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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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das Hilfsbedürfttgkeit in gewöhnlichen Zeiten und Zuständen erweckt, son¬
dern aus vorbehaltloser Sympathie mit den unschuldigen Opfern einer großen
nationalen Krisis -- und hingenommen mit dem Bewußtsein, nichts dafür
zu können, daß man sich etwas schenken lassen muß. Solche Gaben gewährt
und nimmt man naturgemäß unendlich viel leichter, sorgloser und unbe¬
dachter, als was den Charakter simplen Almosens an sich trägt. Aber auch
an ihren Empfang können die Bedürftigen sich allzusehr gewöhnen. Zumal
wenn der Krieg sich verlängern sollte -- was als eine Möglichkeit doch
in jeder Rechnung jetzt mit vorgesehen werden muß --, würde im Schoße
mehr als Einer so unterstützten Familie jene sittlich-wirthschaftliche Erschlaf¬
fung eintreten, welche die inne.fließende Quelle von Noth und Ansprüchen
an fremdes Erbarmen ist, und was während des Krieges unsträflich ange¬
fangen hätte, das möchte dann im Frieden schuldvoll und verhängnißvoll
fortdauern. Daher gilt es auch hier, die Quelle gar nicht aufspringen zu
lassen. Die Unterstützungen während des Krieges müssen so dargereicht wer¬
den, daß sie keine selbständig wirthschaftenden Familien zu almosenlüsternen
erziehen, und folglich der nachfolgenden Friedenszeit nicht eine von den ma¬
teriellen Wirkungen des Krieges ganz unabhängige Massennoth hinterlassen.

Zur Sicherung dieses hochwichtigen Zweckes bedarf es besonders -- wie
zu jeder guten und wirksamen Armenpflege -- zweier Bedingungen: einheit¬
licher Verwaltung und wohlgegliederter, gut geleiteter Organisation der¬
selben. Es sollte vermieden werden, die gesetzliche Zwangsunterstützung und
die freiwilligen außerordentlichen Gaben von einander gänzlich getrennt zu
verabreichen. Wo beide Thätigkeiten sich nicht organisch vereinigen lassen,
müssen sie mindestens fortlaufend genug von einander erfahren, um sich nicht
gegenseitig in dem Einfluß auf die fraglichen Familien zu stören. Beide
aber auch, namentlich jedoch die Verwendung der freiwilligen Gaben darf
nicht anders unterstützen, als auf Grund genauer Untersuchung jedes einzel¬
nen Falls und nach festen Grundsätzen. Mag man in der Bemessung der
Zuschüsse so freigebig sein, wie die verfügbaren Summen es nachhaltig ge¬
statten und der Geist dieser großen vaterländischen Erhebung es mit sich zu
bringen scheint: aber man sei nicht lax oder willkürlich in der Anwendung
der festgestellten Sätze aus den individuellen Fall, sondern widme sich dieser
Pflicht ebenso ernst und treu, wie unsere Krieger ihrem dornenvollen Beruf,
damit weder sie noch das Gemeinwesen einst Ursache finde, zu beklagen, daß
der Unterstützungsverein es mit seiner selbstangeeigneten Pflicht nicht etwas
strenger und gewissenhafter genommen habe!




das Hilfsbedürfttgkeit in gewöhnlichen Zeiten und Zuständen erweckt, son¬
dern aus vorbehaltloser Sympathie mit den unschuldigen Opfern einer großen
nationalen Krisis — und hingenommen mit dem Bewußtsein, nichts dafür
zu können, daß man sich etwas schenken lassen muß. Solche Gaben gewährt
und nimmt man naturgemäß unendlich viel leichter, sorgloser und unbe¬
dachter, als was den Charakter simplen Almosens an sich trägt. Aber auch
an ihren Empfang können die Bedürftigen sich allzusehr gewöhnen. Zumal
wenn der Krieg sich verlängern sollte — was als eine Möglichkeit doch
in jeder Rechnung jetzt mit vorgesehen werden muß —, würde im Schoße
mehr als Einer so unterstützten Familie jene sittlich-wirthschaftliche Erschlaf¬
fung eintreten, welche die inne.fließende Quelle von Noth und Ansprüchen
an fremdes Erbarmen ist, und was während des Krieges unsträflich ange¬
fangen hätte, das möchte dann im Frieden schuldvoll und verhängnißvoll
fortdauern. Daher gilt es auch hier, die Quelle gar nicht aufspringen zu
lassen. Die Unterstützungen während des Krieges müssen so dargereicht wer¬
den, daß sie keine selbständig wirthschaftenden Familien zu almosenlüsternen
erziehen, und folglich der nachfolgenden Friedenszeit nicht eine von den ma¬
teriellen Wirkungen des Krieges ganz unabhängige Massennoth hinterlassen.

Zur Sicherung dieses hochwichtigen Zweckes bedarf es besonders — wie
zu jeder guten und wirksamen Armenpflege — zweier Bedingungen: einheit¬
licher Verwaltung und wohlgegliederter, gut geleiteter Organisation der¬
selben. Es sollte vermieden werden, die gesetzliche Zwangsunterstützung und
die freiwilligen außerordentlichen Gaben von einander gänzlich getrennt zu
verabreichen. Wo beide Thätigkeiten sich nicht organisch vereinigen lassen,
müssen sie mindestens fortlaufend genug von einander erfahren, um sich nicht
gegenseitig in dem Einfluß auf die fraglichen Familien zu stören. Beide
aber auch, namentlich jedoch die Verwendung der freiwilligen Gaben darf
nicht anders unterstützen, als auf Grund genauer Untersuchung jedes einzel¬
nen Falls und nach festen Grundsätzen. Mag man in der Bemessung der
Zuschüsse so freigebig sein, wie die verfügbaren Summen es nachhaltig ge¬
statten und der Geist dieser großen vaterländischen Erhebung es mit sich zu
bringen scheint: aber man sei nicht lax oder willkürlich in der Anwendung
der festgestellten Sätze aus den individuellen Fall, sondern widme sich dieser
Pflicht ebenso ernst und treu, wie unsere Krieger ihrem dornenvollen Beruf,
damit weder sie noch das Gemeinwesen einst Ursache finde, zu beklagen, daß
der Unterstützungsverein es mit seiner selbstangeeigneten Pflicht nicht etwas
strenger und gewissenhafter genommen habe!




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[0261] das Hilfsbedürfttgkeit in gewöhnlichen Zeiten und Zuständen erweckt, son¬ dern aus vorbehaltloser Sympathie mit den unschuldigen Opfern einer großen nationalen Krisis — und hingenommen mit dem Bewußtsein, nichts dafür zu können, daß man sich etwas schenken lassen muß. Solche Gaben gewährt und nimmt man naturgemäß unendlich viel leichter, sorgloser und unbe¬ dachter, als was den Charakter simplen Almosens an sich trägt. Aber auch an ihren Empfang können die Bedürftigen sich allzusehr gewöhnen. Zumal wenn der Krieg sich verlängern sollte — was als eine Möglichkeit doch in jeder Rechnung jetzt mit vorgesehen werden muß —, würde im Schoße mehr als Einer so unterstützten Familie jene sittlich-wirthschaftliche Erschlaf¬ fung eintreten, welche die inne.fließende Quelle von Noth und Ansprüchen an fremdes Erbarmen ist, und was während des Krieges unsträflich ange¬ fangen hätte, das möchte dann im Frieden schuldvoll und verhängnißvoll fortdauern. Daher gilt es auch hier, die Quelle gar nicht aufspringen zu lassen. Die Unterstützungen während des Krieges müssen so dargereicht wer¬ den, daß sie keine selbständig wirthschaftenden Familien zu almosenlüsternen erziehen, und folglich der nachfolgenden Friedenszeit nicht eine von den ma¬ teriellen Wirkungen des Krieges ganz unabhängige Massennoth hinterlassen. Zur Sicherung dieses hochwichtigen Zweckes bedarf es besonders — wie zu jeder guten und wirksamen Armenpflege — zweier Bedingungen: einheit¬ licher Verwaltung und wohlgegliederter, gut geleiteter Organisation der¬ selben. Es sollte vermieden werden, die gesetzliche Zwangsunterstützung und die freiwilligen außerordentlichen Gaben von einander gänzlich getrennt zu verabreichen. Wo beide Thätigkeiten sich nicht organisch vereinigen lassen, müssen sie mindestens fortlaufend genug von einander erfahren, um sich nicht gegenseitig in dem Einfluß auf die fraglichen Familien zu stören. Beide aber auch, namentlich jedoch die Verwendung der freiwilligen Gaben darf nicht anders unterstützen, als auf Grund genauer Untersuchung jedes einzel¬ nen Falls und nach festen Grundsätzen. Mag man in der Bemessung der Zuschüsse so freigebig sein, wie die verfügbaren Summen es nachhaltig ge¬ statten und der Geist dieser großen vaterländischen Erhebung es mit sich zu bringen scheint: aber man sei nicht lax oder willkürlich in der Anwendung der festgestellten Sätze aus den individuellen Fall, sondern widme sich dieser Pflicht ebenso ernst und treu, wie unsere Krieger ihrem dornenvollen Beruf, damit weder sie noch das Gemeinwesen einst Ursache finde, zu beklagen, daß der Unterstützungsverein es mit seiner selbstangeeigneten Pflicht nicht etwas strenger und gewissenhafter genommen habe!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/261>, abgerufen am 26.06.2024.