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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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sei für die Sammlung der Kraft zu entscheidenden Schlägen. Hier in ^un¬
seren Mauern aber ward es alsbald höchst lebendig. -- Einquartirung war
an den Anschlagssäulen angekündigt; bei der Menge der freiwilligen Anerbie¬
tungen bedürfte es des Zwanges nicht. Vorm Rathhause standen Gruppen
von Fourieren; nicht lange, so erfolgte der Einmarsch pommerscher und preu¬
ßischer Bataillone. Sie sahen rüstig aus. bepackt wie sie waren, trotz der
leidigen Hitze. Sie sind gut empfangen worden und zeigen fröhlichen Muth,
-- bis in die tiefe Nacht hinein hört man sie noch in den Quartieren ihre
einfachen Soldatenlieder singen. Auf den großen Plätzen trat dann und
wann eine Compagnie zum Appell zusammen. Sonst sieht man sie einzeln
oder truppweise durch die Straßen schlendern oder fahren, unsere Stadt, ihre
Bauten und Läden zu betrachten. Unsere alten Droschkengäule, deren trau¬
riger Weltruf sonst so wenig zu der gefürchteten preußischen Geschwindigkeit
stimmen will, mußten nun auch eine Art Mobilmachung erfahren; zu sechs,
ja noch darüber, drängten sich die wackeren Litthauer und Stettiner in den
engen Wagen über einander. Unsere Bürger sind ihnen plaudernd zur
Hand. Am dichtesten sammeln sie sich vor den Denkmälern; auch der große
Kurfürst und der alte Fritz werden bestaunt, aber die liebevollste Theilnahme
erregen doch natürlich die Helden der Freiheitskriege. Wie oft hat man in
Friedenszeiten weichlich die Fülle unserer Feldherrnstatuen und die Vernach¬
lässigung unserer Staatsmänner, Dichter und Denker beklagt! Nun aber
sieht man wieder einmal recht deutlich, wie der Ruhm rettender Kriegs-
thaten doch der volkstümlichste von allen ist. Eine Gestalt wie unser
Blücher, die streitbarste, die je' ein Künstler geschaffen, spricht mit eherner
Gewalt zu diesen tapferen Bauernherzen, und mit kindlichem Ergötzen be¬
trachten sie die Reliefs am Fußgestelle, die ergreifenden Genrebilder des
Auszugs, des Kampfes und der Heimkehr vom heiligen Kriege.

Auch die Kunstläden haben ihr kriegerisches Gewand angethan, der
Auszug der Breslauer Freiwilligen, Darstellungen der Königsgräzer Schlacht,
die Bildnisse unserer Führer von 66, vor allem des Königs und Bismarck's,
das alles wird nun wieder mit ganz anderen Augen angesehen, die dank¬
bare Erinnerung verwandelt sich in das Gefühl ernster Hoffnung. Vor den
zahlreichen Landkarten steht eine schweigende, sinnende Menge: welcher von
diesen gleichgiltigen Ortsnamen wird dazu auserkoren werden, uns in kom¬
menden Jahren mit stolzer Freude oder mit wehmüthigem Angedenken das
Herz zu erschüttern?

Nach Sonnenuntergang, wenn man wieder aufzuathmen begann, --
denn die Tage über haben uns selbst die häufigen Gewitter keine Linderung
gebracht -- was war das für ein Gewoge und Betreibe in den Straßen,
zumal unter den Linden! Offiziere und Soldaten aller Waffen, neben den


sei für die Sammlung der Kraft zu entscheidenden Schlägen. Hier in ^un¬
seren Mauern aber ward es alsbald höchst lebendig. — Einquartirung war
an den Anschlagssäulen angekündigt; bei der Menge der freiwilligen Anerbie¬
tungen bedürfte es des Zwanges nicht. Vorm Rathhause standen Gruppen
von Fourieren; nicht lange, so erfolgte der Einmarsch pommerscher und preu¬
ßischer Bataillone. Sie sahen rüstig aus. bepackt wie sie waren, trotz der
leidigen Hitze. Sie sind gut empfangen worden und zeigen fröhlichen Muth,
— bis in die tiefe Nacht hinein hört man sie noch in den Quartieren ihre
einfachen Soldatenlieder singen. Auf den großen Plätzen trat dann und
wann eine Compagnie zum Appell zusammen. Sonst sieht man sie einzeln
oder truppweise durch die Straßen schlendern oder fahren, unsere Stadt, ihre
Bauten und Läden zu betrachten. Unsere alten Droschkengäule, deren trau¬
riger Weltruf sonst so wenig zu der gefürchteten preußischen Geschwindigkeit
stimmen will, mußten nun auch eine Art Mobilmachung erfahren; zu sechs,
ja noch darüber, drängten sich die wackeren Litthauer und Stettiner in den
engen Wagen über einander. Unsere Bürger sind ihnen plaudernd zur
Hand. Am dichtesten sammeln sie sich vor den Denkmälern; auch der große
Kurfürst und der alte Fritz werden bestaunt, aber die liebevollste Theilnahme
erregen doch natürlich die Helden der Freiheitskriege. Wie oft hat man in
Friedenszeiten weichlich die Fülle unserer Feldherrnstatuen und die Vernach¬
lässigung unserer Staatsmänner, Dichter und Denker beklagt! Nun aber
sieht man wieder einmal recht deutlich, wie der Ruhm rettender Kriegs-
thaten doch der volkstümlichste von allen ist. Eine Gestalt wie unser
Blücher, die streitbarste, die je' ein Künstler geschaffen, spricht mit eherner
Gewalt zu diesen tapferen Bauernherzen, und mit kindlichem Ergötzen be¬
trachten sie die Reliefs am Fußgestelle, die ergreifenden Genrebilder des
Auszugs, des Kampfes und der Heimkehr vom heiligen Kriege.

Auch die Kunstläden haben ihr kriegerisches Gewand angethan, der
Auszug der Breslauer Freiwilligen, Darstellungen der Königsgräzer Schlacht,
die Bildnisse unserer Führer von 66, vor allem des Königs und Bismarck's,
das alles wird nun wieder mit ganz anderen Augen angesehen, die dank¬
bare Erinnerung verwandelt sich in das Gefühl ernster Hoffnung. Vor den
zahlreichen Landkarten steht eine schweigende, sinnende Menge: welcher von
diesen gleichgiltigen Ortsnamen wird dazu auserkoren werden, uns in kom¬
menden Jahren mit stolzer Freude oder mit wehmüthigem Angedenken das
Herz zu erschüttern?

Nach Sonnenuntergang, wenn man wieder aufzuathmen begann, —
denn die Tage über haben uns selbst die häufigen Gewitter keine Linderung
gebracht — was war das für ein Gewoge und Betreibe in den Straßen,
zumal unter den Linden! Offiziere und Soldaten aller Waffen, neben den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/244>, abgerufen am 27.07.2024.