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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Verhandlung nachdrücklich hervorgehoben: nur was man selbst besessen, könne
man dem französischen Könige abtreten. In der That wahrte auch eine
Clausel des Friedensinstrumentes die Stellung und die Rechte der betreffen¬
den Reichsstände; eine andere Clausel sprach aber auch wieder von dem Ober¬
hoheitsrecht des französischen Königs in einer Weise, daß beide Clauseln für
deutsche und französische Juristen die trefflichsten Werkzeuge abgaben zu un-
absehlichen Gefechten. Thatsächlich, das versteht sich, gab schon bald Frank¬
reich, im Vollgefühl seiner Kraft gegenüber dem zersplitterten und zerklüfte¬
ten Deutschland, der ihm genehmen Auffassung Folge. Keineswegs fügten
sich die Betroffenen ohne Widerstand; Klagen liefen am Reichstage in Re¬
gensburg ein; aber es war ja die Zeit, wo die französische Fluth sich in
vollem Steigen befand -- die Zeit, wo sich unter französischer Protection
und wesentlich in französischem Interesse die "rheinische Allianz" weit nach
Deutschland hinein ausbreitete, die Zeit, wo vergeblich Friedrich Wilhelm
von Brandenburg der große Kurfürst dem "Ehrlichen Teutschen" zurief: Ge¬
denke, daß Du ein Teutscher bist! -- Wir verfolgen nicht durch alle Wendungen
und Windungen hindurch den Streit; wie er auslief, kann man sich denken.
Vollends als nach dem Frieden von Nymwegen (1678/9) das berüch¬
tigte Reunionswesen zu systematischer Ausbildung kam, geriethen auch
im Elsaß die Dinge in den kräftigsten Schwung. Allmälig wurden die zehn
Reichstädte doch, was sie nicht werden wollten -- französische Landstädte.
Mit den Fürsten kam es meist, mit dem einen früher, mit dem andern
später zu Particularverträgen, in denen sie etwa, um ihrer im Elsaß gelege¬
nen Besitzungen froh zu werden, eine gewisse Oberhoheit des französischen
Königs daselbst anzuerkennen sich verstanden.

Keiner aber unter all den Griffen und Schlägen, durch welche Ludwig XIV.
Derartiges erreichte, brachte solches Aufsehen hervor, -- keiner hat bis auf
den heutigen Tag sich so fest in dem Gedächtniß unseres Volkes bewahrt,
wie der auf Straßburg gerichtete. Nach dem kläglichen Scheitern des Ver¬
suchs zur Beschränkung der französischen Uebermacht, den das halbe Europa
in dem Kriege der Siebziger Jahre gemacht, traf der französische König
fast überall auf weiche' Gemüther. Zur Vollendung des großen Verthei-
digungsMems, durch welches er Frankreich gewissermaßen zu Einer gewalti¬
gen Festung zu machen bezweckte, wohlgeschützt gegen jeden Angriff und zu
den mannigfaltigsten Ausfällen gegen die Nachbarn geschickt -- hiefür war
ihm der Besitz Straßburgs von unschätzbarem Werthe. Man hatte Spur
von den Absichten des Königs; der Kaiser bot der freien Reichstadt eine
Besatzung an. Ludwig XIV. fordert? Zurückweisung derselben und die Stadt
wagte nicht, durch die Aufnahme den König zu reizen. Selbst die in ihrer
eigenen Pflicht stehenden Truppen dankte sie ab. mit Ausnahme von nur


36 *

Verhandlung nachdrücklich hervorgehoben: nur was man selbst besessen, könne
man dem französischen Könige abtreten. In der That wahrte auch eine
Clausel des Friedensinstrumentes die Stellung und die Rechte der betreffen¬
den Reichsstände; eine andere Clausel sprach aber auch wieder von dem Ober¬
hoheitsrecht des französischen Königs in einer Weise, daß beide Clauseln für
deutsche und französische Juristen die trefflichsten Werkzeuge abgaben zu un-
absehlichen Gefechten. Thatsächlich, das versteht sich, gab schon bald Frank¬
reich, im Vollgefühl seiner Kraft gegenüber dem zersplitterten und zerklüfte¬
ten Deutschland, der ihm genehmen Auffassung Folge. Keineswegs fügten
sich die Betroffenen ohne Widerstand; Klagen liefen am Reichstage in Re¬
gensburg ein; aber es war ja die Zeit, wo die französische Fluth sich in
vollem Steigen befand — die Zeit, wo sich unter französischer Protection
und wesentlich in französischem Interesse die „rheinische Allianz" weit nach
Deutschland hinein ausbreitete, die Zeit, wo vergeblich Friedrich Wilhelm
von Brandenburg der große Kurfürst dem „Ehrlichen Teutschen" zurief: Ge¬
denke, daß Du ein Teutscher bist! — Wir verfolgen nicht durch alle Wendungen
und Windungen hindurch den Streit; wie er auslief, kann man sich denken.
Vollends als nach dem Frieden von Nymwegen (1678/9) das berüch¬
tigte Reunionswesen zu systematischer Ausbildung kam, geriethen auch
im Elsaß die Dinge in den kräftigsten Schwung. Allmälig wurden die zehn
Reichstädte doch, was sie nicht werden wollten — französische Landstädte.
Mit den Fürsten kam es meist, mit dem einen früher, mit dem andern
später zu Particularverträgen, in denen sie etwa, um ihrer im Elsaß gelege¬
nen Besitzungen froh zu werden, eine gewisse Oberhoheit des französischen
Königs daselbst anzuerkennen sich verstanden.

Keiner aber unter all den Griffen und Schlägen, durch welche Ludwig XIV.
Derartiges erreichte, brachte solches Aufsehen hervor, — keiner hat bis auf
den heutigen Tag sich so fest in dem Gedächtniß unseres Volkes bewahrt,
wie der auf Straßburg gerichtete. Nach dem kläglichen Scheitern des Ver¬
suchs zur Beschränkung der französischen Uebermacht, den das halbe Europa
in dem Kriege der Siebziger Jahre gemacht, traf der französische König
fast überall auf weiche' Gemüther. Zur Vollendung des großen Verthei-
digungsMems, durch welches er Frankreich gewissermaßen zu Einer gewalti¬
gen Festung zu machen bezweckte, wohlgeschützt gegen jeden Angriff und zu
den mannigfaltigsten Ausfällen gegen die Nachbarn geschickt — hiefür war
ihm der Besitz Straßburgs von unschätzbarem Werthe. Man hatte Spur
von den Absichten des Königs; der Kaiser bot der freien Reichstadt eine
Besatzung an. Ludwig XIV. fordert? Zurückweisung derselben und die Stadt
wagte nicht, durch die Aufnahme den König zu reizen. Selbst die in ihrer
eigenen Pflicht stehenden Truppen dankte sie ab. mit Ausnahme von nur


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[0283] Verhandlung nachdrücklich hervorgehoben: nur was man selbst besessen, könne man dem französischen Könige abtreten. In der That wahrte auch eine Clausel des Friedensinstrumentes die Stellung und die Rechte der betreffen¬ den Reichsstände; eine andere Clausel sprach aber auch wieder von dem Ober¬ hoheitsrecht des französischen Königs in einer Weise, daß beide Clauseln für deutsche und französische Juristen die trefflichsten Werkzeuge abgaben zu un- absehlichen Gefechten. Thatsächlich, das versteht sich, gab schon bald Frank¬ reich, im Vollgefühl seiner Kraft gegenüber dem zersplitterten und zerklüfte¬ ten Deutschland, der ihm genehmen Auffassung Folge. Keineswegs fügten sich die Betroffenen ohne Widerstand; Klagen liefen am Reichstage in Re¬ gensburg ein; aber es war ja die Zeit, wo die französische Fluth sich in vollem Steigen befand — die Zeit, wo sich unter französischer Protection und wesentlich in französischem Interesse die „rheinische Allianz" weit nach Deutschland hinein ausbreitete, die Zeit, wo vergeblich Friedrich Wilhelm von Brandenburg der große Kurfürst dem „Ehrlichen Teutschen" zurief: Ge¬ denke, daß Du ein Teutscher bist! — Wir verfolgen nicht durch alle Wendungen und Windungen hindurch den Streit; wie er auslief, kann man sich denken. Vollends als nach dem Frieden von Nymwegen (1678/9) das berüch¬ tigte Reunionswesen zu systematischer Ausbildung kam, geriethen auch im Elsaß die Dinge in den kräftigsten Schwung. Allmälig wurden die zehn Reichstädte doch, was sie nicht werden wollten — französische Landstädte. Mit den Fürsten kam es meist, mit dem einen früher, mit dem andern später zu Particularverträgen, in denen sie etwa, um ihrer im Elsaß gelege¬ nen Besitzungen froh zu werden, eine gewisse Oberhoheit des französischen Königs daselbst anzuerkennen sich verstanden. Keiner aber unter all den Griffen und Schlägen, durch welche Ludwig XIV. Derartiges erreichte, brachte solches Aufsehen hervor, — keiner hat bis auf den heutigen Tag sich so fest in dem Gedächtniß unseres Volkes bewahrt, wie der auf Straßburg gerichtete. Nach dem kläglichen Scheitern des Ver¬ suchs zur Beschränkung der französischen Uebermacht, den das halbe Europa in dem Kriege der Siebziger Jahre gemacht, traf der französische König fast überall auf weiche' Gemüther. Zur Vollendung des großen Verthei- digungsMems, durch welches er Frankreich gewissermaßen zu Einer gewalti¬ gen Festung zu machen bezweckte, wohlgeschützt gegen jeden Angriff und zu den mannigfaltigsten Ausfällen gegen die Nachbarn geschickt — hiefür war ihm der Besitz Straßburgs von unschätzbarem Werthe. Man hatte Spur von den Absichten des Königs; der Kaiser bot der freien Reichstadt eine Besatzung an. Ludwig XIV. fordert? Zurückweisung derselben und die Stadt wagte nicht, durch die Aufnahme den König zu reizen. Selbst die in ihrer eigenen Pflicht stehenden Truppen dankte sie ab. mit Ausnahme von nur 36 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/283>, abgerufen am 26.06.2024.