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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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offenster Erscheinung, eine Menge thatsächlich längst vollzogener Verluste zu
officiellen Ausdruck gebracht hat -- in dem westfälischen Frieden. Wir
brauchen nicht ins Gedächtniß der Leser zu rufen, von welchen Gesichtspunk--
ten die Einmischung Frankreichs in den verhängnisvollsten aller Kriege,
welche Deutschland zerrissen und erschöpft haben, eingegeben worden war.
Ebenso wie Schweden hat auch Frankreich nie zugestanden, mit dem deut¬
schen Reiche in Krieg zu sein; nur mit dem Habsburger und dessen Bundes¬
genossen behauptete es in Feindschaft zu stehn; sofern es aber die Waffen
wesentlich für die Freiheit der deutschen Reichslande ergriffen habe, erhob es
einen Anspruch auf Entschädigung, der sich an das ganze Reich richtete.
Von kaiserlicher Seite suchte man die Gefahr, daß habsburgisches Land be¬
gehrt würde, dadurch zu beschwören, daß man sich erbot, den Raub der drei
lothringischen Bisihümer und Städte zu legalisiren. Die französische Diplo¬
matie acceptirte das Anelbicten bestens und die Ueberlassung aller Souve¬
ränitätsrechte über die Bisthümer und Städte Metz, Toul, Verdun war einer
der Friedensartikel, über welche man in den langwierigen Verhandlungen
verhältnißmäßig frühe zu einer Einigung kam.

Weit entfernt aber war die französische Diplomatie, sich hiemit zu be¬
gnügen. Von jenen Städten und Landen, durch welche sich damals der
östreichische Hausbesitz weit über den Westen von Süddeutschland ausdehnte,
verlangte Frankreich die Waldstätte an der schweizerischen Gränze, das hoch¬
geschätzte Breisach ^) und den Breisgau, namentlich aber den Elsaß und den
südlich daranstoßenden Sundgau. Wohl erhob sich dagegen eine starke Er¬
regung; wie tief auch das deutsche Selbstgefühl heruntergekommen war --
in aller Form so beträchtliche Stücke des Reichsbodens für verloren zu er¬
klären , war man denn doch nicht gewöhnt; der Gedanke aber, daß auch die
französische Krone, wie die schwedische, ihre Beute von dem römisch-deutschen
Kaiser zu Lehn tragen, diese Beute also auch in französischen Händen noch
als ein Bestandtheil des deutschen Reiches erscheinen sollte, wurde schon bald
von allen Seiten unpraktisch gefunden und aufgegeben. So schienen denn
die kaiserlichen Diplomaten in ihrem Widerstande gegen die Anforderung
Frankreichs die Masse der Reichslande Hintsr sich zu haben. Aber keines¬
wegs waren nach all den aufreibenden und auflösenden Einflüssen unheil¬
voller Jahrzehnte die Gemüther noch in der Verfassung, daß aus dem auf¬
wallenden Unmuihe eine feste, probehaltige Stimmung hätte hervorgehen
sollen! Der mächtigste unter den zum Kaiser stehenden Reichständen, Bayern,
war auf's tiefste erschöpft; und ganz ähnlich wie heute die süddeutschen Staaten,



") Dieses (nicht aber der Breisgau) und dazu die Festung PhilippLburg, ist dann neben
dem Elsaß und Sundgau wirklich an Frankreich abgetreten worden.
Greuzboicu III. 1S7V. 36

offenster Erscheinung, eine Menge thatsächlich längst vollzogener Verluste zu
officiellen Ausdruck gebracht hat — in dem westfälischen Frieden. Wir
brauchen nicht ins Gedächtniß der Leser zu rufen, von welchen Gesichtspunk--
ten die Einmischung Frankreichs in den verhängnisvollsten aller Kriege,
welche Deutschland zerrissen und erschöpft haben, eingegeben worden war.
Ebenso wie Schweden hat auch Frankreich nie zugestanden, mit dem deut¬
schen Reiche in Krieg zu sein; nur mit dem Habsburger und dessen Bundes¬
genossen behauptete es in Feindschaft zu stehn; sofern es aber die Waffen
wesentlich für die Freiheit der deutschen Reichslande ergriffen habe, erhob es
einen Anspruch auf Entschädigung, der sich an das ganze Reich richtete.
Von kaiserlicher Seite suchte man die Gefahr, daß habsburgisches Land be¬
gehrt würde, dadurch zu beschwören, daß man sich erbot, den Raub der drei
lothringischen Bisihümer und Städte zu legalisiren. Die französische Diplo¬
matie acceptirte das Anelbicten bestens und die Ueberlassung aller Souve¬
ränitätsrechte über die Bisthümer und Städte Metz, Toul, Verdun war einer
der Friedensartikel, über welche man in den langwierigen Verhandlungen
verhältnißmäßig frühe zu einer Einigung kam.

Weit entfernt aber war die französische Diplomatie, sich hiemit zu be¬
gnügen. Von jenen Städten und Landen, durch welche sich damals der
östreichische Hausbesitz weit über den Westen von Süddeutschland ausdehnte,
verlangte Frankreich die Waldstätte an der schweizerischen Gränze, das hoch¬
geschätzte Breisach ^) und den Breisgau, namentlich aber den Elsaß und den
südlich daranstoßenden Sundgau. Wohl erhob sich dagegen eine starke Er¬
regung; wie tief auch das deutsche Selbstgefühl heruntergekommen war —
in aller Form so beträchtliche Stücke des Reichsbodens für verloren zu er¬
klären , war man denn doch nicht gewöhnt; der Gedanke aber, daß auch die
französische Krone, wie die schwedische, ihre Beute von dem römisch-deutschen
Kaiser zu Lehn tragen, diese Beute also auch in französischen Händen noch
als ein Bestandtheil des deutschen Reiches erscheinen sollte, wurde schon bald
von allen Seiten unpraktisch gefunden und aufgegeben. So schienen denn
die kaiserlichen Diplomaten in ihrem Widerstande gegen die Anforderung
Frankreichs die Masse der Reichslande Hintsr sich zu haben. Aber keines¬
wegs waren nach all den aufreibenden und auflösenden Einflüssen unheil¬
voller Jahrzehnte die Gemüther noch in der Verfassung, daß aus dem auf¬
wallenden Unmuihe eine feste, probehaltige Stimmung hätte hervorgehen
sollen! Der mächtigste unter den zum Kaiser stehenden Reichständen, Bayern,
war auf's tiefste erschöpft; und ganz ähnlich wie heute die süddeutschen Staaten,



") Dieses (nicht aber der Breisgau) und dazu die Festung PhilippLburg, ist dann neben
dem Elsaß und Sundgau wirklich an Frankreich abgetreten worden.
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[0281] offenster Erscheinung, eine Menge thatsächlich längst vollzogener Verluste zu officiellen Ausdruck gebracht hat — in dem westfälischen Frieden. Wir brauchen nicht ins Gedächtniß der Leser zu rufen, von welchen Gesichtspunk-- ten die Einmischung Frankreichs in den verhängnisvollsten aller Kriege, welche Deutschland zerrissen und erschöpft haben, eingegeben worden war. Ebenso wie Schweden hat auch Frankreich nie zugestanden, mit dem deut¬ schen Reiche in Krieg zu sein; nur mit dem Habsburger und dessen Bundes¬ genossen behauptete es in Feindschaft zu stehn; sofern es aber die Waffen wesentlich für die Freiheit der deutschen Reichslande ergriffen habe, erhob es einen Anspruch auf Entschädigung, der sich an das ganze Reich richtete. Von kaiserlicher Seite suchte man die Gefahr, daß habsburgisches Land be¬ gehrt würde, dadurch zu beschwören, daß man sich erbot, den Raub der drei lothringischen Bisihümer und Städte zu legalisiren. Die französische Diplo¬ matie acceptirte das Anelbicten bestens und die Ueberlassung aller Souve¬ ränitätsrechte über die Bisthümer und Städte Metz, Toul, Verdun war einer der Friedensartikel, über welche man in den langwierigen Verhandlungen verhältnißmäßig frühe zu einer Einigung kam. Weit entfernt aber war die französische Diplomatie, sich hiemit zu be¬ gnügen. Von jenen Städten und Landen, durch welche sich damals der östreichische Hausbesitz weit über den Westen von Süddeutschland ausdehnte, verlangte Frankreich die Waldstätte an der schweizerischen Gränze, das hoch¬ geschätzte Breisach ^) und den Breisgau, namentlich aber den Elsaß und den südlich daranstoßenden Sundgau. Wohl erhob sich dagegen eine starke Er¬ regung; wie tief auch das deutsche Selbstgefühl heruntergekommen war — in aller Form so beträchtliche Stücke des Reichsbodens für verloren zu er¬ klären , war man denn doch nicht gewöhnt; der Gedanke aber, daß auch die französische Krone, wie die schwedische, ihre Beute von dem römisch-deutschen Kaiser zu Lehn tragen, diese Beute also auch in französischen Händen noch als ein Bestandtheil des deutschen Reiches erscheinen sollte, wurde schon bald von allen Seiten unpraktisch gefunden und aufgegeben. So schienen denn die kaiserlichen Diplomaten in ihrem Widerstande gegen die Anforderung Frankreichs die Masse der Reichslande Hintsr sich zu haben. Aber keines¬ wegs waren nach all den aufreibenden und auflösenden Einflüssen unheil¬ voller Jahrzehnte die Gemüther noch in der Verfassung, daß aus dem auf¬ wallenden Unmuihe eine feste, probehaltige Stimmung hätte hervorgehen sollen! Der mächtigste unter den zum Kaiser stehenden Reichständen, Bayern, war auf's tiefste erschöpft; und ganz ähnlich wie heute die süddeutschen Staaten, ") Dieses (nicht aber der Breisgau) und dazu die Festung PhilippLburg, ist dann neben dem Elsaß und Sundgau wirklich an Frankreich abgetreten worden. Greuzboicu III. 1S7V. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/281>, abgerufen am 26.06.2024.