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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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auswärtigen unsere Garden, die sich den letzten guten Abend bereiten wollten,
alle feldmäßig, leichter, ungezwungener, ohne ihre vielgeschmähte Eleganz,
über der ihnen doch, wie alle Welt weiß, die Tüchtigkeit niemals abhanden
gekommen. An einen Gegensatz zwischen Bürger und Soldat ist nicht zu
denken; man ergeht sich im vertraulichsten Gespräche, als wäre alles nur eine
Familie.

Ende voriger Woche zog unsere eigene Garnison aus, bataillonsweise,
alle Stunden ein Bahnzug; 40 bis SO Stunden sollte die Fahrt bis zum
Bestimmungsorte im fernen Westen dauern, dabei nur drei eigentliche Sta¬
tionen, bei der drückenden Hitze eine böse Aussicht. Auch fanden es manche
bedenklich, daß die Truppen bis hart vor den Feind gefahren werden sollten,
ein Marsch auf der letzten Strecke sei besser; es scheint jedoch, als solle ihnen
auch dazu nicht Zeit bleiben. Noch bis zuletzt haben sie die Schießübungen
fleißig fortgesetzt; man rühmte die Resultate: 73 Procent Treffer in die
Figur auf 300 Schritt und mehr. Die Scenen des Ausmarsches waren er¬
greifend; diese Regimenter sind mit unserem Leben verwachsen, wer zählt
nicht einen Bruder, Vetter oder Freund unter ihnen? Ich habe die Füsiliere
des zweiten Garderegiments begleitet; sie kamen die Friedrichsstraße herauf
nach den Linden mit voller Musik, bei heißer Mittagssonne, alle Fenster
offen, an den Straßenseiten Spalier. Die neunte Compagnie schwenkte ab
nach des Königs Palais zu, um die Fahne zu holen. Der König trat
heraus, von lautem Hurrah empfangen. Er schritt die präsentirenden Reihen
entlang, die Fahne ward herausgetragen. Von der Rampe herab sprach der
König noch einmal zu den Soldaten und ermahnte sie, des Ruhmes ihrer
Väter eingedenk ihre Pflicht zu thun. Sie jubelten begeistert zur Antwort,
der König reichte dem Hauptmann die Hand über das Geländer herab, der
kletterte hinauf, um sie zu küssen. Hinter dem Könige stand der Kriegs¬
minister; Moltke, der eben herzukam, ward von dem Zurufe der Menge be¬
grüßt. Die Compagnie zog ab. die andern schlössen sich ihr an; zu beiden
Seiten des langen Zuges gingen Angehörige der Offictere und Mannschaften,
um die letzten Worte der Zuversicht mit den Ihrigen zu wechseln, die letzten
kleinen Aufträge zu vernehmen. Von den Fenstern winkten und nickten
Frauengrüße hernieder. Vorm Thore ward der strenge Tritt gelöst, die
Leute trockneten die triefende Stirn, einige thaten frische Blätter zur Küh¬
lung in die Helme. Auf dem askanischen Platze kam es zu einem kurzen
Halt; der Eingang des Bahnhofes ward gesperrt. Kinder schleppten
Wasser zur Erquickung herbei, keine Warnung half gegenüber dem glühenden
Durste; dann ging's hinein in den Bahnhof; vergebens suchten sich wei¬
nende Frauen und Mädchen mit einzudrängen, -- mit wohlthätiger Gewalt¬
samkeit kürzte man die Qual des Scheidens ab. "Er wird ja wiederkommen!"


Grenzboten HI. 1870. 31

auswärtigen unsere Garden, die sich den letzten guten Abend bereiten wollten,
alle feldmäßig, leichter, ungezwungener, ohne ihre vielgeschmähte Eleganz,
über der ihnen doch, wie alle Welt weiß, die Tüchtigkeit niemals abhanden
gekommen. An einen Gegensatz zwischen Bürger und Soldat ist nicht zu
denken; man ergeht sich im vertraulichsten Gespräche, als wäre alles nur eine
Familie.

Ende voriger Woche zog unsere eigene Garnison aus, bataillonsweise,
alle Stunden ein Bahnzug; 40 bis SO Stunden sollte die Fahrt bis zum
Bestimmungsorte im fernen Westen dauern, dabei nur drei eigentliche Sta¬
tionen, bei der drückenden Hitze eine böse Aussicht. Auch fanden es manche
bedenklich, daß die Truppen bis hart vor den Feind gefahren werden sollten,
ein Marsch auf der letzten Strecke sei besser; es scheint jedoch, als solle ihnen
auch dazu nicht Zeit bleiben. Noch bis zuletzt haben sie die Schießübungen
fleißig fortgesetzt; man rühmte die Resultate: 73 Procent Treffer in die
Figur auf 300 Schritt und mehr. Die Scenen des Ausmarsches waren er¬
greifend; diese Regimenter sind mit unserem Leben verwachsen, wer zählt
nicht einen Bruder, Vetter oder Freund unter ihnen? Ich habe die Füsiliere
des zweiten Garderegiments begleitet; sie kamen die Friedrichsstraße herauf
nach den Linden mit voller Musik, bei heißer Mittagssonne, alle Fenster
offen, an den Straßenseiten Spalier. Die neunte Compagnie schwenkte ab
nach des Königs Palais zu, um die Fahne zu holen. Der König trat
heraus, von lautem Hurrah empfangen. Er schritt die präsentirenden Reihen
entlang, die Fahne ward herausgetragen. Von der Rampe herab sprach der
König noch einmal zu den Soldaten und ermahnte sie, des Ruhmes ihrer
Väter eingedenk ihre Pflicht zu thun. Sie jubelten begeistert zur Antwort,
der König reichte dem Hauptmann die Hand über das Geländer herab, der
kletterte hinauf, um sie zu küssen. Hinter dem Könige stand der Kriegs¬
minister; Moltke, der eben herzukam, ward von dem Zurufe der Menge be¬
grüßt. Die Compagnie zog ab. die andern schlössen sich ihr an; zu beiden
Seiten des langen Zuges gingen Angehörige der Offictere und Mannschaften,
um die letzten Worte der Zuversicht mit den Ihrigen zu wechseln, die letzten
kleinen Aufträge zu vernehmen. Von den Fenstern winkten und nickten
Frauengrüße hernieder. Vorm Thore ward der strenge Tritt gelöst, die
Leute trockneten die triefende Stirn, einige thaten frische Blätter zur Küh¬
lung in die Helme. Auf dem askanischen Platze kam es zu einem kurzen
Halt; der Eingang des Bahnhofes ward gesperrt. Kinder schleppten
Wasser zur Erquickung herbei, keine Warnung half gegenüber dem glühenden
Durste; dann ging's hinein in den Bahnhof; vergebens suchten sich wei¬
nende Frauen und Mädchen mit einzudrängen, — mit wohlthätiger Gewalt¬
samkeit kürzte man die Qual des Scheidens ab. „Er wird ja wiederkommen!"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/245>, abgerufen am 28.09.2024.