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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Verrathes kam dabei um so weniger zu klarem Bewußtsein, da ja die Habs¬
burgische Macht selbst, die Besitzerin der kaiserlichen Würde, in vielen Stücken
mehr als eine fremde, namentlich eine spanische Gewalt, denn als eine na¬
tionale, angesehen und empfunden wurde, Frankreich aber immer behauptete,
nur gegen das Habsburgische Uebergewicht in Europa, keineswegs gegen das
deutsche Reich in Kampf und Feindschaft zu stehen. Freier und rück¬
sichtsloser aber, als es auch in der unglückseligen Verschrobenheit dieser Ver¬
hältnisse gewöhnlich war, brach das Uebel bei der Fürstenverbindung von
1551/2 hervor, an deren Spitze Kurfürst Moritz von Sachsen stand. Die
gewaltige Stellung zu brechen, zu welcher Kaiser Karl V. durch Besiegung
der schmalkaldischen Bundesgenossen gelangt war, schien die alleinige Kraft
deutscher Fürsten nicht ausreichend. Hatte aber Frankreich während der
Krisis des schmalkaldischen Krieges die Zeit versäumt, dem Anwachs der Habs¬
burgischen Macht Schranken zu setzen, so hieß jetzt König Heinrich II. die Ge¬
legenheit, das Versäumte gut zu machen, hochwillkomner. In den Verhandlun¬
gen auf den sächsischen und hessischen Jagdschlössern zu Lochau und Friedewalde
(Herbst 1651) kamen Kurfürst Moritz von Sachsen, Landgraf Wilhelm von
Hessen und ihre Bundesgenossen mit dem französischen Gesandten überein:
durch bedeutende Geldzahlungen sowie durch einen Angriff von Westen her
sollte der französische König die Schilderhebung der deutschen Fürsten unter¬
stützen, dafür aber in Freiheit stehn, sobald er könne, sich der Städte, "welche
von Alters her zum Reiche gehören, und nicht von der deutschen Zunge
seien, nämlich Cambray, Toul, Metz und Verdun und andere ähnliche, zu
bemächtigen und sie als Vicar des heil. Reiches zu bewahren."

Während nun im Frühling 1552 Moritz und dessen Bundesgenossen
ihren mit merkwürdiger Klugheit vorbereiteten Anschlag mit höchster Ent¬
schlossenheit, durch den raschen Marsch nach Süddeutschland, zur Ausführung
brachten, erschien König Heinrich II. mit einem stattlichen Heere an den von
jeder nennenswerthen Vertheidigungsmacht entblößten Reichsgrenzcn. Er hat
dafür gesorgt, daß späteren in ähnlichen Bahnen wandelnden Franzosenkönigen
wenigstens Eines schwer fallen mußte: original zu sein in ihren Verkündigun¬
gen und Schaustellungen. Was späterhin in dieser Beziehung Richelieu,
Ludwig XIV-, Napoleon I. geleistet, was wir neuerlich und allerneuer-
lichst Napoleon III. leisten gesehen -- dies Alles darf Heinrich II. als
sein geistiges Eigenthum in Anspruch nehmen. "Ein Manifest aus
Fontainebleau vom 3. Febr. 1552 datirt, verkündigte dem Heil. Rom.
Reiche die Ankunft des Vinäex lidortirtis LiermAniav et xiinoixum eax-
tivorum (Rächer der teuschen Freiheit und der gefangenen Fürsten --



") Beschreibung und Inhalt des Mcmifests gebe ich nach dem von Barthold gefertigten
Auszug.

Verrathes kam dabei um so weniger zu klarem Bewußtsein, da ja die Habs¬
burgische Macht selbst, die Besitzerin der kaiserlichen Würde, in vielen Stücken
mehr als eine fremde, namentlich eine spanische Gewalt, denn als eine na¬
tionale, angesehen und empfunden wurde, Frankreich aber immer behauptete,
nur gegen das Habsburgische Uebergewicht in Europa, keineswegs gegen das
deutsche Reich in Kampf und Feindschaft zu stehen. Freier und rück¬
sichtsloser aber, als es auch in der unglückseligen Verschrobenheit dieser Ver¬
hältnisse gewöhnlich war, brach das Uebel bei der Fürstenverbindung von
1551/2 hervor, an deren Spitze Kurfürst Moritz von Sachsen stand. Die
gewaltige Stellung zu brechen, zu welcher Kaiser Karl V. durch Besiegung
der schmalkaldischen Bundesgenossen gelangt war, schien die alleinige Kraft
deutscher Fürsten nicht ausreichend. Hatte aber Frankreich während der
Krisis des schmalkaldischen Krieges die Zeit versäumt, dem Anwachs der Habs¬
burgischen Macht Schranken zu setzen, so hieß jetzt König Heinrich II. die Ge¬
legenheit, das Versäumte gut zu machen, hochwillkomner. In den Verhandlun¬
gen auf den sächsischen und hessischen Jagdschlössern zu Lochau und Friedewalde
(Herbst 1651) kamen Kurfürst Moritz von Sachsen, Landgraf Wilhelm von
Hessen und ihre Bundesgenossen mit dem französischen Gesandten überein:
durch bedeutende Geldzahlungen sowie durch einen Angriff von Westen her
sollte der französische König die Schilderhebung der deutschen Fürsten unter¬
stützen, dafür aber in Freiheit stehn, sobald er könne, sich der Städte, „welche
von Alters her zum Reiche gehören, und nicht von der deutschen Zunge
seien, nämlich Cambray, Toul, Metz und Verdun und andere ähnliche, zu
bemächtigen und sie als Vicar des heil. Reiches zu bewahren."

Während nun im Frühling 1552 Moritz und dessen Bundesgenossen
ihren mit merkwürdiger Klugheit vorbereiteten Anschlag mit höchster Ent¬
schlossenheit, durch den raschen Marsch nach Süddeutschland, zur Ausführung
brachten, erschien König Heinrich II. mit einem stattlichen Heere an den von
jeder nennenswerthen Vertheidigungsmacht entblößten Reichsgrenzcn. Er hat
dafür gesorgt, daß späteren in ähnlichen Bahnen wandelnden Franzosenkönigen
wenigstens Eines schwer fallen mußte: original zu sein in ihren Verkündigun¬
gen und Schaustellungen. Was späterhin in dieser Beziehung Richelieu,
Ludwig XIV-, Napoleon I. geleistet, was wir neuerlich und allerneuer-
lichst Napoleon III. leisten gesehen — dies Alles darf Heinrich II. als
sein geistiges Eigenthum in Anspruch nehmen. „Ein Manifest aus
Fontainebleau vom 3. Febr. 1552 datirt, verkündigte dem Heil. Rom.
Reiche die Ankunft des Vinäex lidortirtis LiermAniav et xiinoixum eax-
tivorum (Rächer der teuschen Freiheit und der gefangenen Fürsten —



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/277>, abgerufen am 26.06.2024.