Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Unfug vor Anderen ausspricht, wie mag es in seinem Innern aussehen?
Einem solchen Genius in Posamentirarbeit ist das höchste auf Erden ein
fürstlicher Hofstaat mit dem souveränen Recht, Titel, Orden, Gehalte und
Sinecuren zu vertheilen, das Volk ist dazu da, um von dem Hofe als ge¬
meine Bagage abzustechen, der Fürst, welcher die Höflinge füttert, hat ein
unsterbliches Recht, zu herrschen, gleichviel ob er zum Schaden und zur Schande
für die ganze Nation eine ruchlose, ehrlose, landesverrätherische Thätigkeit
ausübt. Es ist noch ein Glück, daß die welfischen Brummteufel an deutschen
Höfen und in Beamtenstellen in der Mehrzahl durch große Sorge um das
eigene Wohl bedrängt werden. Gefährlicher sind die heimlichen Agenten,
welche scheinbar unabhängig in den kleineren Residenzen oder auf dem Lande
leben oder umHerreisen, und in der Stille intriguiren und bestechen mit fran¬
zösischem Gelde und mit dem Gelde eines schlechten Königs aus deutschem
Blut, der jetzt durch die Franzosen in seine früheren Lande wiedereingesetzt
zu werden hofft.

Jetzt ist die Zeit gekommen, wo die deutsche Nachsicht gegen solche
Burschen Landesverrat!) wird und halbes Wesen in der Politik ein Ver¬
brechen. Denn jetzt ist in Deutschland nicht mehr die Frage für oder gegen
den Bundesstaat, sondern die kurze Frage, die an Jedermann gestellt wird:
Bist Du ein ehrlicher Kerl oder ein Schuft. Wer jetzt nicht mit ganzem
Herzen und mit allen seinen Wünschen für den Sieg unserer Heere und für
die Niederwerfung des frechen Feindes ist, der ist für uns ein Mann ohne
Ehre, ein schwerer Verbrecher am Vaterland, mit dem wir nicht mehr essen
und trinken, nicht mehr in Gesellschaft verkehren wollen und für den
wir nur eine Genugthuung haben, wenn er sich über solche Unfreundlichkeit
beschwert fühlt: unsere Sohle auf seinem Gesäß und Trepp ab. Dies ist
unsere bürgerliche Ansicht von solchem Gesindel. Wer das besondere Destil¬
lat in sich bewahrt, welches man Cavalierehre nennt, oder wem gar in
seiner Milchflasche der feine Aether eingegeben wurde, den man fürstliche
Ehre nennt, von dem fordern wir jetzt, wenn er sich nicht selbst öffentlichem
Mißtrauen, Haß und Verachtung preisgeben will, daß er sich diese unsere
bürgerliche Ansicht von der Sauberkeit seines Umganges zu eigen mache.
Der deutsche Herr, welcher jetzt in seiner Umgebung oder unter seinen Be¬
amten Menschen duldet, deren Treue und Hingabe an unsere Sache zweifel¬
haft ist, der schädigt seine eigene Ehre und jeder Nachtheil, der dem Vater¬
lande durch seine schwache Nachsicht zugefügt wird, fällt ihm schwer auf das
Haupt.

Zu jeder Kriegszeit hat das Völkchen auf den Straßen seine Lust.
Spione zu fangen, und wer einen auffälligen Schnitt des Bartes hat oder
einen fremdartigen Dialekt, der wird angehalten und kann froh sein, wenn


Unfug vor Anderen ausspricht, wie mag es in seinem Innern aussehen?
Einem solchen Genius in Posamentirarbeit ist das höchste auf Erden ein
fürstlicher Hofstaat mit dem souveränen Recht, Titel, Orden, Gehalte und
Sinecuren zu vertheilen, das Volk ist dazu da, um von dem Hofe als ge¬
meine Bagage abzustechen, der Fürst, welcher die Höflinge füttert, hat ein
unsterbliches Recht, zu herrschen, gleichviel ob er zum Schaden und zur Schande
für die ganze Nation eine ruchlose, ehrlose, landesverrätherische Thätigkeit
ausübt. Es ist noch ein Glück, daß die welfischen Brummteufel an deutschen
Höfen und in Beamtenstellen in der Mehrzahl durch große Sorge um das
eigene Wohl bedrängt werden. Gefährlicher sind die heimlichen Agenten,
welche scheinbar unabhängig in den kleineren Residenzen oder auf dem Lande
leben oder umHerreisen, und in der Stille intriguiren und bestechen mit fran¬
zösischem Gelde und mit dem Gelde eines schlechten Königs aus deutschem
Blut, der jetzt durch die Franzosen in seine früheren Lande wiedereingesetzt
zu werden hofft.

Jetzt ist die Zeit gekommen, wo die deutsche Nachsicht gegen solche
Burschen Landesverrat!) wird und halbes Wesen in der Politik ein Ver¬
brechen. Denn jetzt ist in Deutschland nicht mehr die Frage für oder gegen
den Bundesstaat, sondern die kurze Frage, die an Jedermann gestellt wird:
Bist Du ein ehrlicher Kerl oder ein Schuft. Wer jetzt nicht mit ganzem
Herzen und mit allen seinen Wünschen für den Sieg unserer Heere und für
die Niederwerfung des frechen Feindes ist, der ist für uns ein Mann ohne
Ehre, ein schwerer Verbrecher am Vaterland, mit dem wir nicht mehr essen
und trinken, nicht mehr in Gesellschaft verkehren wollen und für den
wir nur eine Genugthuung haben, wenn er sich über solche Unfreundlichkeit
beschwert fühlt: unsere Sohle auf seinem Gesäß und Trepp ab. Dies ist
unsere bürgerliche Ansicht von solchem Gesindel. Wer das besondere Destil¬
lat in sich bewahrt, welches man Cavalierehre nennt, oder wem gar in
seiner Milchflasche der feine Aether eingegeben wurde, den man fürstliche
Ehre nennt, von dem fordern wir jetzt, wenn er sich nicht selbst öffentlichem
Mißtrauen, Haß und Verachtung preisgeben will, daß er sich diese unsere
bürgerliche Ansicht von der Sauberkeit seines Umganges zu eigen mache.
Der deutsche Herr, welcher jetzt in seiner Umgebung oder unter seinen Be¬
amten Menschen duldet, deren Treue und Hingabe an unsere Sache zweifel¬
haft ist, der schädigt seine eigene Ehre und jeder Nachtheil, der dem Vater¬
lande durch seine schwache Nachsicht zugefügt wird, fällt ihm schwer auf das
Haupt.

Zu jeder Kriegszeit hat das Völkchen auf den Straßen seine Lust.
Spione zu fangen, und wer einen auffälligen Schnitt des Bartes hat oder
einen fremdartigen Dialekt, der wird angehalten und kann froh sein, wenn


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0233" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124383"/>
          <p xml:id="ID_646" prev="#ID_645"> Unfug vor Anderen ausspricht, wie mag es in seinem Innern aussehen?<lb/>
Einem solchen Genius in Posamentirarbeit ist das höchste auf Erden ein<lb/>
fürstlicher Hofstaat mit dem souveränen Recht, Titel, Orden, Gehalte und<lb/>
Sinecuren zu vertheilen, das Volk ist dazu da, um von dem Hofe als ge¬<lb/>
meine Bagage abzustechen, der Fürst, welcher die Höflinge füttert, hat ein<lb/>
unsterbliches Recht, zu herrschen, gleichviel ob er zum Schaden und zur Schande<lb/>
für die ganze Nation eine ruchlose, ehrlose, landesverrätherische Thätigkeit<lb/>
ausübt. Es ist noch ein Glück, daß die welfischen Brummteufel an deutschen<lb/>
Höfen und in Beamtenstellen in der Mehrzahl durch große Sorge um das<lb/>
eigene Wohl bedrängt werden. Gefährlicher sind die heimlichen Agenten,<lb/>
welche scheinbar unabhängig in den kleineren Residenzen oder auf dem Lande<lb/>
leben oder umHerreisen, und in der Stille intriguiren und bestechen mit fran¬<lb/>
zösischem Gelde und mit dem Gelde eines schlechten Königs aus deutschem<lb/>
Blut, der jetzt durch die Franzosen in seine früheren Lande wiedereingesetzt<lb/>
zu werden hofft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_647"> Jetzt ist die Zeit gekommen, wo die deutsche Nachsicht gegen solche<lb/>
Burschen Landesverrat!) wird und halbes Wesen in der Politik ein Ver¬<lb/>
brechen. Denn jetzt ist in Deutschland nicht mehr die Frage für oder gegen<lb/>
den Bundesstaat, sondern die kurze Frage, die an Jedermann gestellt wird:<lb/>
Bist Du ein ehrlicher Kerl oder ein Schuft. Wer jetzt nicht mit ganzem<lb/>
Herzen und mit allen seinen Wünschen für den Sieg unserer Heere und für<lb/>
die Niederwerfung des frechen Feindes ist, der ist für uns ein Mann ohne<lb/>
Ehre, ein schwerer Verbrecher am Vaterland, mit dem wir nicht mehr essen<lb/>
und trinken, nicht mehr in Gesellschaft verkehren wollen und für den<lb/>
wir nur eine Genugthuung haben, wenn er sich über solche Unfreundlichkeit<lb/>
beschwert fühlt: unsere Sohle auf seinem Gesäß und Trepp ab. Dies ist<lb/>
unsere bürgerliche Ansicht von solchem Gesindel. Wer das besondere Destil¬<lb/>
lat in sich bewahrt, welches man Cavalierehre nennt, oder wem gar in<lb/>
seiner Milchflasche der feine Aether eingegeben wurde, den man fürstliche<lb/>
Ehre nennt, von dem fordern wir jetzt, wenn er sich nicht selbst öffentlichem<lb/>
Mißtrauen, Haß und Verachtung preisgeben will, daß er sich diese unsere<lb/>
bürgerliche Ansicht von der Sauberkeit seines Umganges zu eigen mache.<lb/>
Der deutsche Herr, welcher jetzt in seiner Umgebung oder unter seinen Be¬<lb/>
amten Menschen duldet, deren Treue und Hingabe an unsere Sache zweifel¬<lb/>
haft ist, der schädigt seine eigene Ehre und jeder Nachtheil, der dem Vater¬<lb/>
lande durch seine schwache Nachsicht zugefügt wird, fällt ihm schwer auf das<lb/>
Haupt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_648" next="#ID_649"> Zu jeder Kriegszeit hat das Völkchen auf den Straßen seine Lust.<lb/>
Spione zu fangen, und wer einen auffälligen Schnitt des Bartes hat oder<lb/>
einen fremdartigen Dialekt, der wird angehalten und kann froh sein, wenn</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0233] Unfug vor Anderen ausspricht, wie mag es in seinem Innern aussehen? Einem solchen Genius in Posamentirarbeit ist das höchste auf Erden ein fürstlicher Hofstaat mit dem souveränen Recht, Titel, Orden, Gehalte und Sinecuren zu vertheilen, das Volk ist dazu da, um von dem Hofe als ge¬ meine Bagage abzustechen, der Fürst, welcher die Höflinge füttert, hat ein unsterbliches Recht, zu herrschen, gleichviel ob er zum Schaden und zur Schande für die ganze Nation eine ruchlose, ehrlose, landesverrätherische Thätigkeit ausübt. Es ist noch ein Glück, daß die welfischen Brummteufel an deutschen Höfen und in Beamtenstellen in der Mehrzahl durch große Sorge um das eigene Wohl bedrängt werden. Gefährlicher sind die heimlichen Agenten, welche scheinbar unabhängig in den kleineren Residenzen oder auf dem Lande leben oder umHerreisen, und in der Stille intriguiren und bestechen mit fran¬ zösischem Gelde und mit dem Gelde eines schlechten Königs aus deutschem Blut, der jetzt durch die Franzosen in seine früheren Lande wiedereingesetzt zu werden hofft. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo die deutsche Nachsicht gegen solche Burschen Landesverrat!) wird und halbes Wesen in der Politik ein Ver¬ brechen. Denn jetzt ist in Deutschland nicht mehr die Frage für oder gegen den Bundesstaat, sondern die kurze Frage, die an Jedermann gestellt wird: Bist Du ein ehrlicher Kerl oder ein Schuft. Wer jetzt nicht mit ganzem Herzen und mit allen seinen Wünschen für den Sieg unserer Heere und für die Niederwerfung des frechen Feindes ist, der ist für uns ein Mann ohne Ehre, ein schwerer Verbrecher am Vaterland, mit dem wir nicht mehr essen und trinken, nicht mehr in Gesellschaft verkehren wollen und für den wir nur eine Genugthuung haben, wenn er sich über solche Unfreundlichkeit beschwert fühlt: unsere Sohle auf seinem Gesäß und Trepp ab. Dies ist unsere bürgerliche Ansicht von solchem Gesindel. Wer das besondere Destil¬ lat in sich bewahrt, welches man Cavalierehre nennt, oder wem gar in seiner Milchflasche der feine Aether eingegeben wurde, den man fürstliche Ehre nennt, von dem fordern wir jetzt, wenn er sich nicht selbst öffentlichem Mißtrauen, Haß und Verachtung preisgeben will, daß er sich diese unsere bürgerliche Ansicht von der Sauberkeit seines Umganges zu eigen mache. Der deutsche Herr, welcher jetzt in seiner Umgebung oder unter seinen Be¬ amten Menschen duldet, deren Treue und Hingabe an unsere Sache zweifel¬ haft ist, der schädigt seine eigene Ehre und jeder Nachtheil, der dem Vater¬ lande durch seine schwache Nachsicht zugefügt wird, fällt ihm schwer auf das Haupt. Zu jeder Kriegszeit hat das Völkchen auf den Straßen seine Lust. Spione zu fangen, und wer einen auffälligen Schnitt des Bartes hat oder einen fremdartigen Dialekt, der wird angehalten und kann froh sein, wenn

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/233
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/233>, abgerufen am 28.07.2024.