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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Alles eigentlich keinen Bezug mehr auf das zuerst bei "Johann, ich muß fort"
Gesagte, es hat sich nur so daran gesponnen. Auch dort will ich ja nicht
gemeint haben, daß das Lied, da dieser Sinn nicht auszudrücken ist, nicht solle
componirt werden, und wie? -- da ists wie in der seligen Frau Spohr
Geschichte, wie ihr Jemand gesagt, daß sie mit dem größten Hunger sich zu
Tisch gesetzt und da nichts als hartes Fleisch bekommen hätten, was man
nicht kauen konnte. -- "Und was machten Sie denn da?" -- "Ja, wir kauten's
doch." Daß ichs nicht besser zu machen wußte, als Sie es gemacht, habe
ich auch schon gesagt.

Manchmal sind es auch Wortstellungen, Inversionen im Text, die keine
musikalische Wiedergabe zulassen, weil die musikalische Phrase ihre Glieder,
die nur auseinanderwachsend hervorgehen können, diese nicht versetzen läßt.
In einem Operntexte, den ich componirte, kamen im Recitativ die Worte vor
"Auch du? -- das find' ich seltsam, Schwester!" -- Ich bitte, wenn Ihnen
die Unmöglichkeit, diese "Schwester" musikalisch unterzubringen, nicht sogleich
evident ist. einen Recitativsatz damit zu versuchen und mir ihn zukommen zu
lassen, versteht sich ohne auf das Wort irgend einen emphatischen Ausdruck
als abgesonderten Ausruf oder dergl. zu bringen; den soll es nicht haben,
es steht so , daß es eben auch heißen könnte, "das, Schwester, find ich selt¬
sam;" es würde aber an jeder Stelle für die Musik im Wege sein. Auch
zusammengesetzte Substantive, die im Deutschen die Accente der einzelnen bei¬
behalten, nicht wie im Romanischen den Accent auf eine Stelle des zum
Ganzen verwachsenen Wortes werfen, können musikalisch sehr geniren, wo
ein Hauptaccent immer sehr hervorstechen wird, so "Einsiedler," wo man mit
dem Accent aus "Ein" sogleich aus "Zweisiedler" als Gegensatz geführt
wird, der nicht angeregt werden soll; Ein--Siedler aber auch wieder
sein Bedenkliches hat u. s. w. --


M. Hauptmann.

Leipzig, den 8. Mai 1856.


Lieber verehrter Freund!

Zuerst muß ich noch einmal von den Liedern sprechen, nämlich sagen,
daß ich ganz dafür bin, das neunte mit aufzunehmen, nicht blos weil es
Andere wünschen, auch auf eigenen Wunsch. Eine ganz kleine Abänderung
in den Mittelstimmen der Begleitung am Schluß (zwei Noten) habe ich mir
erlaubt, ich glaube, Sie werden einverstanden sein, es ist ganz bestimmte
Sache der Correctheit. Die Lieder sind jedenfalls schon in Arbeit, vielleicht
schon gestochen, ich schickte sie sogleich, da sie von Ihnen kamen zu Härtel.
Das wars was ich von den Liedern zu sagen hatte, nun will ich von Mo¬
zart sprechen (Herodot'sche Uebergangsformel!) Ich habe eben den töten


Alles eigentlich keinen Bezug mehr auf das zuerst bei „Johann, ich muß fort"
Gesagte, es hat sich nur so daran gesponnen. Auch dort will ich ja nicht
gemeint haben, daß das Lied, da dieser Sinn nicht auszudrücken ist, nicht solle
componirt werden, und wie? — da ists wie in der seligen Frau Spohr
Geschichte, wie ihr Jemand gesagt, daß sie mit dem größten Hunger sich zu
Tisch gesetzt und da nichts als hartes Fleisch bekommen hätten, was man
nicht kauen konnte. — „Und was machten Sie denn da?" — „Ja, wir kauten's
doch." Daß ichs nicht besser zu machen wußte, als Sie es gemacht, habe
ich auch schon gesagt.

Manchmal sind es auch Wortstellungen, Inversionen im Text, die keine
musikalische Wiedergabe zulassen, weil die musikalische Phrase ihre Glieder,
die nur auseinanderwachsend hervorgehen können, diese nicht versetzen läßt.
In einem Operntexte, den ich componirte, kamen im Recitativ die Worte vor
„Auch du? — das find' ich seltsam, Schwester!" — Ich bitte, wenn Ihnen
die Unmöglichkeit, diese „Schwester" musikalisch unterzubringen, nicht sogleich
evident ist. einen Recitativsatz damit zu versuchen und mir ihn zukommen zu
lassen, versteht sich ohne auf das Wort irgend einen emphatischen Ausdruck
als abgesonderten Ausruf oder dergl. zu bringen; den soll es nicht haben,
es steht so , daß es eben auch heißen könnte, „das, Schwester, find ich selt¬
sam;" es würde aber an jeder Stelle für die Musik im Wege sein. Auch
zusammengesetzte Substantive, die im Deutschen die Accente der einzelnen bei¬
behalten, nicht wie im Romanischen den Accent auf eine Stelle des zum
Ganzen verwachsenen Wortes werfen, können musikalisch sehr geniren, wo
ein Hauptaccent immer sehr hervorstechen wird, so „Einsiedler," wo man mit
dem Accent aus „Ein" sogleich aus „Zweisiedler" als Gegensatz geführt
wird, der nicht angeregt werden soll; Ein—Siedler aber auch wieder
sein Bedenkliches hat u. s. w. —


M. Hauptmann.

Leipzig, den 8. Mai 1856.


Lieber verehrter Freund!

Zuerst muß ich noch einmal von den Liedern sprechen, nämlich sagen,
daß ich ganz dafür bin, das neunte mit aufzunehmen, nicht blos weil es
Andere wünschen, auch auf eigenen Wunsch. Eine ganz kleine Abänderung
in den Mittelstimmen der Begleitung am Schluß (zwei Noten) habe ich mir
erlaubt, ich glaube, Sie werden einverstanden sein, es ist ganz bestimmte
Sache der Correctheit. Die Lieder sind jedenfalls schon in Arbeit, vielleicht
schon gestochen, ich schickte sie sogleich, da sie von Ihnen kamen zu Härtel.
Das wars was ich von den Liedern zu sagen hatte, nun will ich von Mo¬
zart sprechen (Herodot'sche Uebergangsformel!) Ich habe eben den töten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/94>, abgerufen am 18.12.2024.