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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Dng Weite Kaiserreich im Lichte der französischen Geschichte
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IV. Auswärtige Politik.
Der orientalische und italienische Krieg.

In Napoleons auswärtiger Politik lassen sich zwei Perioden unterschei¬
den. In der ersten verfolgt der Kaiser einen scharfumgrenzten, klaren, be¬
stimmten Plan. Als Beschützer des europäischen Gleichgewichts übernimmt er
die Führung einer Coalition gegen den russischen Koloß; er führt den Krieg
genau so weit, wie sein Interesse es erheischte; er geht aus dem Kriege als
der Schiedsrichter Europas hervor: eine Stellung, die er mehr noch seiner
Politik, als dem Erfolg seiner Waffen verdankte. Die Stellung war ge¬
waltig und sie war richtig verwendet, vielleicht auf eine lange Reihe von
Jahren unerschütterlich. Aber die Stellung genügt dem Kaiser nicht. Er
läßt sich, scheinbar als Vertreter des Nationalitätenprincips, Oestreich gegen¬
über von seinem unruhigen Ehrgeiz zu einer angreifenden Politik bestimmen,
nicht in einem Augenblicke leidenschaftlicher Aufregung, sondern nach einem
wohlberechneten, lange und sorgfältig erwogenen Plane. Das Nationalitäts¬
princip reißt die Schranke, die er ihr setzen will, nieder; er entschädigt sich
für seine moralische Niederlage durch die Annexion Nizzas und Savoyens,
der Befreier zeigt sich unverhüllt als Eroberer. Damit erbleicht der Glanz
seines Namens. Aber je mehr er die Abnahme seiner Macht und seines An-
sehns empfindet, umso ausschweifender und phantastischer werden seine Pläne,
umso unsicherer seine Rechnungen, umso verhängnißvoller seine Fehler.
Diplomatisch auf allen Punkten geschlagen rafft er sich noch einmal zu einem
unerhörten Gewciltstreich auf -- und noch verhüllt der Schleier der Zukunft
die Antwort, welche ihm das Schicksal, das er herausgefordert hat, ertheilen
wird. Wir aber sind entschlossen, Alles daran zu setzen, um unsere Rechnung
mit dem Bonapartismus und dem Chauvinismus, mit dem Kaiser und dem
französischen Staate und Volke, soweit es die Mitschuld für das Verbrechen
des Kaisers übernommen hat, gründlich zu regeln.

Der Kaiser hatte sein auswärtiges Programm in die berühmten Worte
zusammengefaßt: 1'omxirö o'est I", Mix! Die Wirkung dieses Wortes aus
die besitzende Classe Frankreichs war unglaublich. Und auch das Ausland
fühlte sich einigermaßen beruhigt, als es sah, wie der Nffe des gewaltigen
Kriegsfürsten der Welt den Oelzweig entgegenstreckte, zumal da die erste
Thronrede des Kaisers von Friedenswünschen überfloß, deren Aufrichtigkeit
durch eine Verminderung des Heeresbestandeö verbürgt zu werden schien.


Dng Weite Kaiserreich im Lichte der französischen Geschichte
schrcilnmg.
IV. Auswärtige Politik.
Der orientalische und italienische Krieg.

In Napoleons auswärtiger Politik lassen sich zwei Perioden unterschei¬
den. In der ersten verfolgt der Kaiser einen scharfumgrenzten, klaren, be¬
stimmten Plan. Als Beschützer des europäischen Gleichgewichts übernimmt er
die Führung einer Coalition gegen den russischen Koloß; er führt den Krieg
genau so weit, wie sein Interesse es erheischte; er geht aus dem Kriege als
der Schiedsrichter Europas hervor: eine Stellung, die er mehr noch seiner
Politik, als dem Erfolg seiner Waffen verdankte. Die Stellung war ge¬
waltig und sie war richtig verwendet, vielleicht auf eine lange Reihe von
Jahren unerschütterlich. Aber die Stellung genügt dem Kaiser nicht. Er
läßt sich, scheinbar als Vertreter des Nationalitätenprincips, Oestreich gegen¬
über von seinem unruhigen Ehrgeiz zu einer angreifenden Politik bestimmen,
nicht in einem Augenblicke leidenschaftlicher Aufregung, sondern nach einem
wohlberechneten, lange und sorgfältig erwogenen Plane. Das Nationalitäts¬
princip reißt die Schranke, die er ihr setzen will, nieder; er entschädigt sich
für seine moralische Niederlage durch die Annexion Nizzas und Savoyens,
der Befreier zeigt sich unverhüllt als Eroberer. Damit erbleicht der Glanz
seines Namens. Aber je mehr er die Abnahme seiner Macht und seines An-
sehns empfindet, umso ausschweifender und phantastischer werden seine Pläne,
umso unsicherer seine Rechnungen, umso verhängnißvoller seine Fehler.
Diplomatisch auf allen Punkten geschlagen rafft er sich noch einmal zu einem
unerhörten Gewciltstreich auf — und noch verhüllt der Schleier der Zukunft
die Antwort, welche ihm das Schicksal, das er herausgefordert hat, ertheilen
wird. Wir aber sind entschlossen, Alles daran zu setzen, um unsere Rechnung
mit dem Bonapartismus und dem Chauvinismus, mit dem Kaiser und dem
französischen Staate und Volke, soweit es die Mitschuld für das Verbrechen
des Kaisers übernommen hat, gründlich zu regeln.

Der Kaiser hatte sein auswärtiges Programm in die berühmten Worte
zusammengefaßt: 1'omxirö o'est I», Mix! Die Wirkung dieses Wortes aus
die besitzende Classe Frankreichs war unglaublich. Und auch das Ausland
fühlte sich einigermaßen beruhigt, als es sah, wie der Nffe des gewaltigen
Kriegsfürsten der Welt den Oelzweig entgegenstreckte, zumal da die erste
Thronrede des Kaisers von Friedenswünschen überfloß, deren Aufrichtigkeit
durch eine Verminderung des Heeresbestandeö verbürgt zu werden schien.


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[0262] Dng Weite Kaiserreich im Lichte der französischen Geschichte schrcilnmg. IV. Auswärtige Politik. Der orientalische und italienische Krieg. In Napoleons auswärtiger Politik lassen sich zwei Perioden unterschei¬ den. In der ersten verfolgt der Kaiser einen scharfumgrenzten, klaren, be¬ stimmten Plan. Als Beschützer des europäischen Gleichgewichts übernimmt er die Führung einer Coalition gegen den russischen Koloß; er führt den Krieg genau so weit, wie sein Interesse es erheischte; er geht aus dem Kriege als der Schiedsrichter Europas hervor: eine Stellung, die er mehr noch seiner Politik, als dem Erfolg seiner Waffen verdankte. Die Stellung war ge¬ waltig und sie war richtig verwendet, vielleicht auf eine lange Reihe von Jahren unerschütterlich. Aber die Stellung genügt dem Kaiser nicht. Er läßt sich, scheinbar als Vertreter des Nationalitätenprincips, Oestreich gegen¬ über von seinem unruhigen Ehrgeiz zu einer angreifenden Politik bestimmen, nicht in einem Augenblicke leidenschaftlicher Aufregung, sondern nach einem wohlberechneten, lange und sorgfältig erwogenen Plane. Das Nationalitäts¬ princip reißt die Schranke, die er ihr setzen will, nieder; er entschädigt sich für seine moralische Niederlage durch die Annexion Nizzas und Savoyens, der Befreier zeigt sich unverhüllt als Eroberer. Damit erbleicht der Glanz seines Namens. Aber je mehr er die Abnahme seiner Macht und seines An- sehns empfindet, umso ausschweifender und phantastischer werden seine Pläne, umso unsicherer seine Rechnungen, umso verhängnißvoller seine Fehler. Diplomatisch auf allen Punkten geschlagen rafft er sich noch einmal zu einem unerhörten Gewciltstreich auf — und noch verhüllt der Schleier der Zukunft die Antwort, welche ihm das Schicksal, das er herausgefordert hat, ertheilen wird. Wir aber sind entschlossen, Alles daran zu setzen, um unsere Rechnung mit dem Bonapartismus und dem Chauvinismus, mit dem Kaiser und dem französischen Staate und Volke, soweit es die Mitschuld für das Verbrechen des Kaisers übernommen hat, gründlich zu regeln. Der Kaiser hatte sein auswärtiges Programm in die berühmten Worte zusammengefaßt: 1'omxirö o'est I», Mix! Die Wirkung dieses Wortes aus die besitzende Classe Frankreichs war unglaublich. Und auch das Ausland fühlte sich einigermaßen beruhigt, als es sah, wie der Nffe des gewaltigen Kriegsfürsten der Welt den Oelzweig entgegenstreckte, zumal da die erste Thronrede des Kaisers von Friedenswünschen überfloß, deren Aufrichtigkeit durch eine Verminderung des Heeresbestandeö verbürgt zu werden schien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/262>, abgerufen am 26.06.2024.