte an keine Vertheidigung; absichtlich ließ er die Kanonen auf den Wäl¬
len ohne Munition. Die zusammenberufenen Schöffen der Zünfte erkannten
die Unmöglichkeit der Gegenwehr an, und knirschend vor Zorn fügten sich
die Bürger in das Unvermeidliche. Es kam zur Capitulation. Innere Ver¬
fassung, Besitzthümer, auch die freie Ausübung der evangelischen Religion
wurde der Einwohnerschaft gewährleistet; freilich, sowie das Zeughaus dem
König, so mußte der herrliche Münster dem Bischof ausgeliefert werden,
welcher, einem deutschen Grafengeschlechte entsprossen, den einziehenden fran¬
zösischen König mit dem Ausrufe empfing: Herr nun lässest Du Deinen
Diener in Frieden fahren!

So zahlreiche Uebergciffe Ludwigs XIV. damals Schlag auf Schlag
einander folgend Europa in Athem setzten, -- das Schicksal der bedeutend¬
sten Stadt des Oberrheins übte doch Eindruck genug, um einen Entrüstungs-
schrei von ganz besonderer Stärke hervorzurufen. Zu einer kräftigen That
kam es nicht. Einleitungen wurden wohl getroffen, Bündnisse verabredet,
über eine neue Regulirung der Neichskriegsv?rfassung auf dem Reichstage
berathen. Plötzlich nahm der große Zug der Türken gegen Wien fast alle
Aufmerksamkeit und Kraft in Anspruch; und wie sich an die Zurückiverfung


S00 Schweizern. Im Spätsommer 1681 sammelten sich französische Trup¬
pen in Lothringen, Elsaß und Burgund. Der König selbst begab sich in
die Nähe. Die unmittelbaren Vorbereitungen zu dem Hauptschlag aber
wurden in größter Heimlichkeit getroffen. Plötzlich, am 27. September, über¬
wältigte General Montclas die Schanzen vor der Stadt und schloß letztere
ein. Am nächsten Tage erschien der französische Kriegsminister Louvois in
dem Hauptquartier; gestützt auf den Ausspruch eines französischen Gerichts¬
hofes zu Brisach, forderte er Unterwerfung; für den Fall des Widerstandes
drohte er eine Behandlung an, wie der Rebell gegen den rechtmäßigen Herrn sie
verdiene. Es gab in der Stadt eine französische Faction, die sich um die Domherren
des bischöflichen Capitels gesammelt; in der Masse der Bürgerschaft aber war
keinerlei Neigung, die Stellung freier reichstädtischer Bürger mit dem Unter¬
thanengehorsam gegen den französischen König zu vertauschen. Nur freilich, welch'
ein Wunder hätte geschehen müssen, um unter damaligen Umständen den Ent¬
schluß, es aufs Aeußerste ankommen zu lassen, zu Wege zu bringen! Die Zeit, wo
die Bürgerschaft einer Stadt, ganz auf sich selbst gestellt, Kaisern und Köni¬
gen trotzen mochte, war längst vorüber. Von den waffenfähigen Bürgern
waren kürzlich viele durch eine Epidemie hingerafft worden, andere wurden
durch die eben im Gange befindliche Frankfurter Messe von der Heimath
ferngehalten. Hilfe von außenher aber — etwa die Reichshilfe, die der kai¬
serliche Resident in Aussicht stellte — wer hätte sich wirklich mit der Hoff¬
nung auf ihr rechtzeitiges Eintreffen schmeicheln dürfen? Der Magistrat
dachte an keine Vertheidigung; absichtlich ließ er die Kanonen auf den Wäl¬
len ohne Munition. Die zusammenberufenen Schöffen der Zünfte erkannten
die Unmöglichkeit der Gegenwehr an, und knirschend vor Zorn fügten sich
die Bürger in das Unvermeidliche. Es kam zur Capitulation. Innere Ver¬
fassung, Besitzthümer, auch die freie Ausübung der evangelischen Religion
wurde der Einwohnerschaft gewährleistet; freilich, sowie das Zeughaus dem
König, so mußte der herrliche Münster dem Bischof ausgeliefert werden,
welcher, einem deutschen Grafengeschlechte entsprossen, den einziehenden fran¬
zösischen König mit dem Ausrufe empfing: Herr nun lässest Du Deinen
Diener in Frieden fahren!

So zahlreiche Uebergciffe Ludwigs XIV. damals Schlag auf Schlag
einander folgend Europa in Athem setzten, — das Schicksal der bedeutend¬
sten Stadt des Oberrheins übte doch Eindruck genug, um einen Entrüstungs-
schrei von ganz besonderer Stärke hervorzurufen. Zu einer kräftigen That
kam es nicht. Einleitungen wurden wohl getroffen, Bündnisse verabredet,
über eine neue Regulirung der Neichskriegsv?rfassung auf dem Reichstage
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[0284] S00 Schweizern. Im Spätsommer 1681 sammelten sich französische Trup¬ pen in Lothringen, Elsaß und Burgund. Der König selbst begab sich in die Nähe. Die unmittelbaren Vorbereitungen zu dem Hauptschlag aber wurden in größter Heimlichkeit getroffen. Plötzlich, am 27. September, über¬ wältigte General Montclas die Schanzen vor der Stadt und schloß letztere ein. Am nächsten Tage erschien der französische Kriegsminister Louvois in dem Hauptquartier; gestützt auf den Ausspruch eines französischen Gerichts¬ hofes zu Brisach, forderte er Unterwerfung; für den Fall des Widerstandes drohte er eine Behandlung an, wie der Rebell gegen den rechtmäßigen Herrn sie verdiene. Es gab in der Stadt eine französische Faction, die sich um die Domherren des bischöflichen Capitels gesammelt; in der Masse der Bürgerschaft aber war keinerlei Neigung, die Stellung freier reichstädtischer Bürger mit dem Unter¬ thanengehorsam gegen den französischen König zu vertauschen. Nur freilich, welch' ein Wunder hätte geschehen müssen, um unter damaligen Umständen den Ent¬ schluß, es aufs Aeußerste ankommen zu lassen, zu Wege zu bringen! Die Zeit, wo die Bürgerschaft einer Stadt, ganz auf sich selbst gestellt, Kaisern und Köni¬ gen trotzen mochte, war längst vorüber. Von den waffenfähigen Bürgern waren kürzlich viele durch eine Epidemie hingerafft worden, andere wurden durch die eben im Gange befindliche Frankfurter Messe von der Heimath ferngehalten. Hilfe von außenher aber — etwa die Reichshilfe, die der kai¬ serliche Resident in Aussicht stellte — wer hätte sich wirklich mit der Hoff¬ nung auf ihr rechtzeitiges Eintreffen schmeicheln dürfen? Der Magistrat dachte an keine Vertheidigung; absichtlich ließ er die Kanonen auf den Wäl¬ len ohne Munition. Die zusammenberufenen Schöffen der Zünfte erkannten die Unmöglichkeit der Gegenwehr an, und knirschend vor Zorn fügten sich die Bürger in das Unvermeidliche. Es kam zur Capitulation. Innere Ver¬ fassung, Besitzthümer, auch die freie Ausübung der evangelischen Religion wurde der Einwohnerschaft gewährleistet; freilich, sowie das Zeughaus dem König, so mußte der herrliche Münster dem Bischof ausgeliefert werden, welcher, einem deutschen Grafengeschlechte entsprossen, den einziehenden fran¬ zösischen König mit dem Ausrufe empfing: Herr nun lässest Du Deinen Diener in Frieden fahren! So zahlreiche Uebergciffe Ludwigs XIV. damals Schlag auf Schlag einander folgend Europa in Athem setzten, — das Schicksal der bedeutend¬ sten Stadt des Oberrheins übte doch Eindruck genug, um einen Entrüstungs- schrei von ganz besonderer Stärke hervorzurufen. Zu einer kräftigen That kam es nicht. Einleitungen wurden wohl getroffen, Bündnisse verabredet, über eine neue Regulirung der Neichskriegsv?rfassung auf dem Reichstage berathen. Plötzlich nahm der große Zug der Türken gegen Wien fast alle Aufmerksamkeit und Kraft in Anspruch; und wie sich an die Zurückiverfung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/284>, abgerufen am 26.06.2024.