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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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es noch eines Krieges zur Ausführung des kaiserlichen Friedensprogramms
bedürfen würde.

Oestreich hatte sich während des Krim-Krieges in der Illusion gewiegt,
daß es die Geschicke Europas in Händen habe. Es war in die Donau-
fürstenthümer eingerückt in der stillen Hoffnung, daß der Besetzung bald die
Besitzergreifung folgen werde. Es halte gehofft, durch diplomatische Finesse
im metternichschen Stile mehr zu erreichen, als ^?le Verbündeten durch das
Schwert erreichen würden. Dieser Hoffnung war nun allerdings dadurch ein
Riegel vorgeschoben worden, daß England und Frankreich auf jeden beson¬
deren Vortheil für sich verzichteten: denn diesem Verzicht gegenüber konnte
natürlich Oestreich nicht an einen Ländererwerb denken. Ueber die geschei¬
terte Aussicht tröstete es sich indessen mit dem scheinbar maßgebenden Ein¬
fluß, den es von Beginn bis zu Ende des Krieges auf die diplomatischen
Verhandlungen ausgeübt hatte. Aber Walewski's Worte und Cavour's
Haltung rüttelten es aus seiner Selbsttäuschung unsanft auf. Man konnte
jetzt in Wien nicht länger zweifeln, daß für Napoleon die Jsolirung Oest¬
reichs eins der wichtigsten Ergebnisse des Krieges war. Jetzt erkannte
Oestreich zu spät, daß es durch seine überfeine Politik Preußen mißtrauisch
gemacht, Rußland sich auf's bitterste verfeindet und dabei nicht einmal auf
den Dank Englands sich Anspruch erworben hatte.

Napoleon hatte seine Probe als Staatsmann bestanden; er hatte er¬
reicht, was eine besonnene Staatskunst erreichen konnte; ob durch eine aben¬
teuerliche Politik sich noch Höheres erreichen ließ, das sollte sich in dem
nächsten Kriege offenbaren.


V. Napoleon und Italien.

Wiederum war es ein außerordentlich populärer Zweck, für den Na¬
poleon sich zum Kampfe vorbereitete. Die Befreiung Italiens -- das war
in der That eine hohe und schöne Aufgabe, zu schön für den, Mann des De¬
zembers, zu hoch für das Verständniß und den Charakter des französischen
Volkes, das, während es eine Idee auf sein Banner schreibt, stets nur für
Raub und Beute in den Kampf zieht.

Welches war das natürliche und berechtigte Ziel der italienischen Natio¬
nalpartei, die in dem Königreich Sardinien einen starken, kräftig organisirten
Mittelpunkt gefunden hatte, und was wollte, was konnte Napoleon den
Italienern bieten?

Das Ziel der Italiener war -- das hatte sich 1848 klar herausgestellt --
ein doppeltes: zunächst und vor Allem die Befreiung Italiens von jedem
fremden Einfluß, ein Ziel, das sich natürlich nur durch Vertreibung der
Oestreicher erreichen ließ, und sodann die Vereinigung aller italienischen Lande


es noch eines Krieges zur Ausführung des kaiserlichen Friedensprogramms
bedürfen würde.

Oestreich hatte sich während des Krim-Krieges in der Illusion gewiegt,
daß es die Geschicke Europas in Händen habe. Es war in die Donau-
fürstenthümer eingerückt in der stillen Hoffnung, daß der Besetzung bald die
Besitzergreifung folgen werde. Es halte gehofft, durch diplomatische Finesse
im metternichschen Stile mehr zu erreichen, als ^?le Verbündeten durch das
Schwert erreichen würden. Dieser Hoffnung war nun allerdings dadurch ein
Riegel vorgeschoben worden, daß England und Frankreich auf jeden beson¬
deren Vortheil für sich verzichteten: denn diesem Verzicht gegenüber konnte
natürlich Oestreich nicht an einen Ländererwerb denken. Ueber die geschei¬
terte Aussicht tröstete es sich indessen mit dem scheinbar maßgebenden Ein¬
fluß, den es von Beginn bis zu Ende des Krieges auf die diplomatischen
Verhandlungen ausgeübt hatte. Aber Walewski's Worte und Cavour's
Haltung rüttelten es aus seiner Selbsttäuschung unsanft auf. Man konnte
jetzt in Wien nicht länger zweifeln, daß für Napoleon die Jsolirung Oest¬
reichs eins der wichtigsten Ergebnisse des Krieges war. Jetzt erkannte
Oestreich zu spät, daß es durch seine überfeine Politik Preußen mißtrauisch
gemacht, Rußland sich auf's bitterste verfeindet und dabei nicht einmal auf
den Dank Englands sich Anspruch erworben hatte.

Napoleon hatte seine Probe als Staatsmann bestanden; er hatte er¬
reicht, was eine besonnene Staatskunst erreichen konnte; ob durch eine aben¬
teuerliche Politik sich noch Höheres erreichen ließ, das sollte sich in dem
nächsten Kriege offenbaren.


V. Napoleon und Italien.

Wiederum war es ein außerordentlich populärer Zweck, für den Na¬
poleon sich zum Kampfe vorbereitete. Die Befreiung Italiens — das war
in der That eine hohe und schöne Aufgabe, zu schön für den, Mann des De¬
zembers, zu hoch für das Verständniß und den Charakter des französischen
Volkes, das, während es eine Idee auf sein Banner schreibt, stets nur für
Raub und Beute in den Kampf zieht.

Welches war das natürliche und berechtigte Ziel der italienischen Natio¬
nalpartei, die in dem Königreich Sardinien einen starken, kräftig organisirten
Mittelpunkt gefunden hatte, und was wollte, was konnte Napoleon den
Italienern bieten?

Das Ziel der Italiener war — das hatte sich 1848 klar herausgestellt —
ein doppeltes: zunächst und vor Allem die Befreiung Italiens von jedem
fremden Einfluß, ein Ziel, das sich natürlich nur durch Vertreibung der
Oestreicher erreichen ließ, und sodann die Vereinigung aller italienischen Lande


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/268>, abgerufen am 26.06.2024.