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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Tausch, zu Hader und kostspieligen Prozessen führt, ja nicht selten die Quelle
von Verbrechen ist.

Das Mißtrauen und die Hartnäckigkeit des deutschen Bauern besitzt der
polnische nicht. Er ist gutmüthig, nachgiebig, leicht zu behandeln. Mit sei¬
nem Nachbar verträgt er sich nicht schlecht, wenn er auch in seiner Heftigkeit
oder im Rausche leicht in die kräftigsten Flüche und Schimpfworte ausbricht,
an denen die polnische Sprache unerschöpflich ist. Gegen Alles, was über
ihm steht, beweist er eine des freien Mannes unwürdige Unterwürfigkeit.
Harte Worte erträgt er mit demüthiger Gelassenheit. Wo er fordern könnte,
bedient er sich doch des Tons bescheidenster Bitte, begleitet von der dem ge-
meinen Polen eigenen Geberde des Knieumfassens. So tritt er auch der
Behörde gegenüber. Hier aber bestimmt sich sein Verhalten noch durch etwas
Anderes. Man sollte meinen, er bewahre noch das Andenken an die gesetz¬
lose polnische Zeit und wisse um so mehr die Wohlthat eines geordneten
Rechtszustandes zu schätzen. Denn er vergilt die Pflichttreue und Unbestech¬
lichkeit des preußischen Beamten durch ein Vertrauen, wie man es in glei¬
chem Grade bei seinem deutschen Standesgenossen nicht findet. Freilich hat
er auch alle Ursache, seiner eigenen Einsicht zu mißtrauen. Gern ordnet er
sich der besseren Einsicht unter und verlangt, daß man ihn bevormunde. In
seinen wichtigsten Rechtsangelegenheiten, wie bei der Veräußerung oder dem
Erwerbe eines Grundstücks, erscheint er vor dem Richter nur halb vorberei¬
tet, überzeugt, der Richter werde bei Aufnahme des Contracts das Fehlende
schon so, wie es am besten sei, ergänzen. Bei solcher Fügsamkeit kann man
es häufig von Beamten aussprechen hören, daß sie lieber mit dem polnischen,
als mit dem deutschen Bauer zu thun haben. --

Nach zwei Seiten hin haben wir den polnischen Bauer noch als Glied
eines großen Ganzen ins Auge zu fassen: in seinem Verhältnisse nämlich zur
Kirche und zu den auf nationale Selbständigkeit gerichteten Bestrebungen.
Was die Kämpfe anlangt, durch welche die Polen ihrer Nation innerhalb
des preußischen Staates eine freiere Bewegung und gesicherte Stellung zu
erreichen suchen, so entgehen Fragen, wie die nach der Gleichberechtigung der
polnischen Sprache und nach der Errichtung höherer polnischer Lehranstalten,
begreiflicherweise dem Verständniß des Bauern ganz; er nimmt ihnen gegen¬
über keine eigene Position ein.

Der Pole und insbesondere der Bauer ist ein vortrefflicher Katholik.
Die Kirche übt hier mehr als vielleicht irgendwo unbestrittene Autorität aus.
Zwar äußert sich die kirchliche Gesinnung bis in die höheren Stände hinauf,
wo besonders die Frauen großen Eifer an den Tag legen, zumeist nur in
der Devotion gegen die Geistlichen und in der gewissenhaften Beobachtung
der kirchlichen Satzungen. Gläubige deutsche Katholiken, welche hierher ver-


Tausch, zu Hader und kostspieligen Prozessen führt, ja nicht selten die Quelle
von Verbrechen ist.

Das Mißtrauen und die Hartnäckigkeit des deutschen Bauern besitzt der
polnische nicht. Er ist gutmüthig, nachgiebig, leicht zu behandeln. Mit sei¬
nem Nachbar verträgt er sich nicht schlecht, wenn er auch in seiner Heftigkeit
oder im Rausche leicht in die kräftigsten Flüche und Schimpfworte ausbricht,
an denen die polnische Sprache unerschöpflich ist. Gegen Alles, was über
ihm steht, beweist er eine des freien Mannes unwürdige Unterwürfigkeit.
Harte Worte erträgt er mit demüthiger Gelassenheit. Wo er fordern könnte,
bedient er sich doch des Tons bescheidenster Bitte, begleitet von der dem ge-
meinen Polen eigenen Geberde des Knieumfassens. So tritt er auch der
Behörde gegenüber. Hier aber bestimmt sich sein Verhalten noch durch etwas
Anderes. Man sollte meinen, er bewahre noch das Andenken an die gesetz¬
lose polnische Zeit und wisse um so mehr die Wohlthat eines geordneten
Rechtszustandes zu schätzen. Denn er vergilt die Pflichttreue und Unbestech¬
lichkeit des preußischen Beamten durch ein Vertrauen, wie man es in glei¬
chem Grade bei seinem deutschen Standesgenossen nicht findet. Freilich hat
er auch alle Ursache, seiner eigenen Einsicht zu mißtrauen. Gern ordnet er
sich der besseren Einsicht unter und verlangt, daß man ihn bevormunde. In
seinen wichtigsten Rechtsangelegenheiten, wie bei der Veräußerung oder dem
Erwerbe eines Grundstücks, erscheint er vor dem Richter nur halb vorberei¬
tet, überzeugt, der Richter werde bei Aufnahme des Contracts das Fehlende
schon so, wie es am besten sei, ergänzen. Bei solcher Fügsamkeit kann man
es häufig von Beamten aussprechen hören, daß sie lieber mit dem polnischen,
als mit dem deutschen Bauer zu thun haben. —

Nach zwei Seiten hin haben wir den polnischen Bauer noch als Glied
eines großen Ganzen ins Auge zu fassen: in seinem Verhältnisse nämlich zur
Kirche und zu den auf nationale Selbständigkeit gerichteten Bestrebungen.
Was die Kämpfe anlangt, durch welche die Polen ihrer Nation innerhalb
des preußischen Staates eine freiere Bewegung und gesicherte Stellung zu
erreichen suchen, so entgehen Fragen, wie die nach der Gleichberechtigung der
polnischen Sprache und nach der Errichtung höherer polnischer Lehranstalten,
begreiflicherweise dem Verständniß des Bauern ganz; er nimmt ihnen gegen¬
über keine eigene Position ein.

Der Pole und insbesondere der Bauer ist ein vortrefflicher Katholik.
Die Kirche übt hier mehr als vielleicht irgendwo unbestrittene Autorität aus.
Zwar äußert sich die kirchliche Gesinnung bis in die höheren Stände hinauf,
wo besonders die Frauen großen Eifer an den Tag legen, zumeist nur in
der Devotion gegen die Geistlichen und in der gewissenhaften Beobachtung
der kirchlichen Satzungen. Gläubige deutsche Katholiken, welche hierher ver-


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[0219] Tausch, zu Hader und kostspieligen Prozessen führt, ja nicht selten die Quelle von Verbrechen ist. Das Mißtrauen und die Hartnäckigkeit des deutschen Bauern besitzt der polnische nicht. Er ist gutmüthig, nachgiebig, leicht zu behandeln. Mit sei¬ nem Nachbar verträgt er sich nicht schlecht, wenn er auch in seiner Heftigkeit oder im Rausche leicht in die kräftigsten Flüche und Schimpfworte ausbricht, an denen die polnische Sprache unerschöpflich ist. Gegen Alles, was über ihm steht, beweist er eine des freien Mannes unwürdige Unterwürfigkeit. Harte Worte erträgt er mit demüthiger Gelassenheit. Wo er fordern könnte, bedient er sich doch des Tons bescheidenster Bitte, begleitet von der dem ge- meinen Polen eigenen Geberde des Knieumfassens. So tritt er auch der Behörde gegenüber. Hier aber bestimmt sich sein Verhalten noch durch etwas Anderes. Man sollte meinen, er bewahre noch das Andenken an die gesetz¬ lose polnische Zeit und wisse um so mehr die Wohlthat eines geordneten Rechtszustandes zu schätzen. Denn er vergilt die Pflichttreue und Unbestech¬ lichkeit des preußischen Beamten durch ein Vertrauen, wie man es in glei¬ chem Grade bei seinem deutschen Standesgenossen nicht findet. Freilich hat er auch alle Ursache, seiner eigenen Einsicht zu mißtrauen. Gern ordnet er sich der besseren Einsicht unter und verlangt, daß man ihn bevormunde. In seinen wichtigsten Rechtsangelegenheiten, wie bei der Veräußerung oder dem Erwerbe eines Grundstücks, erscheint er vor dem Richter nur halb vorberei¬ tet, überzeugt, der Richter werde bei Aufnahme des Contracts das Fehlende schon so, wie es am besten sei, ergänzen. Bei solcher Fügsamkeit kann man es häufig von Beamten aussprechen hören, daß sie lieber mit dem polnischen, als mit dem deutschen Bauer zu thun haben. — Nach zwei Seiten hin haben wir den polnischen Bauer noch als Glied eines großen Ganzen ins Auge zu fassen: in seinem Verhältnisse nämlich zur Kirche und zu den auf nationale Selbständigkeit gerichteten Bestrebungen. Was die Kämpfe anlangt, durch welche die Polen ihrer Nation innerhalb des preußischen Staates eine freiere Bewegung und gesicherte Stellung zu erreichen suchen, so entgehen Fragen, wie die nach der Gleichberechtigung der polnischen Sprache und nach der Errichtung höherer polnischer Lehranstalten, begreiflicherweise dem Verständniß des Bauern ganz; er nimmt ihnen gegen¬ über keine eigene Position ein. Der Pole und insbesondere der Bauer ist ein vortrefflicher Katholik. Die Kirche übt hier mehr als vielleicht irgendwo unbestrittene Autorität aus. Zwar äußert sich die kirchliche Gesinnung bis in die höheren Stände hinauf, wo besonders die Frauen großen Eifer an den Tag legen, zumeist nur in der Devotion gegen die Geistlichen und in der gewissenhaften Beobachtung der kirchlichen Satzungen. Gläubige deutsche Katholiken, welche hierher ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/219>, abgerufen am 28.07.2024.