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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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konnte Oestreich allein befriedigen -- arrangiren (!): gesteht der Autor schein¬
bar ganz naiv (indessen die Malice ist doch ersichtlich): Preußen habe ganz
correct gehandelt, Friedrich habe seine Selbständigkeit zeigen wollen und
demgemäß von seinem Schützer Frankreich sich entfernt. Denn das vergißt der
Autor nicht, und es war leider eine Wahrheit, nur für Preußen in sehr ge¬
ringem Maße; Frankreich war seit 1L48 Garant der deutschen Fürstenfreiheit
gegen Oestreich. Wenn Broglie aber fortfährt, Frankreich konnte demgemäß,
wenn Preußen zu der Macht Oestreichs aufstrebte, sich einmal auch Oestreich
nähern wie jetzt, so wird er Preußen erlauben müssen, sich ebenso einmal zu
England zu verhalten. Aber wohlgemerkt, der Passus kommt nicht, der
Autor weiß nur von Frankreichs Rechten und von Frankreichs Interessen.

So Broglie's allgemeines Urtheil; er kommt dann auf die Mission
seines Ahn in Dresden zu sprechen. Hier bringt er einiges Neue, aber es ist
nur lückenhaft, offenbar steht ihm die Polemik gegen Preußen in erster Linie.
Wir erfahren denn, daß der Gesandte Broglie die Allianz Sachsens mit
Frankreich empfohlen, daß er in stolzester Weise dem preußischen Gesandten,
als er gemäß Friedrichs Weisung Einsprache erhob, erwiderte, Preußen habe
sich nicht darum zu kümmern, mit wem Frankreich sich alliire, daß er
den preußischen Gesandten des Depeschendiebstahls beschuldigt, wobei unser
Autor trotz seiner Ankündigung nichts weiter darüber sagen zu wollen,
nur zu lange verweilt, um den Stachel dennoch im Leser zurückzulassen.
Interessant ist dann aber der Eindruck, den die Nachricht vom Abschluß zu
Westminster auf Broglie in Dresden ausübt.

Aeußerlich kalt und ruhig bleibend (so schildert es wenigstens unser
Autor) eilt er einen Plan zu entwerfen, Preußen "für seine Insolenz zu
züchtigen, es in seine alten Grenzen einzuschränken", indem Magdeburg
und Halberstadt an Sachsen, welches so ein hübsches militärisches Königreich
wird, Schlesien an Oestreich fällt, Polen aber einen nationalen König erhält,
"dann wird Frankreich seine schützende Hand über Deutschland, Oestreich
nieder; Polen am Zügel halten." Rouille' in Paris antwortet selbstver¬
ständlich gar nicht, sein Theilungsplan war ein anderer, Conti erklärte: es
sei unmöglich. Und doch hatte Broglie Recht: im Geist der ausdörrenden
Politik Frankreichs, welches nur eigene Rechte und Interessen kannte und
sie rücksichtslos mit jedem Mittel verfolgte, war dieser Plan sicher, er war
stolz und kühn, trotz den Plänen eines Ludwig XIV. Unser Autor hat dem¬
gemäß ebenfalls Recht, wenn er die Politik, welche den Vertrag zu Versailles
mit Oestreich schloß, verwirft, denn sie gab das Recht der Initiative an
Oestreich, weil Oestreich, wie sein Interesse war, jeden Augenblick den
Krieg und damit die zugesagte Hilfe provociren konnte. Aber von hieraus
fällt ein schiefes Licht aus des Autors Behauptung, Frankreichs Interessen


konnte Oestreich allein befriedigen — arrangiren (!): gesteht der Autor schein¬
bar ganz naiv (indessen die Malice ist doch ersichtlich): Preußen habe ganz
correct gehandelt, Friedrich habe seine Selbständigkeit zeigen wollen und
demgemäß von seinem Schützer Frankreich sich entfernt. Denn das vergißt der
Autor nicht, und es war leider eine Wahrheit, nur für Preußen in sehr ge¬
ringem Maße; Frankreich war seit 1L48 Garant der deutschen Fürstenfreiheit
gegen Oestreich. Wenn Broglie aber fortfährt, Frankreich konnte demgemäß,
wenn Preußen zu der Macht Oestreichs aufstrebte, sich einmal auch Oestreich
nähern wie jetzt, so wird er Preußen erlauben müssen, sich ebenso einmal zu
England zu verhalten. Aber wohlgemerkt, der Passus kommt nicht, der
Autor weiß nur von Frankreichs Rechten und von Frankreichs Interessen.

So Broglie's allgemeines Urtheil; er kommt dann auf die Mission
seines Ahn in Dresden zu sprechen. Hier bringt er einiges Neue, aber es ist
nur lückenhaft, offenbar steht ihm die Polemik gegen Preußen in erster Linie.
Wir erfahren denn, daß der Gesandte Broglie die Allianz Sachsens mit
Frankreich empfohlen, daß er in stolzester Weise dem preußischen Gesandten,
als er gemäß Friedrichs Weisung Einsprache erhob, erwiderte, Preußen habe
sich nicht darum zu kümmern, mit wem Frankreich sich alliire, daß er
den preußischen Gesandten des Depeschendiebstahls beschuldigt, wobei unser
Autor trotz seiner Ankündigung nichts weiter darüber sagen zu wollen,
nur zu lange verweilt, um den Stachel dennoch im Leser zurückzulassen.
Interessant ist dann aber der Eindruck, den die Nachricht vom Abschluß zu
Westminster auf Broglie in Dresden ausübt.

Aeußerlich kalt und ruhig bleibend (so schildert es wenigstens unser
Autor) eilt er einen Plan zu entwerfen, Preußen „für seine Insolenz zu
züchtigen, es in seine alten Grenzen einzuschränken", indem Magdeburg
und Halberstadt an Sachsen, welches so ein hübsches militärisches Königreich
wird, Schlesien an Oestreich fällt, Polen aber einen nationalen König erhält,
„dann wird Frankreich seine schützende Hand über Deutschland, Oestreich
nieder; Polen am Zügel halten." Rouille' in Paris antwortet selbstver¬
ständlich gar nicht, sein Theilungsplan war ein anderer, Conti erklärte: es
sei unmöglich. Und doch hatte Broglie Recht: im Geist der ausdörrenden
Politik Frankreichs, welches nur eigene Rechte und Interessen kannte und
sie rücksichtslos mit jedem Mittel verfolgte, war dieser Plan sicher, er war
stolz und kühn, trotz den Plänen eines Ludwig XIV. Unser Autor hat dem¬
gemäß ebenfalls Recht, wenn er die Politik, welche den Vertrag zu Versailles
mit Oestreich schloß, verwirft, denn sie gab das Recht der Initiative an
Oestreich, weil Oestreich, wie sein Interesse war, jeden Augenblick den
Krieg und damit die zugesagte Hilfe provociren konnte. Aber von hieraus
fällt ein schiefes Licht aus des Autors Behauptung, Frankreichs Interessen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/240>, abgerufen am 06.07.2024.