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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Europa war ruhig, weil es eben nicht wußte, was Napoleon unter Empire
verstand: das Empire war ihm nicht etwa nur ein Frankreich, das statt
von einem Könige von einem Kaiser beherrscht wird, sondern ein Frankreich,
das stark genug war, der Welt seine Gesetze vorzuschreiben. Ließ sich die
Welt das gefallen, dann war der Friede allerdings gesichert; will die Welt
das französische Schiedsrichteramt nicht ertragen, dann ist es ihre Schuld
wenn das Kaiserthum sich genöthigt sieht, die Anerkennung seines providen-
tiellen Berufes sich zu erkämpfen. Es ist eine Phrase, der jeder Franzose
mit Begeisterung zustimmt: wenn Frankreich sich zufrieden fühlte, so ist der
Friede der Welt gesichert, und das zufriedene Frankreich, das ist eben das
Empire. Originell ist die Anschauungsweise Napoleons durchaus nicht: sie
ist chauvinistisch, echt französisch. Er hat ihr nur den kaiserlichen Stempel
aufgedrückt und ihr gemäß gehandelt.

Wer in die Verhältnisse eingeweiht war, konnte wissen, daß der Kaiser
auf nichts weniger als auf eine Fortsetzung der Friedenspolitik, wie Ludwig
Philipp sie verstanden hatte, bedacht war. Unmittelbar nach dem Staats¬
streich hatte er sich zur Annexion Belgiens entschlossen und war nur auf
das dringende Zureden seiner consnvativen Freunde von diesem Entschlüsse
zurückgetreten. Dem König Friedrich Wilhelm IV. hatte er gegen das Zu-
geständniß einer Gcenzregulirung am Rhein ein Bündniß gegen Oestreich
angeboten, war aber damit abgewiesen worden. Zu einem gewaltsamen
Eingreifen in die Verhältnisse Europas war er also entschlossen, das mußte
man an allen Höfen wissen, und nur darüber konnte man im Zweifel sein,
ob er in die hohe Politik mit einem brutalen Gewaltaet oder als Vertreter
eines großen europäischen Interesses eintreten würde. Das aus hochmüthiger
Ueberschätzung der russischen Macht hervorgehende herrische Verfahren des
Kaisers Nikolaus in der Frage der heiligen Stätten gewährte ihm die Ge¬
legenheit, als Beschützer eines allgemeinen Interesses, des Gleichgewichts, aus¬
zutreten, und in der Art, wie er diese Gelegenheit benutzte, zeigte er Mäßi¬
gung, Klugheit und in den entscheidenden Augenblicken Entschlossenheit, so-
daß die öffentliche Meinung ihm nach dem Krimknege den ersten Rang unter
den Staatsmännern der damaligen Zeit anwies, ja daß er, den man nur
eines abenteuernden Dilettantismus für sähig gehalten hatte, wenigstens auf
kurze Zeit eines weit verbreiteten Vertrauens genoß. Nach dem russischen
Kuege konnte die Meinung aufkommen, daß das Kaiserthum von nun an
wirklich der Friede sei.

Die Darstellung der diplomatischen Verhandlungen und der internatio¬
nalen Verhältnisse überhaupt ist nicht die starke Seite des Werkes von
Taxile Delord. Durch geistreiche Redewendungen, pikante, aber zum Theil
höchst oberflächliche Schilderungen dieser oder jener bedeutenden Persönlichkeit


Europa war ruhig, weil es eben nicht wußte, was Napoleon unter Empire
verstand: das Empire war ihm nicht etwa nur ein Frankreich, das statt
von einem Könige von einem Kaiser beherrscht wird, sondern ein Frankreich,
das stark genug war, der Welt seine Gesetze vorzuschreiben. Ließ sich die
Welt das gefallen, dann war der Friede allerdings gesichert; will die Welt
das französische Schiedsrichteramt nicht ertragen, dann ist es ihre Schuld
wenn das Kaiserthum sich genöthigt sieht, die Anerkennung seines providen-
tiellen Berufes sich zu erkämpfen. Es ist eine Phrase, der jeder Franzose
mit Begeisterung zustimmt: wenn Frankreich sich zufrieden fühlte, so ist der
Friede der Welt gesichert, und das zufriedene Frankreich, das ist eben das
Empire. Originell ist die Anschauungsweise Napoleons durchaus nicht: sie
ist chauvinistisch, echt französisch. Er hat ihr nur den kaiserlichen Stempel
aufgedrückt und ihr gemäß gehandelt.

Wer in die Verhältnisse eingeweiht war, konnte wissen, daß der Kaiser
auf nichts weniger als auf eine Fortsetzung der Friedenspolitik, wie Ludwig
Philipp sie verstanden hatte, bedacht war. Unmittelbar nach dem Staats¬
streich hatte er sich zur Annexion Belgiens entschlossen und war nur auf
das dringende Zureden seiner consnvativen Freunde von diesem Entschlüsse
zurückgetreten. Dem König Friedrich Wilhelm IV. hatte er gegen das Zu-
geständniß einer Gcenzregulirung am Rhein ein Bündniß gegen Oestreich
angeboten, war aber damit abgewiesen worden. Zu einem gewaltsamen
Eingreifen in die Verhältnisse Europas war er also entschlossen, das mußte
man an allen Höfen wissen, und nur darüber konnte man im Zweifel sein,
ob er in die hohe Politik mit einem brutalen Gewaltaet oder als Vertreter
eines großen europäischen Interesses eintreten würde. Das aus hochmüthiger
Ueberschätzung der russischen Macht hervorgehende herrische Verfahren des
Kaisers Nikolaus in der Frage der heiligen Stätten gewährte ihm die Ge¬
legenheit, als Beschützer eines allgemeinen Interesses, des Gleichgewichts, aus¬
zutreten, und in der Art, wie er diese Gelegenheit benutzte, zeigte er Mäßi¬
gung, Klugheit und in den entscheidenden Augenblicken Entschlossenheit, so-
daß die öffentliche Meinung ihm nach dem Krimknege den ersten Rang unter
den Staatsmännern der damaligen Zeit anwies, ja daß er, den man nur
eines abenteuernden Dilettantismus für sähig gehalten hatte, wenigstens auf
kurze Zeit eines weit verbreiteten Vertrauens genoß. Nach dem russischen
Kuege konnte die Meinung aufkommen, daß das Kaiserthum von nun an
wirklich der Friede sei.

Die Darstellung der diplomatischen Verhandlungen und der internatio¬
nalen Verhältnisse überhaupt ist nicht die starke Seite des Werkes von
Taxile Delord. Durch geistreiche Redewendungen, pikante, aber zum Theil
höchst oberflächliche Schilderungen dieser oder jener bedeutenden Persönlichkeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/263>, abgerufen am 26.06.2024.