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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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reißung der Provinz von Preußen Opfer an Gut und Blut zu bringen.
Der Hinweis auf den Glanz der Vergangenheit, von welcher ihm höchstens
das Gedächtniß der Willkürherrschaft seiner Grundherren zurückgeblieben ist,
und die Verheißung einer bessern Zukunft, ausgehend von den Nachkommen
Derjenigen, unter deren Druck er einst litt, können ihn nicht verlocken, den
sichern Besitz der Gegenwart gegen eine Hoffnung zu vertauschen, für deren
Erfüllung sich ihm keine Gewähr bietet. Nicht, daß es ihm an speciellen
Nationalsinn fehlte: er ist Pole und will Pole bleiben; aber der polnische
Nationalstaat bot ihm nichts, als ein hoffnungsloses Elend. Ein Staats-
wesen, welches in seinen Bürgern fortwährend die eisten Menschenrechte ver¬
letzte, welches neben wenigen Privtlegirtm nur einen Haufen rechtloser Indi¬
viduen kannte, vermochte bei diesen keine Wurzel zu fassen, sondern mußte
bei ihnen höchstens den Wunsch nach Aenderung um jeden Preis wach
rufen. Als Polen unterging, hatte der Bauer damit nichts verloren, was
ihm von irgend welchem Werthe scheinen konnte. Die späteren Veränderun¬
gen seiner Lage waren eben so viele Verbesserungen, die er der Fremdherrschaft
verdankte. So findet denn jeder Versuch zur Aufreizung im polnischen
Bauer einen fehr unempfänglicher Boden. Alle bisherigen Aufstände wurden
ohne ihn mit Leuten, die nichts zu verlieren hatten, unternommen. Es ist
den Führern noch nicht gelungen, aus dieser Properz ein Tirol zu machen.
Die Hauptkraft der Nation hat sich noch allemal der Bewegung entzogen,
und nur eins ist dabei zu bewundern, die Verblendung nämlich, zu glauben,
daß man mit hergelaufenen Gesinde! einen siegreichen Aufstand machen könne.

Unser polnischer Bauer aber kommt durchweg seinen bürgerlichen Pfund.
ten ohne Widerstand nach. Die allgemeine Wehrpflicht gibt hierfür den ent¬
scheidenden Maßstab. Obgleich ihre Durchführung so große Opfer gerade
der Art erheischt, wie man sie nur vom freien Patriotismus, nicht aber von
einem politisch unterworfenen Volksstamme erwarten sollte, findet sie hier
keinerlei Schwierigkeit. In den letzten Kriegen hat der polnische Soldat wie¬
derholt seine Tüchtigkeit bewährt. An den Erfolgen des Jahres 1866 hat
sie bei Skalitz, Nachod, Gitschin und Königgrätz hervorragenden Antheil
gehabt. *)



") Herr H. v. H. erwähnt in der in unserer ersten Skizze angeführten Schrift "das Ver¬
hältniß der Provinz Posen zum preußischen Staatsgebiet" (vgl. Grenzboten Ur. 31), daß, um
die Polen zum Sturme auf die Diipplcr Schanzen zu bewegen, der Gardedivisionspfarrer Land-
messer die Mannschaften durch muthiges Vorgehen im Namen Jesu Christi und der Mutter
Gottes erst habe enthusiasmiren müssen. Herr L. befand sich neben anderen katholischen und
evangelischen Geistlichen in den Laufgräben, wo die Sturmcolorwen das Zeichen zum Angriff er¬
warteten, und war beim Vorgehen der Truppen mit relegiösem Zuspruch thätig. Daß aber die
polnischen Reihen gewankt hätten, ist dem Verfasser dieser Skizzen, der dem Sturm bei Düppel
beigewohnt hat. nirgends bemerklich geworden. Dagegen erzählte man -- was ich aber nicht vcr-
Grenzboten III. 1870. 28

reißung der Provinz von Preußen Opfer an Gut und Blut zu bringen.
Der Hinweis auf den Glanz der Vergangenheit, von welcher ihm höchstens
das Gedächtniß der Willkürherrschaft seiner Grundherren zurückgeblieben ist,
und die Verheißung einer bessern Zukunft, ausgehend von den Nachkommen
Derjenigen, unter deren Druck er einst litt, können ihn nicht verlocken, den
sichern Besitz der Gegenwart gegen eine Hoffnung zu vertauschen, für deren
Erfüllung sich ihm keine Gewähr bietet. Nicht, daß es ihm an speciellen
Nationalsinn fehlte: er ist Pole und will Pole bleiben; aber der polnische
Nationalstaat bot ihm nichts, als ein hoffnungsloses Elend. Ein Staats-
wesen, welches in seinen Bürgern fortwährend die eisten Menschenrechte ver¬
letzte, welches neben wenigen Privtlegirtm nur einen Haufen rechtloser Indi¬
viduen kannte, vermochte bei diesen keine Wurzel zu fassen, sondern mußte
bei ihnen höchstens den Wunsch nach Aenderung um jeden Preis wach
rufen. Als Polen unterging, hatte der Bauer damit nichts verloren, was
ihm von irgend welchem Werthe scheinen konnte. Die späteren Veränderun¬
gen seiner Lage waren eben so viele Verbesserungen, die er der Fremdherrschaft
verdankte. So findet denn jeder Versuch zur Aufreizung im polnischen
Bauer einen fehr unempfänglicher Boden. Alle bisherigen Aufstände wurden
ohne ihn mit Leuten, die nichts zu verlieren hatten, unternommen. Es ist
den Führern noch nicht gelungen, aus dieser Properz ein Tirol zu machen.
Die Hauptkraft der Nation hat sich noch allemal der Bewegung entzogen,
und nur eins ist dabei zu bewundern, die Verblendung nämlich, zu glauben,
daß man mit hergelaufenen Gesinde! einen siegreichen Aufstand machen könne.

Unser polnischer Bauer aber kommt durchweg seinen bürgerlichen Pfund.
ten ohne Widerstand nach. Die allgemeine Wehrpflicht gibt hierfür den ent¬
scheidenden Maßstab. Obgleich ihre Durchführung so große Opfer gerade
der Art erheischt, wie man sie nur vom freien Patriotismus, nicht aber von
einem politisch unterworfenen Volksstamme erwarten sollte, findet sie hier
keinerlei Schwierigkeit. In den letzten Kriegen hat der polnische Soldat wie¬
derholt seine Tüchtigkeit bewährt. An den Erfolgen des Jahres 1866 hat
sie bei Skalitz, Nachod, Gitschin und Königgrätz hervorragenden Antheil
gehabt. *)



") Herr H. v. H. erwähnt in der in unserer ersten Skizze angeführten Schrift „das Ver¬
hältniß der Provinz Posen zum preußischen Staatsgebiet" (vgl. Grenzboten Ur. 31), daß, um
die Polen zum Sturme auf die Diipplcr Schanzen zu bewegen, der Gardedivisionspfarrer Land-
messer die Mannschaften durch muthiges Vorgehen im Namen Jesu Christi und der Mutter
Gottes erst habe enthusiasmiren müssen. Herr L. befand sich neben anderen katholischen und
evangelischen Geistlichen in den Laufgräben, wo die Sturmcolorwen das Zeichen zum Angriff er¬
warteten, und war beim Vorgehen der Truppen mit relegiösem Zuspruch thätig. Daß aber die
polnischen Reihen gewankt hätten, ist dem Verfasser dieser Skizzen, der dem Sturm bei Düppel
beigewohnt hat. nirgends bemerklich geworden. Dagegen erzählte man — was ich aber nicht vcr-
Grenzboten III. 1870. 28
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[0221] reißung der Provinz von Preußen Opfer an Gut und Blut zu bringen. Der Hinweis auf den Glanz der Vergangenheit, von welcher ihm höchstens das Gedächtniß der Willkürherrschaft seiner Grundherren zurückgeblieben ist, und die Verheißung einer bessern Zukunft, ausgehend von den Nachkommen Derjenigen, unter deren Druck er einst litt, können ihn nicht verlocken, den sichern Besitz der Gegenwart gegen eine Hoffnung zu vertauschen, für deren Erfüllung sich ihm keine Gewähr bietet. Nicht, daß es ihm an speciellen Nationalsinn fehlte: er ist Pole und will Pole bleiben; aber der polnische Nationalstaat bot ihm nichts, als ein hoffnungsloses Elend. Ein Staats- wesen, welches in seinen Bürgern fortwährend die eisten Menschenrechte ver¬ letzte, welches neben wenigen Privtlegirtm nur einen Haufen rechtloser Indi¬ viduen kannte, vermochte bei diesen keine Wurzel zu fassen, sondern mußte bei ihnen höchstens den Wunsch nach Aenderung um jeden Preis wach rufen. Als Polen unterging, hatte der Bauer damit nichts verloren, was ihm von irgend welchem Werthe scheinen konnte. Die späteren Veränderun¬ gen seiner Lage waren eben so viele Verbesserungen, die er der Fremdherrschaft verdankte. So findet denn jeder Versuch zur Aufreizung im polnischen Bauer einen fehr unempfänglicher Boden. Alle bisherigen Aufstände wurden ohne ihn mit Leuten, die nichts zu verlieren hatten, unternommen. Es ist den Führern noch nicht gelungen, aus dieser Properz ein Tirol zu machen. Die Hauptkraft der Nation hat sich noch allemal der Bewegung entzogen, und nur eins ist dabei zu bewundern, die Verblendung nämlich, zu glauben, daß man mit hergelaufenen Gesinde! einen siegreichen Aufstand machen könne. Unser polnischer Bauer aber kommt durchweg seinen bürgerlichen Pfund. ten ohne Widerstand nach. Die allgemeine Wehrpflicht gibt hierfür den ent¬ scheidenden Maßstab. Obgleich ihre Durchführung so große Opfer gerade der Art erheischt, wie man sie nur vom freien Patriotismus, nicht aber von einem politisch unterworfenen Volksstamme erwarten sollte, findet sie hier keinerlei Schwierigkeit. In den letzten Kriegen hat der polnische Soldat wie¬ derholt seine Tüchtigkeit bewährt. An den Erfolgen des Jahres 1866 hat sie bei Skalitz, Nachod, Gitschin und Königgrätz hervorragenden Antheil gehabt. *) ") Herr H. v. H. erwähnt in der in unserer ersten Skizze angeführten Schrift „das Ver¬ hältniß der Provinz Posen zum preußischen Staatsgebiet" (vgl. Grenzboten Ur. 31), daß, um die Polen zum Sturme auf die Diipplcr Schanzen zu bewegen, der Gardedivisionspfarrer Land- messer die Mannschaften durch muthiges Vorgehen im Namen Jesu Christi und der Mutter Gottes erst habe enthusiasmiren müssen. Herr L. befand sich neben anderen katholischen und evangelischen Geistlichen in den Laufgräben, wo die Sturmcolorwen das Zeichen zum Angriff er¬ warteten, und war beim Vorgehen der Truppen mit relegiösem Zuspruch thätig. Daß aber die polnischen Reihen gewankt hätten, ist dem Verfasser dieser Skizzen, der dem Sturm bei Düppel beigewohnt hat. nirgends bemerklich geworden. Dagegen erzählte man — was ich aber nicht vcr- Grenzboten III. 1870. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/221>, abgerufen am 27.07.2024.