Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hatte es Jahre hindurch, während es an Oestreichs Seite gegen Frankreich
zu Felde lag, von Frankreich allerhand Rücksichten und Lockungen erfahren.
In den wunderbaren Verschränkungen und Durchkreuzungen der Interessen,
wonach auf dem Friedenskongresse so oft dieselben Mächte, die in wichtigsten
Fragen zusammengingen und draußen im Feld noch gemeinsame Waffen
trugen, in gewissen Punkten einanderlebhaft entgegenarbeiteten, fand eine so
einheitliche, ihrer Ziele klar bewußte Diplomatie wie die französische überall
die trefflichsten Anknüpfungen. In thatsächlichem Besitze des Elsaß, fast des
ganzen linken Rheinufers, waren die Franzosen während der letzten Kriegs¬
jahre ohnehin, und wer hätte daran denken mögen, ihnen das Land zwischen
Rhein und Vogesen wieder zu entreißen.

Keinen Anstoß erregte es auch, daß der Elsaß, obschon er oft Krieg¬
schauplatz gewesen, doch von Rechtswegen einem Herrn gehörte, mit welchem
sich der französische König gar nicht in Krieg befunden. Den" nicht dem
Kaiser Ferdinand III., sondern einem Vetter desselben stand das Gebiet zu;
dieser Vetter, erst in den letzten Jahren des Krieges aus der Minderjährig¬
keit getreten, hatte an dem Kriege so gut wie keinen Antheil genommen.
Aber wenn die Schweden, indem sie ihre Entschädigungsansprüche an das
Reich überhaupt richteten, gar nicht danach fragten, wer dadurch außer Be¬
sitz oder um ein gutes Recht gebracht würde -- wie hätte man hier Be¬
denken tragen sollen, wo der Beraubte denn doch dem Hause und der näch¬
sten Verwandtschaft des Kaisers angehörte. Nur das setzte der Kaiser durch,
daß seinem Vetter von den Franzosen eine Geldabfindung -- nach langem
Markten stellte man sie auf 3 Millionen Livres fest -- geleistet werden mußte.

Was aber rücksichtlich dieser Abtretung eines durch und durch deutschen
Landes späterhin noch ein ganz besonderes Interesse erwecken, was der Quell
mannigfachen Streites und neuer Demüthigungen für Deutschland werden
sollte, das war die Frage nach ihrem, eigentlichen Inhalt und Umfang. Was
die Habsburger zwischen dem Rhein und den Vogesen besessen, hatten sie
innegehabt unter dem Titel: Landgrafen vom Elsaß, Grasen vom Sundgau
und Landvögte von Hagenau. Eine ziemliche Anzahl von Städten, Städt¬
chen und Dörfern gab es aber im Lande, auf welche sich die unter jenen
Titeln ausgeübten Rechte gar nicht oder doch nur in sehr beschränktem Maße
erstreckten. Neben Straßburg zählte man nicht weniger als zehn Städte, über
welche dem "Landvoigt von Hagenau" nur so begrenzte Befugnisse zustan¬
den, daß auch diese Städte dadurch nicht verhindert wurden, als freie Reichs¬
städte zu gelten. Es fanden sich noch außerdem kleine weltliche und geist¬
liche Herrschaften von reichsunmittelbarer Stellung; manches Stückchen Lan¬
des hing von einem Fürsten ab, welcher seinen Sitz und seine Hauptmacht
rechts vom Rheine hatte. Habsburgischerseits wurde denn in ter Friedens-


hatte es Jahre hindurch, während es an Oestreichs Seite gegen Frankreich
zu Felde lag, von Frankreich allerhand Rücksichten und Lockungen erfahren.
In den wunderbaren Verschränkungen und Durchkreuzungen der Interessen,
wonach auf dem Friedenskongresse so oft dieselben Mächte, die in wichtigsten
Fragen zusammengingen und draußen im Feld noch gemeinsame Waffen
trugen, in gewissen Punkten einanderlebhaft entgegenarbeiteten, fand eine so
einheitliche, ihrer Ziele klar bewußte Diplomatie wie die französische überall
die trefflichsten Anknüpfungen. In thatsächlichem Besitze des Elsaß, fast des
ganzen linken Rheinufers, waren die Franzosen während der letzten Kriegs¬
jahre ohnehin, und wer hätte daran denken mögen, ihnen das Land zwischen
Rhein und Vogesen wieder zu entreißen.

Keinen Anstoß erregte es auch, daß der Elsaß, obschon er oft Krieg¬
schauplatz gewesen, doch von Rechtswegen einem Herrn gehörte, mit welchem
sich der französische König gar nicht in Krieg befunden. Den» nicht dem
Kaiser Ferdinand III., sondern einem Vetter desselben stand das Gebiet zu;
dieser Vetter, erst in den letzten Jahren des Krieges aus der Minderjährig¬
keit getreten, hatte an dem Kriege so gut wie keinen Antheil genommen.
Aber wenn die Schweden, indem sie ihre Entschädigungsansprüche an das
Reich überhaupt richteten, gar nicht danach fragten, wer dadurch außer Be¬
sitz oder um ein gutes Recht gebracht würde — wie hätte man hier Be¬
denken tragen sollen, wo der Beraubte denn doch dem Hause und der näch¬
sten Verwandtschaft des Kaisers angehörte. Nur das setzte der Kaiser durch,
daß seinem Vetter von den Franzosen eine Geldabfindung — nach langem
Markten stellte man sie auf 3 Millionen Livres fest — geleistet werden mußte.

Was aber rücksichtlich dieser Abtretung eines durch und durch deutschen
Landes späterhin noch ein ganz besonderes Interesse erwecken, was der Quell
mannigfachen Streites und neuer Demüthigungen für Deutschland werden
sollte, das war die Frage nach ihrem, eigentlichen Inhalt und Umfang. Was
die Habsburger zwischen dem Rhein und den Vogesen besessen, hatten sie
innegehabt unter dem Titel: Landgrafen vom Elsaß, Grasen vom Sundgau
und Landvögte von Hagenau. Eine ziemliche Anzahl von Städten, Städt¬
chen und Dörfern gab es aber im Lande, auf welche sich die unter jenen
Titeln ausgeübten Rechte gar nicht oder doch nur in sehr beschränktem Maße
erstreckten. Neben Straßburg zählte man nicht weniger als zehn Städte, über
welche dem „Landvoigt von Hagenau" nur so begrenzte Befugnisse zustan¬
den, daß auch diese Städte dadurch nicht verhindert wurden, als freie Reichs¬
städte zu gelten. Es fanden sich noch außerdem kleine weltliche und geist¬
liche Herrschaften von reichsunmittelbarer Stellung; manches Stückchen Lan¬
des hing von einem Fürsten ab, welcher seinen Sitz und seine Hauptmacht
rechts vom Rheine hatte. Habsburgischerseits wurde denn in ter Friedens-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0282" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124432"/>
          <p xml:id="ID_817" prev="#ID_816"> hatte es Jahre hindurch, während es an Oestreichs Seite gegen Frankreich<lb/>
zu Felde lag, von Frankreich allerhand Rücksichten und Lockungen erfahren.<lb/>
In den wunderbaren Verschränkungen und Durchkreuzungen der Interessen,<lb/>
wonach auf dem Friedenskongresse so oft dieselben Mächte, die in wichtigsten<lb/>
Fragen zusammengingen und draußen im Feld noch gemeinsame Waffen<lb/>
trugen, in gewissen Punkten einanderlebhaft entgegenarbeiteten, fand eine so<lb/>
einheitliche, ihrer Ziele klar bewußte Diplomatie wie die französische überall<lb/>
die trefflichsten Anknüpfungen. In thatsächlichem Besitze des Elsaß, fast des<lb/>
ganzen linken Rheinufers, waren die Franzosen während der letzten Kriegs¬<lb/>
jahre ohnehin, und wer hätte daran denken mögen, ihnen das Land zwischen<lb/>
Rhein und Vogesen wieder zu entreißen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_818"> Keinen Anstoß erregte es auch, daß der Elsaß, obschon er oft Krieg¬<lb/>
schauplatz gewesen, doch von Rechtswegen einem Herrn gehörte, mit welchem<lb/>
sich der französische König gar nicht in Krieg befunden. Den» nicht dem<lb/>
Kaiser Ferdinand III., sondern einem Vetter desselben stand das Gebiet zu;<lb/>
dieser Vetter, erst in den letzten Jahren des Krieges aus der Minderjährig¬<lb/>
keit getreten, hatte an dem Kriege so gut wie keinen Antheil genommen.<lb/>
Aber wenn die Schweden, indem sie ihre Entschädigungsansprüche an das<lb/>
Reich überhaupt richteten, gar nicht danach fragten, wer dadurch außer Be¬<lb/>
sitz oder um ein gutes Recht gebracht würde &#x2014; wie hätte man hier Be¬<lb/>
denken tragen sollen, wo der Beraubte denn doch dem Hause und der näch¬<lb/>
sten Verwandtschaft des Kaisers angehörte. Nur das setzte der Kaiser durch,<lb/>
daß seinem Vetter von den Franzosen eine Geldabfindung &#x2014; nach langem<lb/>
Markten stellte man sie auf 3 Millionen Livres fest &#x2014; geleistet werden mußte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_819" next="#ID_820"> Was aber rücksichtlich dieser Abtretung eines durch und durch deutschen<lb/>
Landes späterhin noch ein ganz besonderes Interesse erwecken, was der Quell<lb/>
mannigfachen Streites und neuer Demüthigungen für Deutschland werden<lb/>
sollte, das war die Frage nach ihrem, eigentlichen Inhalt und Umfang. Was<lb/>
die Habsburger zwischen dem Rhein und den Vogesen besessen, hatten sie<lb/>
innegehabt unter dem Titel: Landgrafen vom Elsaß, Grasen vom Sundgau<lb/>
und Landvögte von Hagenau. Eine ziemliche Anzahl von Städten, Städt¬<lb/>
chen und Dörfern gab es aber im Lande, auf welche sich die unter jenen<lb/>
Titeln ausgeübten Rechte gar nicht oder doch nur in sehr beschränktem Maße<lb/>
erstreckten. Neben Straßburg zählte man nicht weniger als zehn Städte, über<lb/>
welche dem &#x201E;Landvoigt von Hagenau" nur so begrenzte Befugnisse zustan¬<lb/>
den, daß auch diese Städte dadurch nicht verhindert wurden, als freie Reichs¬<lb/>
städte zu gelten. Es fanden sich noch außerdem kleine weltliche und geist¬<lb/>
liche Herrschaften von reichsunmittelbarer Stellung; manches Stückchen Lan¬<lb/>
des hing von einem Fürsten ab, welcher seinen Sitz und seine Hauptmacht<lb/>
rechts vom Rheine hatte.  Habsburgischerseits wurde denn in ter Friedens-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0282] hatte es Jahre hindurch, während es an Oestreichs Seite gegen Frankreich zu Felde lag, von Frankreich allerhand Rücksichten und Lockungen erfahren. In den wunderbaren Verschränkungen und Durchkreuzungen der Interessen, wonach auf dem Friedenskongresse so oft dieselben Mächte, die in wichtigsten Fragen zusammengingen und draußen im Feld noch gemeinsame Waffen trugen, in gewissen Punkten einanderlebhaft entgegenarbeiteten, fand eine so einheitliche, ihrer Ziele klar bewußte Diplomatie wie die französische überall die trefflichsten Anknüpfungen. In thatsächlichem Besitze des Elsaß, fast des ganzen linken Rheinufers, waren die Franzosen während der letzten Kriegs¬ jahre ohnehin, und wer hätte daran denken mögen, ihnen das Land zwischen Rhein und Vogesen wieder zu entreißen. Keinen Anstoß erregte es auch, daß der Elsaß, obschon er oft Krieg¬ schauplatz gewesen, doch von Rechtswegen einem Herrn gehörte, mit welchem sich der französische König gar nicht in Krieg befunden. Den» nicht dem Kaiser Ferdinand III., sondern einem Vetter desselben stand das Gebiet zu; dieser Vetter, erst in den letzten Jahren des Krieges aus der Minderjährig¬ keit getreten, hatte an dem Kriege so gut wie keinen Antheil genommen. Aber wenn die Schweden, indem sie ihre Entschädigungsansprüche an das Reich überhaupt richteten, gar nicht danach fragten, wer dadurch außer Be¬ sitz oder um ein gutes Recht gebracht würde — wie hätte man hier Be¬ denken tragen sollen, wo der Beraubte denn doch dem Hause und der näch¬ sten Verwandtschaft des Kaisers angehörte. Nur das setzte der Kaiser durch, daß seinem Vetter von den Franzosen eine Geldabfindung — nach langem Markten stellte man sie auf 3 Millionen Livres fest — geleistet werden mußte. Was aber rücksichtlich dieser Abtretung eines durch und durch deutschen Landes späterhin noch ein ganz besonderes Interesse erwecken, was der Quell mannigfachen Streites und neuer Demüthigungen für Deutschland werden sollte, das war die Frage nach ihrem, eigentlichen Inhalt und Umfang. Was die Habsburger zwischen dem Rhein und den Vogesen besessen, hatten sie innegehabt unter dem Titel: Landgrafen vom Elsaß, Grasen vom Sundgau und Landvögte von Hagenau. Eine ziemliche Anzahl von Städten, Städt¬ chen und Dörfern gab es aber im Lande, auf welche sich die unter jenen Titeln ausgeübten Rechte gar nicht oder doch nur in sehr beschränktem Maße erstreckten. Neben Straßburg zählte man nicht weniger als zehn Städte, über welche dem „Landvoigt von Hagenau" nur so begrenzte Befugnisse zustan¬ den, daß auch diese Städte dadurch nicht verhindert wurden, als freie Reichs¬ städte zu gelten. Es fanden sich noch außerdem kleine weltliche und geist¬ liche Herrschaften von reichsunmittelbarer Stellung; manches Stückchen Lan¬ des hing von einem Fürsten ab, welcher seinen Sitz und seine Hauptmacht rechts vom Rheine hatte. Habsburgischerseits wurde denn in ter Friedens-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/282
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/282>, abgerufen am 26.06.2024.