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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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gewartet, der dann endlich, aber nach dem zu Westminster abgeschlossen war,
auch kam (12. Januar 1756), aber erst am 24. Januar von Geschäften
redete; und was bot er dann? "Miserable Bedingungen", nämlich Preußen
soll gegen einen Angriff auf Hannover die Insel Tabago erhalten, -- worauf
Friedrich antwortete, er wisse einen besseren Gouverneur der Insel Tabataria,
der Insel des Sancho Pansa, was Broglie insolent findet -- und gegen
Rußland durch eine polnische Conföderation und ein drohendes Manifest der
Pforte sicher gestellt werden!

Hatte Friedrich, wie Broglie verlangt, wohl Grund, auf Frankreich zu
vertrauen, wenn dieses, wie wir genau wissen, durch die Coterie der Pom-
padour mit Oestreich verhandelte, ihm aus seine Erbietungen nicht antwortete,
Rußland durch einen neuen Gesandten zu gewinnen Anstalt traf? Und trotz¬
dem war Friedrich überzeugt, Frankreich könne um seines wohlverstandenen
Interesses willen ihn nicht fallen lassen, er hat zwischen Frankreich und England
vermittelt, hat selbst seinem Gesandten Knyphausen Anweisung gegeben, der
Pompadur sich zu nähern, er wollte und konnte trotz seines Vertrages mit
England, der nur den Einmarsch fremder Armeen in Deutschland hindern
wollte, mit Frankreich -- und Nivernais billigte es selbst -- in Defensiv¬
allianz bleiben, die Niederlande hatte er deshalb nicht zu Deutschland gerechnet,
sie konnten Frankreich -- Holland wehrte sich nicht -- wie ehedem angreifen,
oder wollte es Frieden auf dem Continent hallen, so konnte es, gestütztauf
seine Allianzen (seit 1654) mit den Schweden und Dänen und sein gutes
Verhältniß zur hohen Pforte den Krieg mit Ehren meiden, konnre alle Kräfte
auf die Colonien und die See werfen. Hätte es das gethan, England wäre
wahrlich nicht die See- und Colonialmacht geworden, deren Gewalt später
Frankreich immer von Neuem spürte. Allerdings hatte Oestreich und Frank¬
reich noch keinen Vertrag abgeschlossen, aber man beabsichtigte ihn unweiger¬
lich und zwar einen offensiven, und Ludwig XV. seit Mitte August 1755
in erster Linie. Eben deshalb hielt man Preußen hin, es sollte sich ins Un¬
recht setzen, den Congreß beginnen, in dem allein seine Stärke lag, dann
konnte man wenigstens mit Anstand: Pfui! sagen, und demgemäß han¬
deln. Doch folgen wir der Darstellung Broglie's weiter, es kommt noch mehr
Ignoranz und Verleumdung zu Tage. Nachdem er Preußen in der bezeich¬
neten Weise moralisch an den Pranger gestellt und hervorgehoben hat, daß
nur Preußens Schwankung Frankreich im Act der Nothwehr gezwungen habe,
mit Oestreich zu gehen, für Ludwig nicht die Pompadour, sondern die In¬
teressen des Landes die Entscheidung gaben, daß Friedrichs Versicherungen, er
wolle Frankreich nicht angreifen, nicht zu glauben gewesen sei; denn wie
konnte man dem Eroberer Schlesiens trauen, konnte er sich doch mit Oestreich
auf Kosten Frankreichs -- man sieht nicht um welchen Preis, denn Schlesien


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gewartet, der dann endlich, aber nach dem zu Westminster abgeschlossen war,
auch kam (12. Januar 1756), aber erst am 24. Januar von Geschäften
redete; und was bot er dann? „Miserable Bedingungen", nämlich Preußen
soll gegen einen Angriff auf Hannover die Insel Tabago erhalten, — worauf
Friedrich antwortete, er wisse einen besseren Gouverneur der Insel Tabataria,
der Insel des Sancho Pansa, was Broglie insolent findet — und gegen
Rußland durch eine polnische Conföderation und ein drohendes Manifest der
Pforte sicher gestellt werden!

Hatte Friedrich, wie Broglie verlangt, wohl Grund, auf Frankreich zu
vertrauen, wenn dieses, wie wir genau wissen, durch die Coterie der Pom-
padour mit Oestreich verhandelte, ihm aus seine Erbietungen nicht antwortete,
Rußland durch einen neuen Gesandten zu gewinnen Anstalt traf? Und trotz¬
dem war Friedrich überzeugt, Frankreich könne um seines wohlverstandenen
Interesses willen ihn nicht fallen lassen, er hat zwischen Frankreich und England
vermittelt, hat selbst seinem Gesandten Knyphausen Anweisung gegeben, der
Pompadur sich zu nähern, er wollte und konnte trotz seines Vertrages mit
England, der nur den Einmarsch fremder Armeen in Deutschland hindern
wollte, mit Frankreich — und Nivernais billigte es selbst — in Defensiv¬
allianz bleiben, die Niederlande hatte er deshalb nicht zu Deutschland gerechnet,
sie konnten Frankreich — Holland wehrte sich nicht — wie ehedem angreifen,
oder wollte es Frieden auf dem Continent hallen, so konnte es, gestütztauf
seine Allianzen (seit 1654) mit den Schweden und Dänen und sein gutes
Verhältniß zur hohen Pforte den Krieg mit Ehren meiden, konnre alle Kräfte
auf die Colonien und die See werfen. Hätte es das gethan, England wäre
wahrlich nicht die See- und Colonialmacht geworden, deren Gewalt später
Frankreich immer von Neuem spürte. Allerdings hatte Oestreich und Frank¬
reich noch keinen Vertrag abgeschlossen, aber man beabsichtigte ihn unweiger¬
lich und zwar einen offensiven, und Ludwig XV. seit Mitte August 1755
in erster Linie. Eben deshalb hielt man Preußen hin, es sollte sich ins Un¬
recht setzen, den Congreß beginnen, in dem allein seine Stärke lag, dann
konnte man wenigstens mit Anstand: Pfui! sagen, und demgemäß han¬
deln. Doch folgen wir der Darstellung Broglie's weiter, es kommt noch mehr
Ignoranz und Verleumdung zu Tage. Nachdem er Preußen in der bezeich¬
neten Weise moralisch an den Pranger gestellt und hervorgehoben hat, daß
nur Preußens Schwankung Frankreich im Act der Nothwehr gezwungen habe,
mit Oestreich zu gehen, für Ludwig nicht die Pompadour, sondern die In¬
teressen des Landes die Entscheidung gaben, daß Friedrichs Versicherungen, er
wolle Frankreich nicht angreifen, nicht zu glauben gewesen sei; denn wie
konnte man dem Eroberer Schlesiens trauen, konnte er sich doch mit Oestreich
auf Kosten Frankreichs — man sieht nicht um welchen Preis, denn Schlesien


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/239>, abgerufen am 06.07.2024.