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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Duclos, der an den Berathungen in Versailles zwischen dem östreichischen
Gesandten und der Coterie der Pompadour Theil nahm, Preußen gegen die
beabsichtigte Beraubung seitens Frankreichs und Oestreichs sich schließlich
1756 erhob, als falsch darzustellen. Nach ihm kam es nicht durch eine Cabi-
netsintrigue der beleidigten Pompadour zum Kriege, sondern, so schmerzlich
das aus Rücksichten der Moral sein mag (denn den unsittlichen Charakter
der Pompadour gibt er zu) aus großen Staatsinteressen Frankreichs.
Seine Erzählung ist nämlich folgende höchst eigenthümlich neue:

Zunächst bot Oestreich zuerst die Allianz Mitte 17os in Versailles an
und der angebotene Allianztractat hielt den Aachener Frieden aufrecht, also
die Garantie Schlesiens seitens Frankreichs. Welches Unrecht habe damit
Preußen erlitten? Preußen hätte sich freuen müssen, daß sein alter Feind
unter den Augen eines alten Freundes Frankreich für die Zukunft Garantien
der Freundschaft gab. Die Allianz Preußens mit England dagegen hatte
-- natürlich bei einem Franzosen -- einen ganz anderen Charakter; indem
Preußen der britischen Regierung ihre Besitzungen -- es war nur Hannover --
garantirte, erlaubte es ihm, alle Kraft auf den Seekrieg zu wenden.
"Mit einem Wort, sagt er in echt französischer Sophistik, Ludwig XV. tröstete
mit jener Allianz nur einen besiegten, unterjochten, von Friedrich erniedrigten
Feind, das war ein leichtes Vergehen an der Freundschaft zu Preußen, aber
Friedrich begünstigte einen gegenwärtigen Feind, der über Ludwig XV. fast
Sieger war, das war ein perfides Imstichlassen und eine verrätherische
Feindseligkeit." Noch nicht genug, fährt der empörte Unsterbliche fort, er
fügte aus Vergnügen an einer Bravade zum Ueberfluß noch eine Unver¬
schämtheit hinzu, indem er dem Herzog von Nivernais -- alle seine Würden
und Titel werdenabsichtlichbreit ausgeführt, um die Beleidigung zu vergrößern --
den Tractat von Westminster mit den Worten: "Hier ist ein neues literarisches
Product!" -- Nivernais gefiel sich als Schöngeist -- überreichte, obschon
Nivernais mit Preußen eine neue Allianz schließen sollte. Unser Autor meint,
Preußen hätte, wenn es gegen Frankreich Verdacht hegte, warten müssen bis
eine freimüthige Aeußerung Frankreichs eintraf, nun aber sei es sicher, daß
Friedrich von vornherein seine Maßregeln getroffen hatte, und also für den
Vertrag von Westminster mit allen seinen Folgen verantwortlich ist, während
die Pompadour Decharge erhält!

Wir, wollen die famose Darstellung hier unterbrechen und durch eine
Reihe von ignorirten Thatsachen ihre beispiellose Verlogenheit oder doch ihre
Leichtfertigkeit ausheilen. Die Thatsachen sind in den letzten Jahren ziemlich
genügend aufgeklärt. Dank dem Fleiße echt wissenschaftlicher Forscher wie
Schäfer, Dunker, Arneth, Hermann.


Grenzboten III. 1S70. 30

Duclos, der an den Berathungen in Versailles zwischen dem östreichischen
Gesandten und der Coterie der Pompadour Theil nahm, Preußen gegen die
beabsichtigte Beraubung seitens Frankreichs und Oestreichs sich schließlich
1756 erhob, als falsch darzustellen. Nach ihm kam es nicht durch eine Cabi-
netsintrigue der beleidigten Pompadour zum Kriege, sondern, so schmerzlich
das aus Rücksichten der Moral sein mag (denn den unsittlichen Charakter
der Pompadour gibt er zu) aus großen Staatsinteressen Frankreichs.
Seine Erzählung ist nämlich folgende höchst eigenthümlich neue:

Zunächst bot Oestreich zuerst die Allianz Mitte 17os in Versailles an
und der angebotene Allianztractat hielt den Aachener Frieden aufrecht, also
die Garantie Schlesiens seitens Frankreichs. Welches Unrecht habe damit
Preußen erlitten? Preußen hätte sich freuen müssen, daß sein alter Feind
unter den Augen eines alten Freundes Frankreich für die Zukunft Garantien
der Freundschaft gab. Die Allianz Preußens mit England dagegen hatte
— natürlich bei einem Franzosen — einen ganz anderen Charakter; indem
Preußen der britischen Regierung ihre Besitzungen — es war nur Hannover —
garantirte, erlaubte es ihm, alle Kraft auf den Seekrieg zu wenden.
„Mit einem Wort, sagt er in echt französischer Sophistik, Ludwig XV. tröstete
mit jener Allianz nur einen besiegten, unterjochten, von Friedrich erniedrigten
Feind, das war ein leichtes Vergehen an der Freundschaft zu Preußen, aber
Friedrich begünstigte einen gegenwärtigen Feind, der über Ludwig XV. fast
Sieger war, das war ein perfides Imstichlassen und eine verrätherische
Feindseligkeit." Noch nicht genug, fährt der empörte Unsterbliche fort, er
fügte aus Vergnügen an einer Bravade zum Ueberfluß noch eine Unver¬
schämtheit hinzu, indem er dem Herzog von Nivernais — alle seine Würden
und Titel werdenabsichtlichbreit ausgeführt, um die Beleidigung zu vergrößern —
den Tractat von Westminster mit den Worten: „Hier ist ein neues literarisches
Product!" — Nivernais gefiel sich als Schöngeist — überreichte, obschon
Nivernais mit Preußen eine neue Allianz schließen sollte. Unser Autor meint,
Preußen hätte, wenn es gegen Frankreich Verdacht hegte, warten müssen bis
eine freimüthige Aeußerung Frankreichs eintraf, nun aber sei es sicher, daß
Friedrich von vornherein seine Maßregeln getroffen hatte, und also für den
Vertrag von Westminster mit allen seinen Folgen verantwortlich ist, während
die Pompadour Decharge erhält!

Wir, wollen die famose Darstellung hier unterbrechen und durch eine
Reihe von ignorirten Thatsachen ihre beispiellose Verlogenheit oder doch ihre
Leichtfertigkeit ausheilen. Die Thatsachen sind in den letzten Jahren ziemlich
genügend aufgeklärt. Dank dem Fleiße echt wissenschaftlicher Forscher wie
Schäfer, Dunker, Arneth, Hermann.


Grenzboten III. 1S70. 30
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[0237] Duclos, der an den Berathungen in Versailles zwischen dem östreichischen Gesandten und der Coterie der Pompadour Theil nahm, Preußen gegen die beabsichtigte Beraubung seitens Frankreichs und Oestreichs sich schließlich 1756 erhob, als falsch darzustellen. Nach ihm kam es nicht durch eine Cabi- netsintrigue der beleidigten Pompadour zum Kriege, sondern, so schmerzlich das aus Rücksichten der Moral sein mag (denn den unsittlichen Charakter der Pompadour gibt er zu) aus großen Staatsinteressen Frankreichs. Seine Erzählung ist nämlich folgende höchst eigenthümlich neue: Zunächst bot Oestreich zuerst die Allianz Mitte 17os in Versailles an und der angebotene Allianztractat hielt den Aachener Frieden aufrecht, also die Garantie Schlesiens seitens Frankreichs. Welches Unrecht habe damit Preußen erlitten? Preußen hätte sich freuen müssen, daß sein alter Feind unter den Augen eines alten Freundes Frankreich für die Zukunft Garantien der Freundschaft gab. Die Allianz Preußens mit England dagegen hatte — natürlich bei einem Franzosen — einen ganz anderen Charakter; indem Preußen der britischen Regierung ihre Besitzungen — es war nur Hannover — garantirte, erlaubte es ihm, alle Kraft auf den Seekrieg zu wenden. „Mit einem Wort, sagt er in echt französischer Sophistik, Ludwig XV. tröstete mit jener Allianz nur einen besiegten, unterjochten, von Friedrich erniedrigten Feind, das war ein leichtes Vergehen an der Freundschaft zu Preußen, aber Friedrich begünstigte einen gegenwärtigen Feind, der über Ludwig XV. fast Sieger war, das war ein perfides Imstichlassen und eine verrätherische Feindseligkeit." Noch nicht genug, fährt der empörte Unsterbliche fort, er fügte aus Vergnügen an einer Bravade zum Ueberfluß noch eine Unver¬ schämtheit hinzu, indem er dem Herzog von Nivernais — alle seine Würden und Titel werdenabsichtlichbreit ausgeführt, um die Beleidigung zu vergrößern — den Tractat von Westminster mit den Worten: „Hier ist ein neues literarisches Product!" — Nivernais gefiel sich als Schöngeist — überreichte, obschon Nivernais mit Preußen eine neue Allianz schließen sollte. Unser Autor meint, Preußen hätte, wenn es gegen Frankreich Verdacht hegte, warten müssen bis eine freimüthige Aeußerung Frankreichs eintraf, nun aber sei es sicher, daß Friedrich von vornherein seine Maßregeln getroffen hatte, und also für den Vertrag von Westminster mit allen seinen Folgen verantwortlich ist, während die Pompadour Decharge erhält! Wir, wollen die famose Darstellung hier unterbrechen und durch eine Reihe von ignorirten Thatsachen ihre beispiellose Verlogenheit oder doch ihre Leichtfertigkeit ausheilen. Die Thatsachen sind in den letzten Jahren ziemlich genügend aufgeklärt. Dank dem Fleiße echt wissenschaftlicher Forscher wie Schäfer, Dunker, Arneth, Hermann. Grenzboten III. 1S70. 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/237>, abgerufen am 06.07.2024.