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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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einer blutigen Schlacht, die Tausende von Verwundeten zurückgelassen hat.
eine nahegelegene Stadt ihr Krankenhaus denselben öffnet ohne sich ängst¬
lich an die vorschriftsmäßige Zahl der Betten zu binden, so wird sie dafür
zunächst nur Lob und Beifall ernten. Aber wenn sie die Leidenden dann
dauernd in dichter Zusammendrängung liegen läßt, bis sich die Keime mör¬
derischer Seuchen entwickeln und weit über die Grenzen des städtischen Hospi¬
tals hinaus zahlreiche Opfer verschlingen, so kann alle Berufung auf die ur¬
sprüngliche Nothwendigkeit und unbestreitbar gute Absicht von der Verwal¬
tung herben Tadel nicht abwenden. Oder wenn man -- was freilich ein
leichterer Fall wäre -- bei der Verpflegung und Erfrischung der durchreisen¬
den Truppen irgendwo Kuchen für Brod oder Branntwein für Bier dar¬
geboten hätte, so würde der Erfolg leicht das Gegentheil des beabsichtigten
wohlwollenden Zweckes ergeben haben, wenigstens bei Leuten mit schwächerer
Verdauungskraft.

Etwas ganz ähnliches gilt für die aller Orten eröffnete Liebesthätigkeit
zu Gunsten der Familien ausgezogener Krieger; nur daß es sich hier dem
gewöhnlichen Verständniß, dem durchschnittlich angewendeten Grade von
Sorgfalt noch weit eher entzieht. Daher machen wir hier ausdrücklich und
bei Zeiten darauf aufmerksam.

In Preußen sind bekanntlich die Kreise als solche verpflichtet, die Fa¬
milien ausrückender Landwehrmänner mit Thaler im Sommer und
2 Thaler im Winter sür die Frau, ^ Thaler für jedes Kind, zu unter¬
stützen ; und eine gleiche oder ähnliche Zwangsunterstützung wird in den
meisten übrigen deutschen Staaten neuerdings eingeführt sein oder noch ein¬
geführt werden. Allein wo der Abgang des Familienvaters wirklich sofortige
Entblößung vom Nothwendigen nach sich zieht, da ist die genannte Summe
selbstverständlich, nur wie ein Tropfen für einen Hundstagsdurst. Und es
gibt ferner auch außerhalb des Kreises von Kriegern, dessen Angehörige so
der öffentlichen Zwangsunterstützung innerhalb bestimmter pecuniärer Gren¬
zen überwiesen werden, bei einem großen Kriege Männer genug, deren Fa¬
milien in ganz dieselbe berücksichtigungswerthe Lage gerathen. Für beide.
Reihen von Fällen müssen die jetzt entstandenen Vereine oder angestellten
Sammlungen aufkommen. Allein dies muß geschehen unter sorgfältiger Be¬
achtung der Grundsätze, welche in der Armenpflege überhaupt am Platze und
erprobt sind. Sonst erwächst dem Vaterlande die Gefahr, unter den vor¬
aussichtlichen schweren und mannichfachen Nachwehen des Krieges auch solche
aushalten zu müssen, welche bei besserer Ueberlegung und Aufsicht wohl zu
vermeiden gewesen wären.

Es handelt sich hier um außerordentliche Unterstützungen, angeboten nicht
aus jenem wo nicht verachtenden, so doch jedenfalls mißtrauischen Mitgefühl,


einer blutigen Schlacht, die Tausende von Verwundeten zurückgelassen hat.
eine nahegelegene Stadt ihr Krankenhaus denselben öffnet ohne sich ängst¬
lich an die vorschriftsmäßige Zahl der Betten zu binden, so wird sie dafür
zunächst nur Lob und Beifall ernten. Aber wenn sie die Leidenden dann
dauernd in dichter Zusammendrängung liegen läßt, bis sich die Keime mör¬
derischer Seuchen entwickeln und weit über die Grenzen des städtischen Hospi¬
tals hinaus zahlreiche Opfer verschlingen, so kann alle Berufung auf die ur¬
sprüngliche Nothwendigkeit und unbestreitbar gute Absicht von der Verwal¬
tung herben Tadel nicht abwenden. Oder wenn man — was freilich ein
leichterer Fall wäre — bei der Verpflegung und Erfrischung der durchreisen¬
den Truppen irgendwo Kuchen für Brod oder Branntwein für Bier dar¬
geboten hätte, so würde der Erfolg leicht das Gegentheil des beabsichtigten
wohlwollenden Zweckes ergeben haben, wenigstens bei Leuten mit schwächerer
Verdauungskraft.

Etwas ganz ähnliches gilt für die aller Orten eröffnete Liebesthätigkeit
zu Gunsten der Familien ausgezogener Krieger; nur daß es sich hier dem
gewöhnlichen Verständniß, dem durchschnittlich angewendeten Grade von
Sorgfalt noch weit eher entzieht. Daher machen wir hier ausdrücklich und
bei Zeiten darauf aufmerksam.

In Preußen sind bekanntlich die Kreise als solche verpflichtet, die Fa¬
milien ausrückender Landwehrmänner mit Thaler im Sommer und
2 Thaler im Winter sür die Frau, ^ Thaler für jedes Kind, zu unter¬
stützen ; und eine gleiche oder ähnliche Zwangsunterstützung wird in den
meisten übrigen deutschen Staaten neuerdings eingeführt sein oder noch ein¬
geführt werden. Allein wo der Abgang des Familienvaters wirklich sofortige
Entblößung vom Nothwendigen nach sich zieht, da ist die genannte Summe
selbstverständlich, nur wie ein Tropfen für einen Hundstagsdurst. Und es
gibt ferner auch außerhalb des Kreises von Kriegern, dessen Angehörige so
der öffentlichen Zwangsunterstützung innerhalb bestimmter pecuniärer Gren¬
zen überwiesen werden, bei einem großen Kriege Männer genug, deren Fa¬
milien in ganz dieselbe berücksichtigungswerthe Lage gerathen. Für beide.
Reihen von Fällen müssen die jetzt entstandenen Vereine oder angestellten
Sammlungen aufkommen. Allein dies muß geschehen unter sorgfältiger Be¬
achtung der Grundsätze, welche in der Armenpflege überhaupt am Platze und
erprobt sind. Sonst erwächst dem Vaterlande die Gefahr, unter den vor¬
aussichtlichen schweren und mannichfachen Nachwehen des Krieges auch solche
aushalten zu müssen, welche bei besserer Ueberlegung und Aufsicht wohl zu
vermeiden gewesen wären.

Es handelt sich hier um außerordentliche Unterstützungen, angeboten nicht
aus jenem wo nicht verachtenden, so doch jedenfalls mißtrauischen Mitgefühl,


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[0260] einer blutigen Schlacht, die Tausende von Verwundeten zurückgelassen hat. eine nahegelegene Stadt ihr Krankenhaus denselben öffnet ohne sich ängst¬ lich an die vorschriftsmäßige Zahl der Betten zu binden, so wird sie dafür zunächst nur Lob und Beifall ernten. Aber wenn sie die Leidenden dann dauernd in dichter Zusammendrängung liegen läßt, bis sich die Keime mör¬ derischer Seuchen entwickeln und weit über die Grenzen des städtischen Hospi¬ tals hinaus zahlreiche Opfer verschlingen, so kann alle Berufung auf die ur¬ sprüngliche Nothwendigkeit und unbestreitbar gute Absicht von der Verwal¬ tung herben Tadel nicht abwenden. Oder wenn man — was freilich ein leichterer Fall wäre — bei der Verpflegung und Erfrischung der durchreisen¬ den Truppen irgendwo Kuchen für Brod oder Branntwein für Bier dar¬ geboten hätte, so würde der Erfolg leicht das Gegentheil des beabsichtigten wohlwollenden Zweckes ergeben haben, wenigstens bei Leuten mit schwächerer Verdauungskraft. Etwas ganz ähnliches gilt für die aller Orten eröffnete Liebesthätigkeit zu Gunsten der Familien ausgezogener Krieger; nur daß es sich hier dem gewöhnlichen Verständniß, dem durchschnittlich angewendeten Grade von Sorgfalt noch weit eher entzieht. Daher machen wir hier ausdrücklich und bei Zeiten darauf aufmerksam. In Preußen sind bekanntlich die Kreise als solche verpflichtet, die Fa¬ milien ausrückender Landwehrmänner mit Thaler im Sommer und 2 Thaler im Winter sür die Frau, ^ Thaler für jedes Kind, zu unter¬ stützen ; und eine gleiche oder ähnliche Zwangsunterstützung wird in den meisten übrigen deutschen Staaten neuerdings eingeführt sein oder noch ein¬ geführt werden. Allein wo der Abgang des Familienvaters wirklich sofortige Entblößung vom Nothwendigen nach sich zieht, da ist die genannte Summe selbstverständlich, nur wie ein Tropfen für einen Hundstagsdurst. Und es gibt ferner auch außerhalb des Kreises von Kriegern, dessen Angehörige so der öffentlichen Zwangsunterstützung innerhalb bestimmter pecuniärer Gren¬ zen überwiesen werden, bei einem großen Kriege Männer genug, deren Fa¬ milien in ganz dieselbe berücksichtigungswerthe Lage gerathen. Für beide. Reihen von Fällen müssen die jetzt entstandenen Vereine oder angestellten Sammlungen aufkommen. Allein dies muß geschehen unter sorgfältiger Be¬ achtung der Grundsätze, welche in der Armenpflege überhaupt am Platze und erprobt sind. Sonst erwächst dem Vaterlande die Gefahr, unter den vor¬ aussichtlichen schweren und mannichfachen Nachwehen des Krieges auch solche aushalten zu müssen, welche bei besserer Ueberlegung und Aufsicht wohl zu vermeiden gewesen wären. Es handelt sich hier um außerordentliche Unterstützungen, angeboten nicht aus jenem wo nicht verachtenden, so doch jedenfalls mißtrauischen Mitgefühl,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/260>, abgerufen am 26.06.2024.