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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Thor, das nach dem französischen Lager hinausging, durch einen französischen
Capitän besetzen lassen -- da erhob sich die ehrwürdige Versammlung in
ungewöhnlicher Leidenschaftlichkeit mit dem Rufe: Nimmermehr wie zu Metz!
und der Abgesandte mußte froh sein, unverletzt aus der Stadt geleitet zu
werden. Da nun auch unter den benachbarten Fürsten sich ein ziemlich ent¬
schiedener Wunsch kundgab, der König möge es an dem bisher Vollbrachten
genug sein lassen, und da von den Niederlanden her für Frankreich Gefahr
drohte, so verließ der König die Rheingegenden, sein Werk -- die Errettung
der deutschen Freiheit -- auf diesmal für vollendet, sich aber auf den Fall,
daß er künftig dem deutschen Reiche abermals nützlich sein könnte, zu allem
Guten bereit erklärend.

Metz, Toul und Verdun aber blieben in den Händen des französischen
Königs; ein Versuch zur Wiedereroberung von Metz, den Kaiser Karl sofort,
nachdem er mit seinen deutschen Gegnern Frieden gemacht, anstellte, scheiterte
an der tapferen Vertheidigung der Stadt durch Franz von Guise, einen nahen
Verwandten des lothringischen Herzogs. Daß nun aber das s. g. Reichs-
vicariat des französischen Königs über die drei deutschen Städte nichts anderes
war als eine Losreißung derselben vom deutschen Reich, verstand sich von
selbst. Auch die schwachen Fäden, durch welche sich die Städte selbst unter
französischer Herrschaft noch in einer gewissen Verbindung mit Reichstag,
Kammergericht u. s. w. zu erhalten suchten, waren Gegenstand der Eifersucht
für die französischen Könige, die ebenso das Ihrige thaten, die Bischöfe mehr
und mehr aus geistlichen Fürsten des deutschen Reichs zu französischen Prälaten
umzuwandeln. Nicht minder war es in dem Innern der Städte mit den
hergebrachten Verfassungsverhältnissen zu Ende; und zu Ende war es nament¬
lich auch mit den Anhängern des Protestantismus, denen mit aller Schärfe
jede Möglichkeit der Weiterentwickelung abgeschnitten wurde.

Klagen über diese Zustände liefen an den deutschen Reichstagen ein und
mehr als einmal wurde daselbst das Schicksal der Städte, die man ebenso
wie die Bisthümer als zum Reiche gehörig zu betrachten fortfuhr, Gegenstände
der Berathung. Was wollte es aber um alle Anstrengungen des damaligen
deutschen Reiches sagen, eine active Politik nach außen hin zu entwickeln!
Ganz ähnlich wie in unserem Jahrhundert so manchmal der Bundestag bei
Behandlang von Aufgaben, welche innerhalb seiner Pflichten lagen, aber über
seine Kräfte stiegen, suchte auch der damalige Reichstag nur etwa nach leid¬
lichen Formen, um mit einigem Anstand Jahr auf Jahr ohne eigentliche
That dahingehen lassen zu können.

Zum formellen Abschlüsse gedieh die Angelegenheit erst in demjenigen
Fnedenschlusse, welcher bekanntlich mehr als irgend ein anderes Friedens¬
und Vertragswerk alle Schwäche des alten heiligen römischen Reiches zu


Thor, das nach dem französischen Lager hinausging, durch einen französischen
Capitän besetzen lassen — da erhob sich die ehrwürdige Versammlung in
ungewöhnlicher Leidenschaftlichkeit mit dem Rufe: Nimmermehr wie zu Metz!
und der Abgesandte mußte froh sein, unverletzt aus der Stadt geleitet zu
werden. Da nun auch unter den benachbarten Fürsten sich ein ziemlich ent¬
schiedener Wunsch kundgab, der König möge es an dem bisher Vollbrachten
genug sein lassen, und da von den Niederlanden her für Frankreich Gefahr
drohte, so verließ der König die Rheingegenden, sein Werk — die Errettung
der deutschen Freiheit — auf diesmal für vollendet, sich aber auf den Fall,
daß er künftig dem deutschen Reiche abermals nützlich sein könnte, zu allem
Guten bereit erklärend.

Metz, Toul und Verdun aber blieben in den Händen des französischen
Königs; ein Versuch zur Wiedereroberung von Metz, den Kaiser Karl sofort,
nachdem er mit seinen deutschen Gegnern Frieden gemacht, anstellte, scheiterte
an der tapferen Vertheidigung der Stadt durch Franz von Guise, einen nahen
Verwandten des lothringischen Herzogs. Daß nun aber das s. g. Reichs-
vicariat des französischen Königs über die drei deutschen Städte nichts anderes
war als eine Losreißung derselben vom deutschen Reich, verstand sich von
selbst. Auch die schwachen Fäden, durch welche sich die Städte selbst unter
französischer Herrschaft noch in einer gewissen Verbindung mit Reichstag,
Kammergericht u. s. w. zu erhalten suchten, waren Gegenstand der Eifersucht
für die französischen Könige, die ebenso das Ihrige thaten, die Bischöfe mehr
und mehr aus geistlichen Fürsten des deutschen Reichs zu französischen Prälaten
umzuwandeln. Nicht minder war es in dem Innern der Städte mit den
hergebrachten Verfassungsverhältnissen zu Ende; und zu Ende war es nament¬
lich auch mit den Anhängern des Protestantismus, denen mit aller Schärfe
jede Möglichkeit der Weiterentwickelung abgeschnitten wurde.

Klagen über diese Zustände liefen an den deutschen Reichstagen ein und
mehr als einmal wurde daselbst das Schicksal der Städte, die man ebenso
wie die Bisthümer als zum Reiche gehörig zu betrachten fortfuhr, Gegenstände
der Berathung. Was wollte es aber um alle Anstrengungen des damaligen
deutschen Reiches sagen, eine active Politik nach außen hin zu entwickeln!
Ganz ähnlich wie in unserem Jahrhundert so manchmal der Bundestag bei
Behandlang von Aufgaben, welche innerhalb seiner Pflichten lagen, aber über
seine Kräfte stiegen, suchte auch der damalige Reichstag nur etwa nach leid¬
lichen Formen, um mit einigem Anstand Jahr auf Jahr ohne eigentliche
That dahingehen lassen zu können.

Zum formellen Abschlüsse gedieh die Angelegenheit erst in demjenigen
Fnedenschlusse, welcher bekanntlich mehr als irgend ein anderes Friedens¬
und Vertragswerk alle Schwäche des alten heiligen römischen Reiches zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/280>, abgerufen am 26.06.2024.