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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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der klerikalen Partei zu rechnen, der er einen großen Theil seiner inneren
Erfolge verdankte und deren Beistand er auch in Zukunft nicht glaubte ent¬
behren zu können. Die klerikale Partei war damals die einzige einigermaßen
selbständige Macht in Frankreich neben dem Kaiser. Die radicale Partei
war in den Decembertagen zu Boden geworfen, ihre Führer waren theils
nach Cayenne deportirt, theils lebten sie als Flüchtlinge im Ausland. Die
gemäßigten Republikaner fingen zwar an. sich allmählig wieder zu sammeln
und ihrer Unthätigkeit zu schämen, wie wenig sie aber zu fürchten waren,
das geht daraus hervor, daß es ihnen höchstens in Paris und wenigen
großen Städten gelang, einige ihrer Führer bei den Wahlen durchzusetzen. Und
dabei waren sie in eine Anzahl Gruppen gespalten, von denen jede mit der Ver¬
bissenheit des beschränktesten doctnnären Eigensinns an ihrem "System" fest¬
hielt. Die alten monarchischen Parteien waren völlig aufgelöst; man konnte
wohl noch von Gruppen orleanistischer und legitimistischer Staatsmänner
sprechen; diese Staatsmänner aber hatten im conservativen Interesse den
Prinzen so eifrig wider die Republikaner unterstützt, daß, als derselbe sein
Ziel erreicht hatte, sie nach allen Seiten hin, völlig isolirt dastanden und
von dem Kaiserthum -- allerdings etwas voreilig -- zu den politisch Tod-
ven gezählt wurden. Ganz anders stand die Partei der Klerikalen da. Sie
hatten auf das Landvolk einen wenigstens ebenso großen Einfluß, als die
Radikalen auf die Bevölkerung der großen Städte: aber zwischen Leiden
Parteien bestand ein Unterschied; die Radicalen waren von Cavaignac ge¬
schlagen, von Napoleon zu Boden geworfen und gegenwärtig so entmuthigt,
daß der Kaiser einen revolutionären Handstreich nicht zu befürchten hatte.
Ihre einzige Waffe war die Emeute, und im Straßenkampfe war ihnen Na¬
poleon weit überlegen. Einer feindlichen Agitation der Klerikalen dagegen
hätte der Kaiser keine Truppen, sondern nur sein Beamtenheer entgegen¬
stellen können, und es auf die Probe ankommen zu lassen, ob der Bischof
oder der Präfect, der Pfarrer oder der Maire der stärkere sei, erschien dem
Kaiser bedenklich. Er mußte mit ihnen rechnen und ihre Empfindlichkeit
schonen; er behandelte sie wie einen Verbündeten, von dem man weiß, daß
er, rücksichtslos behandelt, ein gefährlicher Gegner werden würde.

Die politische Haltung der Klerikalen war wie immer und überall, so
auch in Frankreich stets nur durch ihre kirchlichen Interessen bestimmt, ein
Umstand, der es ihnen möglich machte, alle anderen Parteien zu über¬
leben. Politische Grundsätze besaßen sie nicht und ihre politischen Sym¬
pathien verhüllten sie sorgfältig, sobald es ihnen nicht gerathen erschien, die¬
selben zur Schau zu tragen. Republik, legitime Monarchie, Kaiserthum -- sie
fügten sich in Alles, sie schwärmten selbst für Alles, aber sie blieben die
katholische Partei, deren Fügsamkeit sofort aufhört, wenn ihre kirchlichen


der klerikalen Partei zu rechnen, der er einen großen Theil seiner inneren
Erfolge verdankte und deren Beistand er auch in Zukunft nicht glaubte ent¬
behren zu können. Die klerikale Partei war damals die einzige einigermaßen
selbständige Macht in Frankreich neben dem Kaiser. Die radicale Partei
war in den Decembertagen zu Boden geworfen, ihre Führer waren theils
nach Cayenne deportirt, theils lebten sie als Flüchtlinge im Ausland. Die
gemäßigten Republikaner fingen zwar an. sich allmählig wieder zu sammeln
und ihrer Unthätigkeit zu schämen, wie wenig sie aber zu fürchten waren,
das geht daraus hervor, daß es ihnen höchstens in Paris und wenigen
großen Städten gelang, einige ihrer Führer bei den Wahlen durchzusetzen. Und
dabei waren sie in eine Anzahl Gruppen gespalten, von denen jede mit der Ver¬
bissenheit des beschränktesten doctnnären Eigensinns an ihrem „System" fest¬
hielt. Die alten monarchischen Parteien waren völlig aufgelöst; man konnte
wohl noch von Gruppen orleanistischer und legitimistischer Staatsmänner
sprechen; diese Staatsmänner aber hatten im conservativen Interesse den
Prinzen so eifrig wider die Republikaner unterstützt, daß, als derselbe sein
Ziel erreicht hatte, sie nach allen Seiten hin, völlig isolirt dastanden und
von dem Kaiserthum — allerdings etwas voreilig — zu den politisch Tod-
ven gezählt wurden. Ganz anders stand die Partei der Klerikalen da. Sie
hatten auf das Landvolk einen wenigstens ebenso großen Einfluß, als die
Radikalen auf die Bevölkerung der großen Städte: aber zwischen Leiden
Parteien bestand ein Unterschied; die Radicalen waren von Cavaignac ge¬
schlagen, von Napoleon zu Boden geworfen und gegenwärtig so entmuthigt,
daß der Kaiser einen revolutionären Handstreich nicht zu befürchten hatte.
Ihre einzige Waffe war die Emeute, und im Straßenkampfe war ihnen Na¬
poleon weit überlegen. Einer feindlichen Agitation der Klerikalen dagegen
hätte der Kaiser keine Truppen, sondern nur sein Beamtenheer entgegen¬
stellen können, und es auf die Probe ankommen zu lassen, ob der Bischof
oder der Präfect, der Pfarrer oder der Maire der stärkere sei, erschien dem
Kaiser bedenklich. Er mußte mit ihnen rechnen und ihre Empfindlichkeit
schonen; er behandelte sie wie einen Verbündeten, von dem man weiß, daß
er, rücksichtslos behandelt, ein gefährlicher Gegner werden würde.

Die politische Haltung der Klerikalen war wie immer und überall, so
auch in Frankreich stets nur durch ihre kirchlichen Interessen bestimmt, ein
Umstand, der es ihnen möglich machte, alle anderen Parteien zu über¬
leben. Politische Grundsätze besaßen sie nicht und ihre politischen Sym¬
pathien verhüllten sie sorgfältig, sobald es ihnen nicht gerathen erschien, die¬
selben zur Schau zu tragen. Republik, legitime Monarchie, Kaiserthum — sie
fügten sich in Alles, sie schwärmten selbst für Alles, aber sie blieben die
katholische Partei, deren Fügsamkeit sofort aufhört, wenn ihre kirchlichen


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[0270] der klerikalen Partei zu rechnen, der er einen großen Theil seiner inneren Erfolge verdankte und deren Beistand er auch in Zukunft nicht glaubte ent¬ behren zu können. Die klerikale Partei war damals die einzige einigermaßen selbständige Macht in Frankreich neben dem Kaiser. Die radicale Partei war in den Decembertagen zu Boden geworfen, ihre Führer waren theils nach Cayenne deportirt, theils lebten sie als Flüchtlinge im Ausland. Die gemäßigten Republikaner fingen zwar an. sich allmählig wieder zu sammeln und ihrer Unthätigkeit zu schämen, wie wenig sie aber zu fürchten waren, das geht daraus hervor, daß es ihnen höchstens in Paris und wenigen großen Städten gelang, einige ihrer Führer bei den Wahlen durchzusetzen. Und dabei waren sie in eine Anzahl Gruppen gespalten, von denen jede mit der Ver¬ bissenheit des beschränktesten doctnnären Eigensinns an ihrem „System" fest¬ hielt. Die alten monarchischen Parteien waren völlig aufgelöst; man konnte wohl noch von Gruppen orleanistischer und legitimistischer Staatsmänner sprechen; diese Staatsmänner aber hatten im conservativen Interesse den Prinzen so eifrig wider die Republikaner unterstützt, daß, als derselbe sein Ziel erreicht hatte, sie nach allen Seiten hin, völlig isolirt dastanden und von dem Kaiserthum — allerdings etwas voreilig — zu den politisch Tod- ven gezählt wurden. Ganz anders stand die Partei der Klerikalen da. Sie hatten auf das Landvolk einen wenigstens ebenso großen Einfluß, als die Radikalen auf die Bevölkerung der großen Städte: aber zwischen Leiden Parteien bestand ein Unterschied; die Radicalen waren von Cavaignac ge¬ schlagen, von Napoleon zu Boden geworfen und gegenwärtig so entmuthigt, daß der Kaiser einen revolutionären Handstreich nicht zu befürchten hatte. Ihre einzige Waffe war die Emeute, und im Straßenkampfe war ihnen Na¬ poleon weit überlegen. Einer feindlichen Agitation der Klerikalen dagegen hätte der Kaiser keine Truppen, sondern nur sein Beamtenheer entgegen¬ stellen können, und es auf die Probe ankommen zu lassen, ob der Bischof oder der Präfect, der Pfarrer oder der Maire der stärkere sei, erschien dem Kaiser bedenklich. Er mußte mit ihnen rechnen und ihre Empfindlichkeit schonen; er behandelte sie wie einen Verbündeten, von dem man weiß, daß er, rücksichtslos behandelt, ein gefährlicher Gegner werden würde. Die politische Haltung der Klerikalen war wie immer und überall, so auch in Frankreich stets nur durch ihre kirchlichen Interessen bestimmt, ein Umstand, der es ihnen möglich machte, alle anderen Parteien zu über¬ leben. Politische Grundsätze besaßen sie nicht und ihre politischen Sym¬ pathien verhüllten sie sorgfältig, sobald es ihnen nicht gerathen erschien, die¬ selben zur Schau zu tragen. Republik, legitime Monarchie, Kaiserthum — sie fügten sich in Alles, sie schwärmten selbst für Alles, aber sie blieben die katholische Partei, deren Fügsamkeit sofort aufhört, wenn ihre kirchlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/270>, abgerufen am 26.06.2024.