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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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amoris die Zähigkeit der widerstrebenden Elrern beugt. Ein hartes, arbeits¬
volles Leben dann, wie es ein mittlerer bäuerlicher Besitz mit sich bringt,
von Manchem Mißgeschick heimgesucht, immer aber doch auf einer gewissen
Höhe erhalten.

In dieses wird Scharnhorst hinein geboren. Auch das gehört zu der
rechten bäuerlichen Atmosphäre, daß es an einem langweiligen Prozeß nicht
fehlte; der rechte Bauer alten Schlags kann ohne einen tüchtigen Rechts¬
händel durch alle Instanzen hindurch nicht sein; er würde glauben, dem
Staate seine Steuern umsonst zu zahlen, wenn er von dem richterlichen Theil
der Staatsfunctionen nicht für seine Person einen möglichst häufigen und
nachdrücklichen Gebrauch machte, so kostspielig und gefahrvoll ihm auch oft
dieses Glücksspiel werden mag. Hier handelte es sich um ein ziemlich an¬
sehnliches Object, um gewisse Familiengüter der Mutter, die sie gegen ihre
Geschwister zu behaupten hatte, und die natürlich mit Eifer und immer von
neuem in der Familie discutirten Fragen von Recht und Besitz, die sich
daran knüpften, werden für Scharnhorst in den ersten Jahren bewußten
Lebens und erwachenden Denkens die wichtigsten und nach Art solcher
Jugendeindrücke nachhaltigsten geistigen Anregungen geboten haben.

Das Ergreifen einer militärischen Carriere aber steht von früh her für
ihn fest. Entscheidend wurde die günstige Fügung, die es dem Vater Scharn¬
horst ermöglichte, seinen Sohn als Schüler in die berühmte Kriegsschule auf¬
nehmen zu lassen, die. der Graf Wilhelm von Schaumburg-Lippe auf dem
von ihm geschaffenen Wilhelmstein im Steinhuder Meer angelegt hatte. Die
fünf Jahre, die Scharnhorst dort von 1773 an verlebte, sind grundlegend
für sein ganzes Leben geworden. Als er die nach dem Tode ihres Stifters
sich bald auflösende Anstalt verließ und in ein hannöversches Kavallerieregiment
als "Titularfähnrich" eintrat, erscheint der Dreiundzwanzigjährige schon als
eine fertige, in den Grundlinien seines Wesens abgeschlossene geistige Per¬
sönlichkeit.

Was von Denkmalen seines geistigen Lebens und der Zeit von hier
an vorliegt, berechtigt allerdings nicht zu einem abschließenden Urtheil über
dasselbe. Es mangeln uns die Zeugnisse (wie etwa ein vertrauter Privat-
briefwechsel sie geben könnte) für das Verhältniß, worin er, abgesehen von
dem'weiten Umfange seiner eigentlichen Fachstudien, zu den anderen allge¬
meinen geistigen Mächten und Interessen seiner Zeit stand. Aber doch wird
man, wie mir scheint, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit aussprechen, dürfen,
daß der stärkste und wichtigste Zug seines Wesens in einer energischen Con-
centration aus ein ganz bestimmt umschriebenes Interessengebiet bestand.
Wir erfahren gelegentlich, daß er nicht unterlassen, sich auch mit den Werken
unserer aufblühenden Literatur bekannt zu machen, daß er sich an Klopstock


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amoris die Zähigkeit der widerstrebenden Elrern beugt. Ein hartes, arbeits¬
volles Leben dann, wie es ein mittlerer bäuerlicher Besitz mit sich bringt,
von Manchem Mißgeschick heimgesucht, immer aber doch auf einer gewissen
Höhe erhalten.

In dieses wird Scharnhorst hinein geboren. Auch das gehört zu der
rechten bäuerlichen Atmosphäre, daß es an einem langweiligen Prozeß nicht
fehlte; der rechte Bauer alten Schlags kann ohne einen tüchtigen Rechts¬
händel durch alle Instanzen hindurch nicht sein; er würde glauben, dem
Staate seine Steuern umsonst zu zahlen, wenn er von dem richterlichen Theil
der Staatsfunctionen nicht für seine Person einen möglichst häufigen und
nachdrücklichen Gebrauch machte, so kostspielig und gefahrvoll ihm auch oft
dieses Glücksspiel werden mag. Hier handelte es sich um ein ziemlich an¬
sehnliches Object, um gewisse Familiengüter der Mutter, die sie gegen ihre
Geschwister zu behaupten hatte, und die natürlich mit Eifer und immer von
neuem in der Familie discutirten Fragen von Recht und Besitz, die sich
daran knüpften, werden für Scharnhorst in den ersten Jahren bewußten
Lebens und erwachenden Denkens die wichtigsten und nach Art solcher
Jugendeindrücke nachhaltigsten geistigen Anregungen geboten haben.

Das Ergreifen einer militärischen Carriere aber steht von früh her für
ihn fest. Entscheidend wurde die günstige Fügung, die es dem Vater Scharn¬
horst ermöglichte, seinen Sohn als Schüler in die berühmte Kriegsschule auf¬
nehmen zu lassen, die. der Graf Wilhelm von Schaumburg-Lippe auf dem
von ihm geschaffenen Wilhelmstein im Steinhuder Meer angelegt hatte. Die
fünf Jahre, die Scharnhorst dort von 1773 an verlebte, sind grundlegend
für sein ganzes Leben geworden. Als er die nach dem Tode ihres Stifters
sich bald auflösende Anstalt verließ und in ein hannöversches Kavallerieregiment
als „Titularfähnrich" eintrat, erscheint der Dreiundzwanzigjährige schon als
eine fertige, in den Grundlinien seines Wesens abgeschlossene geistige Per¬
sönlichkeit.

Was von Denkmalen seines geistigen Lebens und der Zeit von hier
an vorliegt, berechtigt allerdings nicht zu einem abschließenden Urtheil über
dasselbe. Es mangeln uns die Zeugnisse (wie etwa ein vertrauter Privat-
briefwechsel sie geben könnte) für das Verhältniß, worin er, abgesehen von
dem'weiten Umfange seiner eigentlichen Fachstudien, zu den anderen allge¬
meinen geistigen Mächten und Interessen seiner Zeit stand. Aber doch wird
man, wie mir scheint, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit aussprechen, dürfen,
daß der stärkste und wichtigste Zug seines Wesens in einer energischen Con-
centration aus ein ganz bestimmt umschriebenes Interessengebiet bestand.
Wir erfahren gelegentlich, daß er nicht unterlassen, sich auch mit den Werken
unserer aufblühenden Literatur bekannt zu machen, daß er sich an Klopstock


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/251>, abgerufen am 26.06.2024.