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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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der Bedeutung, auf welche das Wort im Lauf des Mittelalters reducirt
war -- das Herzogthum an der oberen Mosel und Saar im Westen der
Vogesen; endlich der Elsaß mit dem Sundgau.

Soweit freilich das Herzogthum Lothringen in Frage kommt, so drohte
auch dessen Zugehörigkeit zum deutschen Reiche schon damals zu einem leeren
Scheine zu werden. Die Anziehungskraft, welche der in sich concentrirte
französische Staatskörper auf die kleineren politischen Existenzen in seiner
Nachbarschaft ausübte, machte sich auch hier geltend. Daß die französische
Sprache -- in einem Theile des Herzogthums Landessprache -- an dem
herzoglichen Hofe zur ausschließlichen Geltung kam, konnte nicht ohne Wir¬
kung bleiben. Durch Verwandtschaft wie durch Besitz stand das herzogliche
Haus in so tausendfachen, tief nach Frankreich hineinreichenden Beziehungen,
daß es sich in seinem Wohl und Wehe, in seinen ehrgeizigen Absichten wie
in seinen Befürchtungen und Besorgnissen viel enger mit den großen französi¬
schen Staatshändeln, den dortigen Parteiungen, Bürgerkriegen u. f. w. ver¬
flochten fühlte als mit den Angelegenheiten des deutschen Reiches.

Der erste recht fühlbare und Aufsehen erregende Schlag aber, der hier
das deutsche Reich traf, ging weniger das Herzogthum selbst an, als die
drei von ihm eingeschlossenen Bisthümer und Städte: Metz, Toul und Ver-
dun. Die Bischöfe sowohl als die Städte galten als unmittelbare Glieder
des Reiches, mochten die Reichstage besuchen oder beschicken, hatten ihren
Gerichtsstand vor dem Reichskammergericht. Was die Besetzung der bischöf¬
lichen Stellen, die Führung der bischöflichen Regierungen betrifft, so war
freilich auch da französische Einwirkung stark zu verspüren: in den drei Städ¬
ten aber fehlte es nicht an einer gut reichstädtischen Gesinnung -- an dem
Willen, die republikanische Selbständigkeit und den Zusammenhang mit dem
Reich, in welchem allein man für diese Selbständigkeit die nöthigen Sicher¬
heiten fand, aufrecht zu halten.

Da kam aus dem Innern des deutschen Reiches selbst dem französischen
Könige für seine Begierde, sich hier auf Unkosten des Reiches auszudehnen,
der stärkste Anreiz, und zu dem Versuche, diese Begierde zu befriedigen, die
ausgiebigste Hilfe.

Man kennt den Gegensatz zwischen Frankreich und dem mit seinen
Besitzungen weit über West- und Mittel-Europa ausgebreiteten habsburgi-
schen Hause, um welchen sich fast die ganze europäische Politik des 16. und,
17. Jahrhunderts bewegte. Daß ziemlich Alles, was in Deutschland gegen
die in Habsburgischen Händen befindliche Kaisergewalt opponirte, daß die
politischen Vertreter der Reformationssache wie die Verfechter der sog. deut¬
schen (d. h. der reichständischen) Freiheit, mehr oder weniger an Frankreich
sich anlehnten, ergab sich daraus von selbst. Der Gedanke eines nationalen


der Bedeutung, auf welche das Wort im Lauf des Mittelalters reducirt
war — das Herzogthum an der oberen Mosel und Saar im Westen der
Vogesen; endlich der Elsaß mit dem Sundgau.

Soweit freilich das Herzogthum Lothringen in Frage kommt, so drohte
auch dessen Zugehörigkeit zum deutschen Reiche schon damals zu einem leeren
Scheine zu werden. Die Anziehungskraft, welche der in sich concentrirte
französische Staatskörper auf die kleineren politischen Existenzen in seiner
Nachbarschaft ausübte, machte sich auch hier geltend. Daß die französische
Sprache — in einem Theile des Herzogthums Landessprache — an dem
herzoglichen Hofe zur ausschließlichen Geltung kam, konnte nicht ohne Wir¬
kung bleiben. Durch Verwandtschaft wie durch Besitz stand das herzogliche
Haus in so tausendfachen, tief nach Frankreich hineinreichenden Beziehungen,
daß es sich in seinem Wohl und Wehe, in seinen ehrgeizigen Absichten wie
in seinen Befürchtungen und Besorgnissen viel enger mit den großen französi¬
schen Staatshändeln, den dortigen Parteiungen, Bürgerkriegen u. f. w. ver¬
flochten fühlte als mit den Angelegenheiten des deutschen Reiches.

Der erste recht fühlbare und Aufsehen erregende Schlag aber, der hier
das deutsche Reich traf, ging weniger das Herzogthum selbst an, als die
drei von ihm eingeschlossenen Bisthümer und Städte: Metz, Toul und Ver-
dun. Die Bischöfe sowohl als die Städte galten als unmittelbare Glieder
des Reiches, mochten die Reichstage besuchen oder beschicken, hatten ihren
Gerichtsstand vor dem Reichskammergericht. Was die Besetzung der bischöf¬
lichen Stellen, die Führung der bischöflichen Regierungen betrifft, so war
freilich auch da französische Einwirkung stark zu verspüren: in den drei Städ¬
ten aber fehlte es nicht an einer gut reichstädtischen Gesinnung — an dem
Willen, die republikanische Selbständigkeit und den Zusammenhang mit dem
Reich, in welchem allein man für diese Selbständigkeit die nöthigen Sicher¬
heiten fand, aufrecht zu halten.

Da kam aus dem Innern des deutschen Reiches selbst dem französischen
Könige für seine Begierde, sich hier auf Unkosten des Reiches auszudehnen,
der stärkste Anreiz, und zu dem Versuche, diese Begierde zu befriedigen, die
ausgiebigste Hilfe.

Man kennt den Gegensatz zwischen Frankreich und dem mit seinen
Besitzungen weit über West- und Mittel-Europa ausgebreiteten habsburgi-
schen Hause, um welchen sich fast die ganze europäische Politik des 16. und,
17. Jahrhunderts bewegte. Daß ziemlich Alles, was in Deutschland gegen
die in Habsburgischen Händen befindliche Kaisergewalt opponirte, daß die
politischen Vertreter der Reformationssache wie die Verfechter der sog. deut¬
schen (d. h. der reichständischen) Freiheit, mehr oder weniger an Frankreich
sich anlehnten, ergab sich daraus von selbst. Der Gedanke eines nationalen


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[0276] der Bedeutung, auf welche das Wort im Lauf des Mittelalters reducirt war — das Herzogthum an der oberen Mosel und Saar im Westen der Vogesen; endlich der Elsaß mit dem Sundgau. Soweit freilich das Herzogthum Lothringen in Frage kommt, so drohte auch dessen Zugehörigkeit zum deutschen Reiche schon damals zu einem leeren Scheine zu werden. Die Anziehungskraft, welche der in sich concentrirte französische Staatskörper auf die kleineren politischen Existenzen in seiner Nachbarschaft ausübte, machte sich auch hier geltend. Daß die französische Sprache — in einem Theile des Herzogthums Landessprache — an dem herzoglichen Hofe zur ausschließlichen Geltung kam, konnte nicht ohne Wir¬ kung bleiben. Durch Verwandtschaft wie durch Besitz stand das herzogliche Haus in so tausendfachen, tief nach Frankreich hineinreichenden Beziehungen, daß es sich in seinem Wohl und Wehe, in seinen ehrgeizigen Absichten wie in seinen Befürchtungen und Besorgnissen viel enger mit den großen französi¬ schen Staatshändeln, den dortigen Parteiungen, Bürgerkriegen u. f. w. ver¬ flochten fühlte als mit den Angelegenheiten des deutschen Reiches. Der erste recht fühlbare und Aufsehen erregende Schlag aber, der hier das deutsche Reich traf, ging weniger das Herzogthum selbst an, als die drei von ihm eingeschlossenen Bisthümer und Städte: Metz, Toul und Ver- dun. Die Bischöfe sowohl als die Städte galten als unmittelbare Glieder des Reiches, mochten die Reichstage besuchen oder beschicken, hatten ihren Gerichtsstand vor dem Reichskammergericht. Was die Besetzung der bischöf¬ lichen Stellen, die Führung der bischöflichen Regierungen betrifft, so war freilich auch da französische Einwirkung stark zu verspüren: in den drei Städ¬ ten aber fehlte es nicht an einer gut reichstädtischen Gesinnung — an dem Willen, die republikanische Selbständigkeit und den Zusammenhang mit dem Reich, in welchem allein man für diese Selbständigkeit die nöthigen Sicher¬ heiten fand, aufrecht zu halten. Da kam aus dem Innern des deutschen Reiches selbst dem französischen Könige für seine Begierde, sich hier auf Unkosten des Reiches auszudehnen, der stärkste Anreiz, und zu dem Versuche, diese Begierde zu befriedigen, die ausgiebigste Hilfe. Man kennt den Gegensatz zwischen Frankreich und dem mit seinen Besitzungen weit über West- und Mittel-Europa ausgebreiteten habsburgi- schen Hause, um welchen sich fast die ganze europäische Politik des 16. und, 17. Jahrhunderts bewegte. Daß ziemlich Alles, was in Deutschland gegen die in Habsburgischen Händen befindliche Kaisergewalt opponirte, daß die politischen Vertreter der Reformationssache wie die Verfechter der sog. deut¬ schen (d. h. der reichständischen) Freiheit, mehr oder weniger an Frankreich sich anlehnten, ergab sich daraus von selbst. Der Gedanke eines nationalen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/276>, abgerufen am 26.06.2024.