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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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begeisterte und eine besondere Vorliebe für Uoungs "Nachtgedanken" in der
Uebersetzung von Ebert hatte, und natürlich hat er auch Goethe gelesen --
aber eine tiefer greifende Einwirkung haben diese literarischen Nebenstudien
gewiß nicht auf ihn geübt. En selbst braucht wohl einmal den Ausdruck:
um ein gutes Lehrbuch der Kriegswissenschaften zu schreiben, müsse man auch
"ein philosophischer Kopf" sein -- ein Lieblingsausdruck der Zeit bekannt¬
lich, aber an eigentlich philosophische Studien dürfte man dabei natürlich
nicht denken.

Vielmehr drängt -- in Mitten dieses nach ästhetischen Eindrücken und
allgemeiner Weltansicht so gierigen Zeitalters -- sein Naturell ihn zur ent¬
schlossenen Concentrirung auf sein concretes Fachstudium. Er ist eine durch¬
aus exacte Natur. Die mathematischen und kriegswissenschaftlichen Discipli¬
nen -- die letzteren im allerweitesten Umfange verstanden -- erfüllen ihn
gänzlich. Man kann sich, überschlägt man seine Thätigkett auf diesen Ge¬
bieten, nicht vorstellen, daß Interessen anderer Art viel Platz in diesem Kopfe
haben könnten. Dazu gesellt sich ein ganz specifisch-pädagogischer Zug seines
Wesens, der sich früh bemerkbar macht ; in den letzten Jahren auf dem Wil¬
helmstein schon und dann alsbald nach seinem Eintritt in hannövecsche
Dienste; seine schriftstellerische Thätigkeit, die kurz darauf schon beginnt, hat
zum großen Theil dieses Interesse im Auge.

In diesem fest umrissenen Kreis praktischer und theoretischer Gedanken
lebt, denkt und wirkt er. Die Anerkennung seines Lehrtalentes bringt ihn
von 1782 an nach Hannover als Lehrer an der Artillerieschule, während er
zugleich selbst in ein Artillerieregiment eintritt. Ueber ein Jahrzehnt, bis
zum Ausbruch des ersten Revolutionskriegs, mit langsamem Avancement bis
zum "Titularcapitän" verharrt er in dieser Stellung. Seine wichtigsten
literarischen Productionen liegen in dieser Epoche.

Auf die Charakterisirung dieser Schriften gehen wir nicht ein. Es will
etwas sagen, wenn militärisch Sachverständige von ihnen urtheilen, daß sie
zum Theil noch heute von keineswegs blos historischem Werth sind.

In allem, was er schreibt, kann man nicht umhin, die gediegene Klar¬
heit und Bündigkeit des Gedankenausdrucks zu bewundern. Es ist jene
einfache, gedrungene Mannhaftigkeit des Stils, welche das Studium der
exacten Wissenschaft nicht selten seinen Bekennern verleiht. Scharnhorst selbst
hat üben die Kunst des Stils vielfach nachgedacht und bekennt, daß er
viele Uebungen angestellt, sie zu erlernen; er bedauert, daß in den Kreisen
seiner Fachgenossen man sich so wenig darum kümmere.

"Der größte Theil der Militärpersonen", sagt er einmal, "setzt die Feder
zum Schreiben an. ohne jemals die Kunst, seine Gedanken richtig zu ordnen,
erlernt, ja selbst nur einmal darüber nachgedacht zu haben. Da aber alles,


begeisterte und eine besondere Vorliebe für Uoungs „Nachtgedanken" in der
Uebersetzung von Ebert hatte, und natürlich hat er auch Goethe gelesen —
aber eine tiefer greifende Einwirkung haben diese literarischen Nebenstudien
gewiß nicht auf ihn geübt. En selbst braucht wohl einmal den Ausdruck:
um ein gutes Lehrbuch der Kriegswissenschaften zu schreiben, müsse man auch
„ein philosophischer Kopf" sein — ein Lieblingsausdruck der Zeit bekannt¬
lich, aber an eigentlich philosophische Studien dürfte man dabei natürlich
nicht denken.

Vielmehr drängt — in Mitten dieses nach ästhetischen Eindrücken und
allgemeiner Weltansicht so gierigen Zeitalters — sein Naturell ihn zur ent¬
schlossenen Concentrirung auf sein concretes Fachstudium. Er ist eine durch¬
aus exacte Natur. Die mathematischen und kriegswissenschaftlichen Discipli¬
nen — die letzteren im allerweitesten Umfange verstanden — erfüllen ihn
gänzlich. Man kann sich, überschlägt man seine Thätigkett auf diesen Ge¬
bieten, nicht vorstellen, daß Interessen anderer Art viel Platz in diesem Kopfe
haben könnten. Dazu gesellt sich ein ganz specifisch-pädagogischer Zug seines
Wesens, der sich früh bemerkbar macht ; in den letzten Jahren auf dem Wil¬
helmstein schon und dann alsbald nach seinem Eintritt in hannövecsche
Dienste; seine schriftstellerische Thätigkeit, die kurz darauf schon beginnt, hat
zum großen Theil dieses Interesse im Auge.

In diesem fest umrissenen Kreis praktischer und theoretischer Gedanken
lebt, denkt und wirkt er. Die Anerkennung seines Lehrtalentes bringt ihn
von 1782 an nach Hannover als Lehrer an der Artillerieschule, während er
zugleich selbst in ein Artillerieregiment eintritt. Ueber ein Jahrzehnt, bis
zum Ausbruch des ersten Revolutionskriegs, mit langsamem Avancement bis
zum „Titularcapitän" verharrt er in dieser Stellung. Seine wichtigsten
literarischen Productionen liegen in dieser Epoche.

Auf die Charakterisirung dieser Schriften gehen wir nicht ein. Es will
etwas sagen, wenn militärisch Sachverständige von ihnen urtheilen, daß sie
zum Theil noch heute von keineswegs blos historischem Werth sind.

In allem, was er schreibt, kann man nicht umhin, die gediegene Klar¬
heit und Bündigkeit des Gedankenausdrucks zu bewundern. Es ist jene
einfache, gedrungene Mannhaftigkeit des Stils, welche das Studium der
exacten Wissenschaft nicht selten seinen Bekennern verleiht. Scharnhorst selbst
hat üben die Kunst des Stils vielfach nachgedacht und bekennt, daß er
viele Uebungen angestellt, sie zu erlernen; er bedauert, daß in den Kreisen
seiner Fachgenossen man sich so wenig darum kümmere.

„Der größte Theil der Militärpersonen", sagt er einmal, „setzt die Feder
zum Schreiben an. ohne jemals die Kunst, seine Gedanken richtig zu ordnen,
erlernt, ja selbst nur einmal darüber nachgedacht zu haben. Da aber alles,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/252>, abgerufen am 26.06.2024.