Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn demnach Broglie sich gegen die stereotype auf Duclos Memoiren
gestützte Ansicht ereifert, wonach der Vertrag von Westminster die Folge von
östreichisch-französischen Abmachungen sein soll, so zeigt er nur seine Ignoranz;
der von ihm citirte Schäfer in seiner Geschichte des Krieges bringt sie nicht.
Allerdings das hält die wissenschaftliche Forschung auf unserer Seite fest:
Friedrich befand sich in legitimer Abwehr als er zu Westminster mit England
die Defensiv-Allianz schloß, und es ist unbegreiflich, wie der hohe Autor es
ableugnen kann; denn, wie Herr Ouro Klopp in seinem berüchtigten Buche
über Friedrich II. auf Grund von Acten der östreichischen Archive berichtet,
ging seit dem Frieden von 1748 Maria Theresias ganzes Streben auf Ver¬
söhnung Frankreichs, Jsolirung Preußens und Offensiv-Allianz mit Rußland
und Frankreich gegen Preußen; die Instruktionen Stahrembergs, der nach
Kaunitz in Paris Gesandter wurde, sprechen es deutlich aus. Rußland hatte
sie schon mit dem geheimen Artikel der Petersburger Allianz gewonnen,
welcher, im Falle Preußen eine dritte Macht angreist, Schlesien an Oestreich
gibt, und zwar so, daß 1753 zu Moskau und 1755 in Petersburg wieder-
holentlich der Staatsrath den Beschluß faßte, Preußen auf den alten Bestand
herabzudrücken und den Krieg ohne weitere Dtscusfion zu beginnen. Das
sächsische Kabinet kannte diese Verhandlungen und bedang sich, sie billigend,
nur aus, so lange warten zu dürfen "bis der Ritter im Sattel wanke."
Seit 1750 kannte auch das französische Cabinet den Plan insoweit, daß es
wußte, Oesterreich speculirt auf Sachsen und will Schlesien mit Hilfe Ru߬
lands gewinnen.

Frankreich aber fand es nicht für angemessen. seinem Alliirten Mitthei¬
lung zu machen, sondern suchte vielmehr, seitdem ein Krieg mit England
zweifellos war, Sachsen durch einen Subsidientractat an sich zu ketten, trotz¬
dem Friedrich sich das verbat, weil er Sachsens Pläne bekanntlich actenmäßig
kannte. Wenn aber Broglie meint, Frankreichs Lage war Angesichts eines
Seekrieges mit England eine besonders gefährliche, es konnte sich nur helfen
durch einen Landkrieg, so ist das einfach eine Lächerlichkeit; denn Georg dem II.
würde "bet einem französischen Einfalldas Herz geblutet haben, die englische Nation
würde ruhig geblieben sein"; die englischen Parlamentsverhandlungen bewiesen
es zur Genüge. Ferner war denn Preußen Frankreich für seine Colonien
laut seiner Defensiv-Allianz mit Frankreich, die bis zum 6. Juni 1756 lief,
Hilfe schuldig, oder nicht vielmehr nur für seine europäischen Besitzungen; und
hatte Friedrich nicht -- was Broglie Alles verschweigt, wissen hätte er es
können und müssen -- sofort nach Paris gemeldet und wieder gemeldet,
England habe ihm wichtige Eröffnungen gemacht, er werde Neutralität mit
ihm schließen ; hatte nicht Frankreich inzwischen die Allianz ruhig ablaufen
lassen, hatte Friedrich nicht vergeblich 6 Monate auf den Herzog von Nivernais


Wenn demnach Broglie sich gegen die stereotype auf Duclos Memoiren
gestützte Ansicht ereifert, wonach der Vertrag von Westminster die Folge von
östreichisch-französischen Abmachungen sein soll, so zeigt er nur seine Ignoranz;
der von ihm citirte Schäfer in seiner Geschichte des Krieges bringt sie nicht.
Allerdings das hält die wissenschaftliche Forschung auf unserer Seite fest:
Friedrich befand sich in legitimer Abwehr als er zu Westminster mit England
die Defensiv-Allianz schloß, und es ist unbegreiflich, wie der hohe Autor es
ableugnen kann; denn, wie Herr Ouro Klopp in seinem berüchtigten Buche
über Friedrich II. auf Grund von Acten der östreichischen Archive berichtet,
ging seit dem Frieden von 1748 Maria Theresias ganzes Streben auf Ver¬
söhnung Frankreichs, Jsolirung Preußens und Offensiv-Allianz mit Rußland
und Frankreich gegen Preußen; die Instruktionen Stahrembergs, der nach
Kaunitz in Paris Gesandter wurde, sprechen es deutlich aus. Rußland hatte
sie schon mit dem geheimen Artikel der Petersburger Allianz gewonnen,
welcher, im Falle Preußen eine dritte Macht angreist, Schlesien an Oestreich
gibt, und zwar so, daß 1753 zu Moskau und 1755 in Petersburg wieder-
holentlich der Staatsrath den Beschluß faßte, Preußen auf den alten Bestand
herabzudrücken und den Krieg ohne weitere Dtscusfion zu beginnen. Das
sächsische Kabinet kannte diese Verhandlungen und bedang sich, sie billigend,
nur aus, so lange warten zu dürfen „bis der Ritter im Sattel wanke."
Seit 1750 kannte auch das französische Cabinet den Plan insoweit, daß es
wußte, Oesterreich speculirt auf Sachsen und will Schlesien mit Hilfe Ru߬
lands gewinnen.

Frankreich aber fand es nicht für angemessen. seinem Alliirten Mitthei¬
lung zu machen, sondern suchte vielmehr, seitdem ein Krieg mit England
zweifellos war, Sachsen durch einen Subsidientractat an sich zu ketten, trotz¬
dem Friedrich sich das verbat, weil er Sachsens Pläne bekanntlich actenmäßig
kannte. Wenn aber Broglie meint, Frankreichs Lage war Angesichts eines
Seekrieges mit England eine besonders gefährliche, es konnte sich nur helfen
durch einen Landkrieg, so ist das einfach eine Lächerlichkeit; denn Georg dem II.
würde „bet einem französischen Einfalldas Herz geblutet haben, die englische Nation
würde ruhig geblieben sein"; die englischen Parlamentsverhandlungen bewiesen
es zur Genüge. Ferner war denn Preußen Frankreich für seine Colonien
laut seiner Defensiv-Allianz mit Frankreich, die bis zum 6. Juni 1756 lief,
Hilfe schuldig, oder nicht vielmehr nur für seine europäischen Besitzungen; und
hatte Friedrich nicht — was Broglie Alles verschweigt, wissen hätte er es
können und müssen — sofort nach Paris gemeldet und wieder gemeldet,
England habe ihm wichtige Eröffnungen gemacht, er werde Neutralität mit
ihm schließen ; hatte nicht Frankreich inzwischen die Allianz ruhig ablaufen
lassen, hatte Friedrich nicht vergeblich 6 Monate auf den Herzog von Nivernais


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0238" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124388"/>
          <p xml:id="ID_660"> Wenn demnach Broglie sich gegen die stereotype auf Duclos Memoiren<lb/>
gestützte Ansicht ereifert, wonach der Vertrag von Westminster die Folge von<lb/>
östreichisch-französischen Abmachungen sein soll, so zeigt er nur seine Ignoranz;<lb/>
der von ihm citirte Schäfer in seiner Geschichte des Krieges bringt sie nicht.<lb/>
Allerdings das hält die wissenschaftliche Forschung auf unserer Seite fest:<lb/>
Friedrich befand sich in legitimer Abwehr als er zu Westminster mit England<lb/>
die Defensiv-Allianz schloß, und es ist unbegreiflich, wie der hohe Autor es<lb/>
ableugnen kann; denn, wie Herr Ouro Klopp in seinem berüchtigten Buche<lb/>
über Friedrich II. auf Grund von Acten der östreichischen Archive berichtet,<lb/>
ging seit dem Frieden von 1748 Maria Theresias ganzes Streben auf Ver¬<lb/>
söhnung Frankreichs, Jsolirung Preußens und Offensiv-Allianz mit Rußland<lb/>
und Frankreich gegen Preußen; die Instruktionen Stahrembergs, der nach<lb/>
Kaunitz in Paris Gesandter wurde, sprechen es deutlich aus. Rußland hatte<lb/>
sie schon mit dem geheimen Artikel der Petersburger Allianz gewonnen,<lb/>
welcher, im Falle Preußen eine dritte Macht angreist, Schlesien an Oestreich<lb/>
gibt, und zwar so, daß 1753 zu Moskau und 1755 in Petersburg wieder-<lb/>
holentlich der Staatsrath den Beschluß faßte, Preußen auf den alten Bestand<lb/>
herabzudrücken und den Krieg ohne weitere Dtscusfion zu beginnen. Das<lb/>
sächsische Kabinet kannte diese Verhandlungen und bedang sich, sie billigend,<lb/>
nur aus, so lange warten zu dürfen &#x201E;bis der Ritter im Sattel wanke."<lb/>
Seit 1750 kannte auch das französische Cabinet den Plan insoweit, daß es<lb/>
wußte, Oesterreich speculirt auf Sachsen und will Schlesien mit Hilfe Ru߬<lb/>
lands gewinnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_661" next="#ID_662"> Frankreich aber fand es nicht für angemessen. seinem Alliirten Mitthei¬<lb/>
lung zu machen, sondern suchte vielmehr, seitdem ein Krieg mit England<lb/>
zweifellos war, Sachsen durch einen Subsidientractat an sich zu ketten, trotz¬<lb/>
dem Friedrich sich das verbat, weil er Sachsens Pläne bekanntlich actenmäßig<lb/>
kannte. Wenn aber Broglie meint, Frankreichs Lage war Angesichts eines<lb/>
Seekrieges mit England eine besonders gefährliche, es konnte sich nur helfen<lb/>
durch einen Landkrieg, so ist das einfach eine Lächerlichkeit; denn Georg dem II.<lb/>
würde &#x201E;bet einem französischen Einfalldas Herz geblutet haben, die englische Nation<lb/>
würde ruhig geblieben sein"; die englischen Parlamentsverhandlungen bewiesen<lb/>
es zur Genüge. Ferner war denn Preußen Frankreich für seine Colonien<lb/>
laut seiner Defensiv-Allianz mit Frankreich, die bis zum 6. Juni 1756 lief,<lb/>
Hilfe schuldig, oder nicht vielmehr nur für seine europäischen Besitzungen; und<lb/>
hatte Friedrich nicht &#x2014; was Broglie Alles verschweigt, wissen hätte er es<lb/>
können und müssen &#x2014; sofort nach Paris gemeldet und wieder gemeldet,<lb/>
England habe ihm wichtige Eröffnungen gemacht, er werde Neutralität mit<lb/>
ihm schließen ; hatte nicht Frankreich inzwischen die Allianz ruhig ablaufen<lb/>
lassen, hatte Friedrich nicht vergeblich 6 Monate auf den Herzog von Nivernais</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0238] Wenn demnach Broglie sich gegen die stereotype auf Duclos Memoiren gestützte Ansicht ereifert, wonach der Vertrag von Westminster die Folge von östreichisch-französischen Abmachungen sein soll, so zeigt er nur seine Ignoranz; der von ihm citirte Schäfer in seiner Geschichte des Krieges bringt sie nicht. Allerdings das hält die wissenschaftliche Forschung auf unserer Seite fest: Friedrich befand sich in legitimer Abwehr als er zu Westminster mit England die Defensiv-Allianz schloß, und es ist unbegreiflich, wie der hohe Autor es ableugnen kann; denn, wie Herr Ouro Klopp in seinem berüchtigten Buche über Friedrich II. auf Grund von Acten der östreichischen Archive berichtet, ging seit dem Frieden von 1748 Maria Theresias ganzes Streben auf Ver¬ söhnung Frankreichs, Jsolirung Preußens und Offensiv-Allianz mit Rußland und Frankreich gegen Preußen; die Instruktionen Stahrembergs, der nach Kaunitz in Paris Gesandter wurde, sprechen es deutlich aus. Rußland hatte sie schon mit dem geheimen Artikel der Petersburger Allianz gewonnen, welcher, im Falle Preußen eine dritte Macht angreist, Schlesien an Oestreich gibt, und zwar so, daß 1753 zu Moskau und 1755 in Petersburg wieder- holentlich der Staatsrath den Beschluß faßte, Preußen auf den alten Bestand herabzudrücken und den Krieg ohne weitere Dtscusfion zu beginnen. Das sächsische Kabinet kannte diese Verhandlungen und bedang sich, sie billigend, nur aus, so lange warten zu dürfen „bis der Ritter im Sattel wanke." Seit 1750 kannte auch das französische Cabinet den Plan insoweit, daß es wußte, Oesterreich speculirt auf Sachsen und will Schlesien mit Hilfe Ru߬ lands gewinnen. Frankreich aber fand es nicht für angemessen. seinem Alliirten Mitthei¬ lung zu machen, sondern suchte vielmehr, seitdem ein Krieg mit England zweifellos war, Sachsen durch einen Subsidientractat an sich zu ketten, trotz¬ dem Friedrich sich das verbat, weil er Sachsens Pläne bekanntlich actenmäßig kannte. Wenn aber Broglie meint, Frankreichs Lage war Angesichts eines Seekrieges mit England eine besonders gefährliche, es konnte sich nur helfen durch einen Landkrieg, so ist das einfach eine Lächerlichkeit; denn Georg dem II. würde „bet einem französischen Einfalldas Herz geblutet haben, die englische Nation würde ruhig geblieben sein"; die englischen Parlamentsverhandlungen bewiesen es zur Genüge. Ferner war denn Preußen Frankreich für seine Colonien laut seiner Defensiv-Allianz mit Frankreich, die bis zum 6. Juni 1756 lief, Hilfe schuldig, oder nicht vielmehr nur für seine europäischen Besitzungen; und hatte Friedrich nicht — was Broglie Alles verschweigt, wissen hätte er es können und müssen — sofort nach Paris gemeldet und wieder gemeldet, England habe ihm wichtige Eröffnungen gemacht, er werde Neutralität mit ihm schließen ; hatte nicht Frankreich inzwischen die Allianz ruhig ablaufen lassen, hatte Friedrich nicht vergeblich 6 Monate auf den Herzog von Nivernais

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/238
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/238>, abgerufen am 06.07.2024.