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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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schlagen werden, klagen über den Mangel an Innerlichkeit, an wahrer Re¬
ligiosität und Andacht bei den Polen. Indessen geschieht dadurch, wie be¬
kannt, der Macht der Kirche kein Abbruch, vielmehr ist jede Gefahr einer
Spaltung von vorn herein vermieden. Man kann dreist behaupten, daß der
polnische Katholicismus von der Bewegung der Geister, die heute auf kirch¬
lichem Gebiete anderswo selbst die Laien ergriffen hat, kaum auf der äußersten
Oberfläche berührt ist.

Die Bedeutung der Kirche für den Bauer wurzelt nicht blos in dessen
Anhänglichkeit an den ererbten Glauben. Ehemals brachte sie ihm in sei¬
nem Elende Trost und Erhebung, soweit er dieser fähig war. Auch heute
noch bei seiner oben geschilderten Gemüthsarmuth ist sie es, die allein seinem
einförmigen, dem Niedrigen zugewandten Leben eine Art von höherer Weihe
gibt. In den weiten Hallen seiner Gotteshäuser, so verschieden von der
Enge seiner dürftigen Wohnung, in dem Gepränge des Gottesdienstes und
dem Glänze der Processionen mit den wehenden gold - und silbergestickten
Bannern findet er die einzige Anregung seiner Phantasie, in dem Anschauen
der Statuen und Bilder seiner Heiligen, so roh sie auch oft gearbeitet sind,
zur Zeit noch die einzige Befriedigung seines kaum erwachten ästhetischen
Sinnes.

Die Kirche, richtiger gesagt der Clerus. beansprucht oder beanspruchte
indessen wenigstens bisher in diesem Lande noch eine andere Bedeutung.
Der Clerus verband sich mit den weitgehenden Plänen des Adels, bildete
dessen Vermittler im Volke und suchte die nationalen Wünsche und Hoff¬
nungen in diesem lebendig zu erhalten. Kein Agitationsmittel kann besser
gewählt sein. Was Presse, Vereine und Versammlungen in diesem politisch
wenig aufgeklärten Volke wirken könnten, reicht nicht entfernt an den Einfluß
der Geistlichkeit heran, ganz abgesehen davon, daß dieser sich in einer geräusch¬
losen, nicht an die Oeffentlichkeit tretenden Thätigkeit geltend machen kann,
wie sie dem Zwecke der Agitation entspricht. Zur Zeit des letzten polnischen
Aufstandes wurde diese Agitation so lebhaft, daß sie selbst der Vorsicht ver¬
gaß. Von den Kanzeln herab und auf kirchlichen Umzügen wurde die Mutter
Gottes in Gebeten und Gesängen um Wiederherstellung Polens angefleht,
und es gab Geistliche, welche ihr zu weit getriebener Eifer mit den Ge¬
richten in Conflict brachte. Dem Hinüberziehen des politischen Treibens auf
das kirchliche Gebiet ist neuerdings der jetzige Erzbischof, Graf Ledochowski,
mit Strenge entgegengetreten, wodurch er das lebhafte Mißfallen des Adels
erregt hat. Auf wie lange diesem dadurch jenes Agitationsmittel entzogen
ist. steht dahin. Man darf aber auch die auf diesem Wege erzielten Erfolge
trotz der Macht der Geistlichkeit keineswegs hoch anschlagen.

Der polnische Bauer hat nicht die geringste Neigung, sür eine Los-


schlagen werden, klagen über den Mangel an Innerlichkeit, an wahrer Re¬
ligiosität und Andacht bei den Polen. Indessen geschieht dadurch, wie be¬
kannt, der Macht der Kirche kein Abbruch, vielmehr ist jede Gefahr einer
Spaltung von vorn herein vermieden. Man kann dreist behaupten, daß der
polnische Katholicismus von der Bewegung der Geister, die heute auf kirch¬
lichem Gebiete anderswo selbst die Laien ergriffen hat, kaum auf der äußersten
Oberfläche berührt ist.

Die Bedeutung der Kirche für den Bauer wurzelt nicht blos in dessen
Anhänglichkeit an den ererbten Glauben. Ehemals brachte sie ihm in sei¬
nem Elende Trost und Erhebung, soweit er dieser fähig war. Auch heute
noch bei seiner oben geschilderten Gemüthsarmuth ist sie es, die allein seinem
einförmigen, dem Niedrigen zugewandten Leben eine Art von höherer Weihe
gibt. In den weiten Hallen seiner Gotteshäuser, so verschieden von der
Enge seiner dürftigen Wohnung, in dem Gepränge des Gottesdienstes und
dem Glänze der Processionen mit den wehenden gold - und silbergestickten
Bannern findet er die einzige Anregung seiner Phantasie, in dem Anschauen
der Statuen und Bilder seiner Heiligen, so roh sie auch oft gearbeitet sind,
zur Zeit noch die einzige Befriedigung seines kaum erwachten ästhetischen
Sinnes.

Die Kirche, richtiger gesagt der Clerus. beansprucht oder beanspruchte
indessen wenigstens bisher in diesem Lande noch eine andere Bedeutung.
Der Clerus verband sich mit den weitgehenden Plänen des Adels, bildete
dessen Vermittler im Volke und suchte die nationalen Wünsche und Hoff¬
nungen in diesem lebendig zu erhalten. Kein Agitationsmittel kann besser
gewählt sein. Was Presse, Vereine und Versammlungen in diesem politisch
wenig aufgeklärten Volke wirken könnten, reicht nicht entfernt an den Einfluß
der Geistlichkeit heran, ganz abgesehen davon, daß dieser sich in einer geräusch¬
losen, nicht an die Oeffentlichkeit tretenden Thätigkeit geltend machen kann,
wie sie dem Zwecke der Agitation entspricht. Zur Zeit des letzten polnischen
Aufstandes wurde diese Agitation so lebhaft, daß sie selbst der Vorsicht ver¬
gaß. Von den Kanzeln herab und auf kirchlichen Umzügen wurde die Mutter
Gottes in Gebeten und Gesängen um Wiederherstellung Polens angefleht,
und es gab Geistliche, welche ihr zu weit getriebener Eifer mit den Ge¬
richten in Conflict brachte. Dem Hinüberziehen des politischen Treibens auf
das kirchliche Gebiet ist neuerdings der jetzige Erzbischof, Graf Ledochowski,
mit Strenge entgegengetreten, wodurch er das lebhafte Mißfallen des Adels
erregt hat. Auf wie lange diesem dadurch jenes Agitationsmittel entzogen
ist. steht dahin. Man darf aber auch die auf diesem Wege erzielten Erfolge
trotz der Macht der Geistlichkeit keineswegs hoch anschlagen.

Der polnische Bauer hat nicht die geringste Neigung, sür eine Los-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/220>, abgerufen am 28.07.2024.