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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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der Stunde eingehalten werde, wo die eigensten Interessen Englands
oder das alleinseligmachende Nichtinterventionsprincip verletzt werden.
Die Spannung in der politischen Atmosphäre ist so groß, daß jede Allianz
auf der einen Seite sofort ein Gegengewicht hervorlocken muß. Die
Theilnahme jeder dritten Macht aber droht dem Kampfe europäische
Ausdehnung zu geben. Wie die Chancen sich in diesem Falle stellen
würden, vermögen wir zur Zeit noch nicht zu übersehen. Von Wichtigkeit
für uns ist jedoch, daß Napoleon, wenn er im beginnenden Kampfe unter¬
liegt, nicht die Möglichkeit erhält, den Ausgang auf die Uebermacht
einer Koalition zu schieben -- die einzige Möglichkeit für ihn, sich im Falle
des Waffenunglücks in Frankreich zu behaupten. Und wieder ist es Eng¬
lands Beruf, darüber zu wachen. Denn wenn das Nichtinterventionsprincip
überhaupt ein Princip sein will und nicht eine Fa<?on des politischen Ban-
kerotts, so muß es sich dadurch äußern, daß der Mächtige jedem anderen ver¬
bietet, was er sich selbst versagt. Da England den Muth nicht fand, den
entsetzlichsten Streit zu schlichten, so ist jetzt sein Amt, als Herold die
Schranken des Turnieres frei zu halten, den Krieg zu localistren.

Unterdessen ist unsere Rüstung äußerlich und innerlich vollendet. Den
Bayonetten zur Seite geht das Gift der Noten, die Frankreichs petulante
und verschwörerische Politik entlarven. Nicht überall werden diese Aufklä¬
rungen mit ganz reinem Gefühle gelesen worden sein. Der diplomatische Sieg
ist so groß, als er nur sein kann; wenn aber der Eindruck einer gewissen ca-
valieren Behandlung der eigenen Gesinnungen auf Seiten des Grafen Bis-
marck die Genugthuung bei Manchen abschwächt, so vergesse man nicht, wie
viel uns und Europa gegenüber daran gelegen war, Frankreichs letzte Ge¬
danken zu erforschen. Der Hergang nimmt sich aus wie das Spiel mit einem
scharfen Messer: Heft und Klinge werden in den Händen gewechselt haben,
aber Graf Bismarck behielt am Ende den Griff und der Gegner die bluti¬
gen Finger, und darauf kam es an. Es ist altbrandenburgisch, den Feind
sich ins Unrecht setzen zu lassen; auch das ist nun in einem Umfang und in
einem Grade geschehn, wie niemals. Wir haben verstanden, an richtigem
Fleck und zu richtiger Stunde zu weichen: die Unterhaltungen Bismarcks
mit Benedetti, der hohenzollernsche Verzicht, jetzt die Räumung von Saar¬
brücken, bilden solche Momente, aber in allen Fällen ist es nur der
Schritt, den der Ringer zurückthut, um sich mit ganzer Wucht auf seinen
Feind zu stürzen. Die Stunde ist da ; was wir begehren, ist: die Gasse
frei ! --




der Stunde eingehalten werde, wo die eigensten Interessen Englands
oder das alleinseligmachende Nichtinterventionsprincip verletzt werden.
Die Spannung in der politischen Atmosphäre ist so groß, daß jede Allianz
auf der einen Seite sofort ein Gegengewicht hervorlocken muß. Die
Theilnahme jeder dritten Macht aber droht dem Kampfe europäische
Ausdehnung zu geben. Wie die Chancen sich in diesem Falle stellen
würden, vermögen wir zur Zeit noch nicht zu übersehen. Von Wichtigkeit
für uns ist jedoch, daß Napoleon, wenn er im beginnenden Kampfe unter¬
liegt, nicht die Möglichkeit erhält, den Ausgang auf die Uebermacht
einer Koalition zu schieben — die einzige Möglichkeit für ihn, sich im Falle
des Waffenunglücks in Frankreich zu behaupten. Und wieder ist es Eng¬
lands Beruf, darüber zu wachen. Denn wenn das Nichtinterventionsprincip
überhaupt ein Princip sein will und nicht eine Fa<?on des politischen Ban-
kerotts, so muß es sich dadurch äußern, daß der Mächtige jedem anderen ver¬
bietet, was er sich selbst versagt. Da England den Muth nicht fand, den
entsetzlichsten Streit zu schlichten, so ist jetzt sein Amt, als Herold die
Schranken des Turnieres frei zu halten, den Krieg zu localistren.

Unterdessen ist unsere Rüstung äußerlich und innerlich vollendet. Den
Bayonetten zur Seite geht das Gift der Noten, die Frankreichs petulante
und verschwörerische Politik entlarven. Nicht überall werden diese Aufklä¬
rungen mit ganz reinem Gefühle gelesen worden sein. Der diplomatische Sieg
ist so groß, als er nur sein kann; wenn aber der Eindruck einer gewissen ca-
valieren Behandlung der eigenen Gesinnungen auf Seiten des Grafen Bis-
marck die Genugthuung bei Manchen abschwächt, so vergesse man nicht, wie
viel uns und Europa gegenüber daran gelegen war, Frankreichs letzte Ge¬
danken zu erforschen. Der Hergang nimmt sich aus wie das Spiel mit einem
scharfen Messer: Heft und Klinge werden in den Händen gewechselt haben,
aber Graf Bismarck behielt am Ende den Griff und der Gegner die bluti¬
gen Finger, und darauf kam es an. Es ist altbrandenburgisch, den Feind
sich ins Unrecht setzen zu lassen; auch das ist nun in einem Umfang und in
einem Grade geschehn, wie niemals. Wir haben verstanden, an richtigem
Fleck und zu richtiger Stunde zu weichen: die Unterhaltungen Bismarcks
mit Benedetti, der hohenzollernsche Verzicht, jetzt die Räumung von Saar¬
brücken, bilden solche Momente, aber in allen Fällen ist es nur der
Schritt, den der Ringer zurückthut, um sich mit ganzer Wucht auf seinen
Feind zu stürzen. Die Stunde ist da ; was wir begehren, ist: die Gasse
frei ! —




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/208>, abgerufen am 06.07.2024.