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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Stellung über den giftigen Parteihändler einzunehmen. Sie hat sich mit
Wohlgefallen den Fehlern des Nationalcharakters und der herrschenden An¬
schauungen über Staat und Gesellschaft hingegeben, statt, wie es ihre Pflicht
war, ihnen entgegenzuarbeiten und dem Volke den Weg aus dem revolutio¬
nären Zirkel zu zeigen, in dem der Kampf der Meinungen und Systeme
ziellos sich tummelte.

Während der Restauration und des Julikönigthums war der Proce߬
krieg gegen die Presse auf der Tagesordnung, der aber nur dahin führte,
die extremsten Ansichten und ihre mit Märtyrerkronen geschmückten Vertreter
gerade in den untersten Schichten des Volkes bekannt und populär zu
machen. Napoleon suchte den Eclat bei Bekämpfung der Presse zu vermei¬
den und, soweit es möglich war, den gefährlichen Gegner auf dem Wege
der Verwaltungsmaßregeln unschädlich zu machen. Das Recht, die Conces¬
sion zu verweigern, die sehr weitausgedehnte Befugnis?, dieselbe zu suspen-
diren oder zurückzuziehen, das System der Verwarnungen (avertisselnents),
die Unterwerfung der Presse unter die Zuchtpolizei-Jurisdiction, die Ver¬
pflichtung der Verfasser, jeden Artikel mit ihrem Namen zu unterzeichnen,
das waren die Hauptmittel, die angewendet wurden und die auch ihren
Zweck vollkommen erreichten, jede Präventivcensur unvöthig machten, und
der Regierung die Behauptung gestatteten, daß in Frankreich die Presse frei
sei. Das schlimmste Mittel war aber das Unwesen der zahlreich vertretenen
officiösen Presse. Grade dies Institut hat die Journalistik so unbeschreiblich
corrumpirt, daß nur wenige Zeitungen, wie das Journal des Debats, das
Siecle, nach deutschen Begriffen auf das Prädicat anständig Anspruch machen
können. Von diesen wenigen Ausnahmen abgesehen, war der Journalist in
ähnlicher Weise Beamter der Regierung, wie der Abgeordnete, und allen den
verderblichen Einflüssen einer halb amtlichen Stellung ausgesetzt. In wie
schnöder Weise in den letzten Jahren dies Institut gebraucht ist, um die
öffentliche Meinung zu verwirren, indem gleichzeitig in dem einen Journal
aufgewiegelt, in einem andern abgewiegelt wurde, ist in aller Gedächtniß.

Der Fiction entsprechend, daß das Kaiserthum die Versöhnung der Par¬
teien sei, ließ man jeder der großen Heerlager der Meinung ein Journal.
Vor jeder Ausschreitung war man durch die drakonischen Preßgesetze sicher,
und außerdem behielt die Regierung sich einen so großen Einfluß auf die
Besetzung der Redacteurstellen vor, daß so lange der Verwaltungsorganis'
mus seine Schuldigkeit that, eine Gefahr nicht zu befürchten war. Die Re¬
gierung hatte aber auch einen andern Grund, die Parteien nicht völlig ihrer
Organe zu berauben. Sie bedürfte nämlich bei ihrer sehr verschlungenen
Politik, in der auswärtige und innere Fäden bunt durcheinander liefen, bald
des Wohlwollens der Republikaner, bald der Freundschaft der Clericalen, bald


Stellung über den giftigen Parteihändler einzunehmen. Sie hat sich mit
Wohlgefallen den Fehlern des Nationalcharakters und der herrschenden An¬
schauungen über Staat und Gesellschaft hingegeben, statt, wie es ihre Pflicht
war, ihnen entgegenzuarbeiten und dem Volke den Weg aus dem revolutio¬
nären Zirkel zu zeigen, in dem der Kampf der Meinungen und Systeme
ziellos sich tummelte.

Während der Restauration und des Julikönigthums war der Proce߬
krieg gegen die Presse auf der Tagesordnung, der aber nur dahin führte,
die extremsten Ansichten und ihre mit Märtyrerkronen geschmückten Vertreter
gerade in den untersten Schichten des Volkes bekannt und populär zu
machen. Napoleon suchte den Eclat bei Bekämpfung der Presse zu vermei¬
den und, soweit es möglich war, den gefährlichen Gegner auf dem Wege
der Verwaltungsmaßregeln unschädlich zu machen. Das Recht, die Conces¬
sion zu verweigern, die sehr weitausgedehnte Befugnis?, dieselbe zu suspen-
diren oder zurückzuziehen, das System der Verwarnungen (avertisselnents),
die Unterwerfung der Presse unter die Zuchtpolizei-Jurisdiction, die Ver¬
pflichtung der Verfasser, jeden Artikel mit ihrem Namen zu unterzeichnen,
das waren die Hauptmittel, die angewendet wurden und die auch ihren
Zweck vollkommen erreichten, jede Präventivcensur unvöthig machten, und
der Regierung die Behauptung gestatteten, daß in Frankreich die Presse frei
sei. Das schlimmste Mittel war aber das Unwesen der zahlreich vertretenen
officiösen Presse. Grade dies Institut hat die Journalistik so unbeschreiblich
corrumpirt, daß nur wenige Zeitungen, wie das Journal des Debats, das
Siecle, nach deutschen Begriffen auf das Prädicat anständig Anspruch machen
können. Von diesen wenigen Ausnahmen abgesehen, war der Journalist in
ähnlicher Weise Beamter der Regierung, wie der Abgeordnete, und allen den
verderblichen Einflüssen einer halb amtlichen Stellung ausgesetzt. In wie
schnöder Weise in den letzten Jahren dies Institut gebraucht ist, um die
öffentliche Meinung zu verwirren, indem gleichzeitig in dem einen Journal
aufgewiegelt, in einem andern abgewiegelt wurde, ist in aller Gedächtniß.

Der Fiction entsprechend, daß das Kaiserthum die Versöhnung der Par¬
teien sei, ließ man jeder der großen Heerlager der Meinung ein Journal.
Vor jeder Ausschreitung war man durch die drakonischen Preßgesetze sicher,
und außerdem behielt die Regierung sich einen so großen Einfluß auf die
Besetzung der Redacteurstellen vor, daß so lange der Verwaltungsorganis'
mus seine Schuldigkeit that, eine Gefahr nicht zu befürchten war. Die Re¬
gierung hatte aber auch einen andern Grund, die Parteien nicht völlig ihrer
Organe zu berauben. Sie bedürfte nämlich bei ihrer sehr verschlungenen
Politik, in der auswärtige und innere Fäden bunt durcheinander liefen, bald
des Wohlwollens der Republikaner, bald der Freundschaft der Clericalen, bald


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[0227] Stellung über den giftigen Parteihändler einzunehmen. Sie hat sich mit Wohlgefallen den Fehlern des Nationalcharakters und der herrschenden An¬ schauungen über Staat und Gesellschaft hingegeben, statt, wie es ihre Pflicht war, ihnen entgegenzuarbeiten und dem Volke den Weg aus dem revolutio¬ nären Zirkel zu zeigen, in dem der Kampf der Meinungen und Systeme ziellos sich tummelte. Während der Restauration und des Julikönigthums war der Proce߬ krieg gegen die Presse auf der Tagesordnung, der aber nur dahin führte, die extremsten Ansichten und ihre mit Märtyrerkronen geschmückten Vertreter gerade in den untersten Schichten des Volkes bekannt und populär zu machen. Napoleon suchte den Eclat bei Bekämpfung der Presse zu vermei¬ den und, soweit es möglich war, den gefährlichen Gegner auf dem Wege der Verwaltungsmaßregeln unschädlich zu machen. Das Recht, die Conces¬ sion zu verweigern, die sehr weitausgedehnte Befugnis?, dieselbe zu suspen- diren oder zurückzuziehen, das System der Verwarnungen (avertisselnents), die Unterwerfung der Presse unter die Zuchtpolizei-Jurisdiction, die Ver¬ pflichtung der Verfasser, jeden Artikel mit ihrem Namen zu unterzeichnen, das waren die Hauptmittel, die angewendet wurden und die auch ihren Zweck vollkommen erreichten, jede Präventivcensur unvöthig machten, und der Regierung die Behauptung gestatteten, daß in Frankreich die Presse frei sei. Das schlimmste Mittel war aber das Unwesen der zahlreich vertretenen officiösen Presse. Grade dies Institut hat die Journalistik so unbeschreiblich corrumpirt, daß nur wenige Zeitungen, wie das Journal des Debats, das Siecle, nach deutschen Begriffen auf das Prädicat anständig Anspruch machen können. Von diesen wenigen Ausnahmen abgesehen, war der Journalist in ähnlicher Weise Beamter der Regierung, wie der Abgeordnete, und allen den verderblichen Einflüssen einer halb amtlichen Stellung ausgesetzt. In wie schnöder Weise in den letzten Jahren dies Institut gebraucht ist, um die öffentliche Meinung zu verwirren, indem gleichzeitig in dem einen Journal aufgewiegelt, in einem andern abgewiegelt wurde, ist in aller Gedächtniß. Der Fiction entsprechend, daß das Kaiserthum die Versöhnung der Par¬ teien sei, ließ man jeder der großen Heerlager der Meinung ein Journal. Vor jeder Ausschreitung war man durch die drakonischen Preßgesetze sicher, und außerdem behielt die Regierung sich einen so großen Einfluß auf die Besetzung der Redacteurstellen vor, daß so lange der Verwaltungsorganis' mus seine Schuldigkeit that, eine Gefahr nicht zu befürchten war. Die Re¬ gierung hatte aber auch einen andern Grund, die Parteien nicht völlig ihrer Organe zu berauben. Sie bedürfte nämlich bei ihrer sehr verschlungenen Politik, in der auswärtige und innere Fäden bunt durcheinander liefen, bald des Wohlwollens der Republikaner, bald der Freundschaft der Clericalen, bald

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/227>, abgerufen am 05.07.2024.