Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nehm. Denn mit Leuten von Veuillots Schlage läßt sich schwer verhandeln;
ihnen muß man zu Willen sein oder ihnen Schweigen auferlegen; was bei
dem unbedingten Einfluß, den sie auf die Pfarrgeistlichkeit ausübten, bedenk¬
lich erschien. Die Regierung handelte denn auch möglichst in ihrem
Sinne; bei der Besetzung der erledigten Bischofsitze wurde sast nur auf Ul¬
tramontane Rücksicht genommen, wofür denn Herr Veuillot Napoleon III.
als einen zweiten Constcvitin feierte und in der Verherrlichung des kirchlichen
und politischen Absolutismus das Aeußerste leistete.

Die Rücksichten, die auf diese fanatische und anspruchsvolle Partei zu
nehmen waren, ließen den Kaiser lange schwanken, ehe er sich unwiderruflich
zu einem Kriege entschloß, der auf die Lage des heiligen Stuhls nothwendig
bedenklichen Einfluß ausüben mußte. Aber eines Krieges und zwar
eines populären Krieges bedürfte er um jeden Preis, denn Frankreich fing
an sich zu langweilen. Wie sein ewig brütender, planender Geist, ganz wie
in seiner Jugend, in den abenteuerlichsten Combinationen sich bewegte, geht
daraus hervor, daß er an ein Unternehmen zur Herstellung Polens dachte
und sich sogar bemühte, den Kaiser Alexander für seine Idee zu gewinnen;
natürlich vergeblich. Damit wurde denn der lang geplante, bereits auf dem
Congreß drohend in der Ferne gezeigte Krieg gegen Oestreich beschlossene,
wenn,auch, wie wir bald sehen werden, keineswegs unwiderruflich beschlos¬
sene Sache. Es folgte die Zusammenkunft mit Cavour, in der das Programm
entworfen wurde und der Neujahrsgruß 1859 an Baron Hübner, der die
diplomatische Fehde einleitete.

Die Wirkung dieses Grußes war gewaltig. Niemand legte den Worten
des Kaisers einen andern Sinn als den einer Kriegserklärung unter. Wenn
dessen ungeachtet die officiösen Blätter angewiesen wurden, den politischen
Horizont als völlig unbewölkt darzustellen, wenn die Presse wegen eines
kriegerischen Artikels sich eine Verwarnung zuzog, wenn der Kaiser in der
Rede, mit der er die Kammern eröffnete, noch nach der Vermählung des
Prinzen Napoleon mit der Prinzessin Clotilde, die Situation als vollkommen
friedlich schilderte, so war dies Verhalten weniger auf eine Täuschung Oest¬
reichs, als auf die Beschwichtigung der ultramontanen Partei berechnet,
die sich natürlich mit großer Lebhaftigkeit gegen ein Bündniß mit dem ver¬
haßten Piemont und gegen einen Krieg aussprach, dessen Folgen sür die
Integrität des Patrimoniums Petri unberechenbar waren. Die Wirkung
dieser von der Kaiserin unterstützten Angriffe auf den bis zum Augenblick
der Entscheidung immer unsicher und unentschlossen schwankenden, stets nach
Auswegen suchenden Geist des Kaisers war so groß, daß das ganze Unter¬
nehmen noch einmal in Frage gestellt wurde, daß Cavour außer sich war
über die Unentschlossenheit des Kaisers und daß selbst Herr von Hübner sich


nehm. Denn mit Leuten von Veuillots Schlage läßt sich schwer verhandeln;
ihnen muß man zu Willen sein oder ihnen Schweigen auferlegen; was bei
dem unbedingten Einfluß, den sie auf die Pfarrgeistlichkeit ausübten, bedenk¬
lich erschien. Die Regierung handelte denn auch möglichst in ihrem
Sinne; bei der Besetzung der erledigten Bischofsitze wurde sast nur auf Ul¬
tramontane Rücksicht genommen, wofür denn Herr Veuillot Napoleon III.
als einen zweiten Constcvitin feierte und in der Verherrlichung des kirchlichen
und politischen Absolutismus das Aeußerste leistete.

Die Rücksichten, die auf diese fanatische und anspruchsvolle Partei zu
nehmen waren, ließen den Kaiser lange schwanken, ehe er sich unwiderruflich
zu einem Kriege entschloß, der auf die Lage des heiligen Stuhls nothwendig
bedenklichen Einfluß ausüben mußte. Aber eines Krieges und zwar
eines populären Krieges bedürfte er um jeden Preis, denn Frankreich fing
an sich zu langweilen. Wie sein ewig brütender, planender Geist, ganz wie
in seiner Jugend, in den abenteuerlichsten Combinationen sich bewegte, geht
daraus hervor, daß er an ein Unternehmen zur Herstellung Polens dachte
und sich sogar bemühte, den Kaiser Alexander für seine Idee zu gewinnen;
natürlich vergeblich. Damit wurde denn der lang geplante, bereits auf dem
Congreß drohend in der Ferne gezeigte Krieg gegen Oestreich beschlossene,
wenn,auch, wie wir bald sehen werden, keineswegs unwiderruflich beschlos¬
sene Sache. Es folgte die Zusammenkunft mit Cavour, in der das Programm
entworfen wurde und der Neujahrsgruß 1859 an Baron Hübner, der die
diplomatische Fehde einleitete.

Die Wirkung dieses Grußes war gewaltig. Niemand legte den Worten
des Kaisers einen andern Sinn als den einer Kriegserklärung unter. Wenn
dessen ungeachtet die officiösen Blätter angewiesen wurden, den politischen
Horizont als völlig unbewölkt darzustellen, wenn die Presse wegen eines
kriegerischen Artikels sich eine Verwarnung zuzog, wenn der Kaiser in der
Rede, mit der er die Kammern eröffnete, noch nach der Vermählung des
Prinzen Napoleon mit der Prinzessin Clotilde, die Situation als vollkommen
friedlich schilderte, so war dies Verhalten weniger auf eine Täuschung Oest¬
reichs, als auf die Beschwichtigung der ultramontanen Partei berechnet,
die sich natürlich mit großer Lebhaftigkeit gegen ein Bündniß mit dem ver¬
haßten Piemont und gegen einen Krieg aussprach, dessen Folgen sür die
Integrität des Patrimoniums Petri unberechenbar waren. Die Wirkung
dieser von der Kaiserin unterstützten Angriffe auf den bis zum Augenblick
der Entscheidung immer unsicher und unentschlossen schwankenden, stets nach
Auswegen suchenden Geist des Kaisers war so groß, daß das ganze Unter¬
nehmen noch einmal in Frage gestellt wurde, daß Cavour außer sich war
über die Unentschlossenheit des Kaisers und daß selbst Herr von Hübner sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0272" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124422"/>
            <p xml:id="ID_791" prev="#ID_790"> nehm. Denn mit Leuten von Veuillots Schlage läßt sich schwer verhandeln;<lb/>
ihnen muß man zu Willen sein oder ihnen Schweigen auferlegen; was bei<lb/>
dem unbedingten Einfluß, den sie auf die Pfarrgeistlichkeit ausübten, bedenk¬<lb/>
lich erschien. Die Regierung handelte denn auch möglichst in ihrem<lb/>
Sinne; bei der Besetzung der erledigten Bischofsitze wurde sast nur auf Ul¬<lb/>
tramontane Rücksicht genommen, wofür denn Herr Veuillot Napoleon III.<lb/>
als einen zweiten Constcvitin feierte und in der Verherrlichung des kirchlichen<lb/>
und politischen Absolutismus das Aeußerste leistete.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_792"> Die Rücksichten, die auf diese fanatische und anspruchsvolle Partei zu<lb/>
nehmen waren, ließen den Kaiser lange schwanken, ehe er sich unwiderruflich<lb/>
zu einem Kriege entschloß, der auf die Lage des heiligen Stuhls nothwendig<lb/>
bedenklichen Einfluß ausüben mußte. Aber eines Krieges und zwar<lb/>
eines populären Krieges bedürfte er um jeden Preis, denn Frankreich fing<lb/>
an sich zu langweilen. Wie sein ewig brütender, planender Geist, ganz wie<lb/>
in seiner Jugend, in den abenteuerlichsten Combinationen sich bewegte, geht<lb/>
daraus hervor, daß er an ein Unternehmen zur Herstellung Polens dachte<lb/>
und sich sogar bemühte, den Kaiser Alexander für seine Idee zu gewinnen;<lb/>
natürlich vergeblich. Damit wurde denn der lang geplante, bereits auf dem<lb/>
Congreß drohend in der Ferne gezeigte Krieg gegen Oestreich beschlossene,<lb/>
wenn,auch, wie wir bald sehen werden, keineswegs unwiderruflich beschlos¬<lb/>
sene Sache. Es folgte die Zusammenkunft mit Cavour, in der das Programm<lb/>
entworfen wurde und der Neujahrsgruß 1859 an Baron Hübner, der die<lb/>
diplomatische Fehde einleitete.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_793" next="#ID_794"> Die Wirkung dieses Grußes war gewaltig. Niemand legte den Worten<lb/>
des Kaisers einen andern Sinn als den einer Kriegserklärung unter. Wenn<lb/>
dessen ungeachtet die officiösen Blätter angewiesen wurden, den politischen<lb/>
Horizont als völlig unbewölkt darzustellen, wenn die Presse wegen eines<lb/>
kriegerischen Artikels sich eine Verwarnung zuzog, wenn der Kaiser in der<lb/>
Rede, mit der er die Kammern eröffnete, noch nach der Vermählung des<lb/>
Prinzen Napoleon mit der Prinzessin Clotilde, die Situation als vollkommen<lb/>
friedlich schilderte, so war dies Verhalten weniger auf eine Täuschung Oest¬<lb/>
reichs, als auf die Beschwichtigung der ultramontanen Partei berechnet,<lb/>
die sich natürlich mit großer Lebhaftigkeit gegen ein Bündniß mit dem ver¬<lb/>
haßten Piemont und gegen einen Krieg aussprach, dessen Folgen sür die<lb/>
Integrität des Patrimoniums Petri unberechenbar waren. Die Wirkung<lb/>
dieser von der Kaiserin unterstützten Angriffe auf den bis zum Augenblick<lb/>
der Entscheidung immer unsicher und unentschlossen schwankenden, stets nach<lb/>
Auswegen suchenden Geist des Kaisers war so groß, daß das ganze Unter¬<lb/>
nehmen noch einmal in Frage gestellt wurde, daß Cavour außer sich war<lb/>
über die Unentschlossenheit des Kaisers und daß selbst Herr von Hübner sich</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0272] nehm. Denn mit Leuten von Veuillots Schlage läßt sich schwer verhandeln; ihnen muß man zu Willen sein oder ihnen Schweigen auferlegen; was bei dem unbedingten Einfluß, den sie auf die Pfarrgeistlichkeit ausübten, bedenk¬ lich erschien. Die Regierung handelte denn auch möglichst in ihrem Sinne; bei der Besetzung der erledigten Bischofsitze wurde sast nur auf Ul¬ tramontane Rücksicht genommen, wofür denn Herr Veuillot Napoleon III. als einen zweiten Constcvitin feierte und in der Verherrlichung des kirchlichen und politischen Absolutismus das Aeußerste leistete. Die Rücksichten, die auf diese fanatische und anspruchsvolle Partei zu nehmen waren, ließen den Kaiser lange schwanken, ehe er sich unwiderruflich zu einem Kriege entschloß, der auf die Lage des heiligen Stuhls nothwendig bedenklichen Einfluß ausüben mußte. Aber eines Krieges und zwar eines populären Krieges bedürfte er um jeden Preis, denn Frankreich fing an sich zu langweilen. Wie sein ewig brütender, planender Geist, ganz wie in seiner Jugend, in den abenteuerlichsten Combinationen sich bewegte, geht daraus hervor, daß er an ein Unternehmen zur Herstellung Polens dachte und sich sogar bemühte, den Kaiser Alexander für seine Idee zu gewinnen; natürlich vergeblich. Damit wurde denn der lang geplante, bereits auf dem Congreß drohend in der Ferne gezeigte Krieg gegen Oestreich beschlossene, wenn,auch, wie wir bald sehen werden, keineswegs unwiderruflich beschlos¬ sene Sache. Es folgte die Zusammenkunft mit Cavour, in der das Programm entworfen wurde und der Neujahrsgruß 1859 an Baron Hübner, der die diplomatische Fehde einleitete. Die Wirkung dieses Grußes war gewaltig. Niemand legte den Worten des Kaisers einen andern Sinn als den einer Kriegserklärung unter. Wenn dessen ungeachtet die officiösen Blätter angewiesen wurden, den politischen Horizont als völlig unbewölkt darzustellen, wenn die Presse wegen eines kriegerischen Artikels sich eine Verwarnung zuzog, wenn der Kaiser in der Rede, mit der er die Kammern eröffnete, noch nach der Vermählung des Prinzen Napoleon mit der Prinzessin Clotilde, die Situation als vollkommen friedlich schilderte, so war dies Verhalten weniger auf eine Täuschung Oest¬ reichs, als auf die Beschwichtigung der ultramontanen Partei berechnet, die sich natürlich mit großer Lebhaftigkeit gegen ein Bündniß mit dem ver¬ haßten Piemont und gegen einen Krieg aussprach, dessen Folgen sür die Integrität des Patrimoniums Petri unberechenbar waren. Die Wirkung dieser von der Kaiserin unterstützten Angriffe auf den bis zum Augenblick der Entscheidung immer unsicher und unentschlossen schwankenden, stets nach Auswegen suchenden Geist des Kaisers war so groß, daß das ganze Unter¬ nehmen noch einmal in Frage gestellt wurde, daß Cavour außer sich war über die Unentschlossenheit des Kaisers und daß selbst Herr von Hübner sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/272
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/272>, abgerufen am 26.06.2024.