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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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einen Augenblick der Hoffnung auf Erhaltung des Friedens hingeben konnte.
Aber der eiserne Wille des großen Turiner Staatsmannes war unerschütter¬
lich; ihm blieb im äußersten Falle noch immer der Aufruf an die Revolu¬
tion, und zu diesem Aufruf, wie sehr sich auch seine conservativen Grund¬
sätze dagegen sträubten, war er entschlossen. Die sichere Ueberzeugung, daß
Cavour vor diesem äußersten Mittel nicht zurückschrecken würde und die
Furcht vor der Einwirkung eines revolutionären Ausbruchs in Italien auf
Frankreich hat ohne Zweifel das meiste dazu beigetragen, den Kaiser in
Cavours Fahrwasser zu halten. Cavour, der auf die Nachricht von dem
Schwanken Napoleons sogleich nach Paris geeilt war, kehrte zurück mit der
Gewißheit, daß der unberechenbare Bundesgenosse ihm nicht mehr entschlüp¬
fen könne. -- Die vermittelnden Bemühungen der Mächte konnten den Aus¬
bruch der Krise nicht verhindern, Oestreichs herausfordernde Haltung be¬
schleunigte den Beginn, Gyulays unbedachtes Vorgehen und kopflose, schlaffe
Kriegsführung machte die erste Niederlage der Oestreicher unvermeidlich.

Wir können hier auf die Kriegführung nicht eingehen und beschränken
uns auf einige gelegentliche Bemerkungen. Zunächst sei erwähnt, daß De-
lord die kriegerische Action klar und deutlich und im allgemeinen ohne die
bekannte französische Ruhmredigkeit in militärischen Dingen darstellt. Daß
bei des tapfern und tüchtigen Mac Mahon's entscheidenden Eingreifen bei
Magenta der Zufall eine ziemlich große Rolle spielte (ein französischer Be¬
richt spricht von "intuitio", äiviae: die Wolken, die über seinem Haupte hin¬
ziehen, bringen ihm die Kunde von der Gefahr, die Frankreich bedroht")
tritt aus Delord's Darstellung nicht scharf genug hervor. Tapfer gekämpft
wird auf beiden Seiten; aber die großen Fehler der östreichischen Führung
sichern den Franco-Sarden den Sieg. Ein glänzender Feldherrnruhm ist
aus diesem Kriege von Niemandem erstritten worden. Daß Napoleon nichts
weniger als ein Kriegssürst war, stellte sich als unzweifelhaft heraus. Eine
ununterbrochene Kriegsära zu eiöffnen, war daher für ihn unmöglich: er
durste keinem Marschall Gelegenheit geben, seinen Ruhm zu verdunkeln und
dem Gebieter über den Kopf zu wachsen. Bekannt ist die mit Furcht ge¬
paarte Abneigung des Kaisers gegen den ehrenwerthen und charakterfester
Mac Mahon. Napoleon konnte weder im Felde noch im Kabinette Männer
von sittlicher und geistiger Selbständigkeit gebrauchen. Im Staatsdienst war
Selbsterniedrigung die erste Bedingung zur Fortune -- wie tief ist Ollivier
seit seinem Eintritt in die vergiftete Atmosphäre des napoleonischen Hofes
gesunken!) -- Im Heere freilich konnte man die wahrhaft tüchtigen Männer
nicht entbehren; aber sie blieben dem Kaiser antipathisch und verdächtig,
weil ihm die Natur die Gaben versagt hat, deren der große Feldherr be-


Grenzboteu III. 1870. 35

einen Augenblick der Hoffnung auf Erhaltung des Friedens hingeben konnte.
Aber der eiserne Wille des großen Turiner Staatsmannes war unerschütter¬
lich; ihm blieb im äußersten Falle noch immer der Aufruf an die Revolu¬
tion, und zu diesem Aufruf, wie sehr sich auch seine conservativen Grund¬
sätze dagegen sträubten, war er entschlossen. Die sichere Ueberzeugung, daß
Cavour vor diesem äußersten Mittel nicht zurückschrecken würde und die
Furcht vor der Einwirkung eines revolutionären Ausbruchs in Italien auf
Frankreich hat ohne Zweifel das meiste dazu beigetragen, den Kaiser in
Cavours Fahrwasser zu halten. Cavour, der auf die Nachricht von dem
Schwanken Napoleons sogleich nach Paris geeilt war, kehrte zurück mit der
Gewißheit, daß der unberechenbare Bundesgenosse ihm nicht mehr entschlüp¬
fen könne. — Die vermittelnden Bemühungen der Mächte konnten den Aus¬
bruch der Krise nicht verhindern, Oestreichs herausfordernde Haltung be¬
schleunigte den Beginn, Gyulays unbedachtes Vorgehen und kopflose, schlaffe
Kriegsführung machte die erste Niederlage der Oestreicher unvermeidlich.

Wir können hier auf die Kriegführung nicht eingehen und beschränken
uns auf einige gelegentliche Bemerkungen. Zunächst sei erwähnt, daß De-
lord die kriegerische Action klar und deutlich und im allgemeinen ohne die
bekannte französische Ruhmredigkeit in militärischen Dingen darstellt. Daß
bei des tapfern und tüchtigen Mac Mahon's entscheidenden Eingreifen bei
Magenta der Zufall eine ziemlich große Rolle spielte (ein französischer Be¬
richt spricht von „intuitio», äiviae: die Wolken, die über seinem Haupte hin¬
ziehen, bringen ihm die Kunde von der Gefahr, die Frankreich bedroht")
tritt aus Delord's Darstellung nicht scharf genug hervor. Tapfer gekämpft
wird auf beiden Seiten; aber die großen Fehler der östreichischen Führung
sichern den Franco-Sarden den Sieg. Ein glänzender Feldherrnruhm ist
aus diesem Kriege von Niemandem erstritten worden. Daß Napoleon nichts
weniger als ein Kriegssürst war, stellte sich als unzweifelhaft heraus. Eine
ununterbrochene Kriegsära zu eiöffnen, war daher für ihn unmöglich: er
durste keinem Marschall Gelegenheit geben, seinen Ruhm zu verdunkeln und
dem Gebieter über den Kopf zu wachsen. Bekannt ist die mit Furcht ge¬
paarte Abneigung des Kaisers gegen den ehrenwerthen und charakterfester
Mac Mahon. Napoleon konnte weder im Felde noch im Kabinette Männer
von sittlicher und geistiger Selbständigkeit gebrauchen. Im Staatsdienst war
Selbsterniedrigung die erste Bedingung zur Fortune — wie tief ist Ollivier
seit seinem Eintritt in die vergiftete Atmosphäre des napoleonischen Hofes
gesunken!) — Im Heere freilich konnte man die wahrhaft tüchtigen Männer
nicht entbehren; aber sie blieben dem Kaiser antipathisch und verdächtig,
weil ihm die Natur die Gaben versagt hat, deren der große Feldherr be-


Grenzboteu III. 1870. 35
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/273>, abgerufen am 26.06.2024.