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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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das rechte treffend scheinen, ich mochte es aber in eignem Interesse versuchen
wie ich wollte, es kam kein passenderer, und -- es ist aber auch gar nicht
möglich, diese Worte in dem Sinne wie sie gesprochen sind, zu singen, es
sind Verlegenheitsworte, die in der Liebesangst, für den Augenblick loszu¬
kommen, ohne irgend eine Gesühlstheilnahme an diesen Worten Ausgesprochen
werden> vom Munde allein, nicht vom Herzen. Was das Mädchen vom
Herzen möchte gesagt haben: "Wa gern, min Johann," -- wie leicht ist da
der vollste musikalische Ausdruck zu finden. Wo kein Herz ist, ist keine Musik,
das wird sich immer unabweislich herausstellen, wo man solche Worte, die
nicht von Innen kommen, die nicht direcrer Gefühlsausdruck sind, in Musik
setzen soll: bei lyrischen Sachen, denn bei epischen, in der Bänkelsängerei
(nicht im schlimmen Sinne) ists was Andres; es kann recht gut auch eine
ganze Geschichtserzählung gesungen werden, wo die Musik dann so wenig
dem Ausdruck des Einzelnen widersprechen wird, als es die Gleichförmigkeit
des Versmaaßes oder der Strophe bei den allerverschiedensten Vorgängen
in der Erzählung thut. Hier ist Stimmung und Ton des Ganzen das, was
die musikalische Grundlage gibt, das Flüssige, Unterschiedslose zum Festen,
die Brühe aus dem Fleisch -- um es speishaft auszudrücken und mit Ge¬
schmack. -- So sind doch mehr oder weniger alle Strophenlieder, man wird bei
der Composition wohl gern die Strophen alle bedenken bet der Melodie und
Harmonie der ersten, aber irgend einer Strophe zu Gunsten den musikalischen
Ausdruck als selbständigen zu verkümmern, wird ein guter Liedercomponist
nicht leicht thun. Manche haben es unternommen, dem Einzelnen aller
Strophen gerecht werden zu wollen: A. Andre' z. B. hat solche ausgetüftelte
Lieder geschrieben und in mehreren Heften herausgegeben, und hat sich nicht
wenig aus diese Vollkommenheit eingebildet, sie sind aber nie gesungen worden.
Ich habe einmal in einer Liederrecension gesagt, daß es zwei Arten gibt,
Text in Musik zu setzen: die eine, wie der Uhrmacher eine Uhr "in Oel setzt,"
wo jedes Zäpfchen, jede Spindel des Werkes mit einem Tröpfchen Oel be¬
tupft wird, -- so die deklamatorische Musik; die andere, wie man den Fisch
ins Wasser setzt, -- so die musikalische Musik. Ich will hier nicht noch ein-
mal sagen, was ich als meine Meinung über musikalischen Wortausdruck an
einer Stelle in meinem Buch über Harmonik (364--66) gesagt habe; wenn
man aber alles zusammen nimmt, wie es die Größten und Besten aller Zeiten
gemacht haben, so kann das doch wohl als Norm und Rechtfertigung mit
gelten. Wie man auf dem andern Wege in das Allerverrückteste gerathen
kann, theoretisch noch mehr als praktisch, -- denn hier wird doch immer ein
Rest gesunden Gefühls dem ganz Absurden steuern, -- das können wir in
einem Büchlein "die Melodie der Sprache" von L. Köhler erfahren, das in
dieser Hinsicht der Mühe werth ist, nachgesehen zu werden. -- Das hat nun


das rechte treffend scheinen, ich mochte es aber in eignem Interesse versuchen
wie ich wollte, es kam kein passenderer, und — es ist aber auch gar nicht
möglich, diese Worte in dem Sinne wie sie gesprochen sind, zu singen, es
sind Verlegenheitsworte, die in der Liebesangst, für den Augenblick loszu¬
kommen, ohne irgend eine Gesühlstheilnahme an diesen Worten Ausgesprochen
werden> vom Munde allein, nicht vom Herzen. Was das Mädchen vom
Herzen möchte gesagt haben: „Wa gern, min Johann," — wie leicht ist da
der vollste musikalische Ausdruck zu finden. Wo kein Herz ist, ist keine Musik,
das wird sich immer unabweislich herausstellen, wo man solche Worte, die
nicht von Innen kommen, die nicht direcrer Gefühlsausdruck sind, in Musik
setzen soll: bei lyrischen Sachen, denn bei epischen, in der Bänkelsängerei
(nicht im schlimmen Sinne) ists was Andres; es kann recht gut auch eine
ganze Geschichtserzählung gesungen werden, wo die Musik dann so wenig
dem Ausdruck des Einzelnen widersprechen wird, als es die Gleichförmigkeit
des Versmaaßes oder der Strophe bei den allerverschiedensten Vorgängen
in der Erzählung thut. Hier ist Stimmung und Ton des Ganzen das, was
die musikalische Grundlage gibt, das Flüssige, Unterschiedslose zum Festen,
die Brühe aus dem Fleisch — um es speishaft auszudrücken und mit Ge¬
schmack. — So sind doch mehr oder weniger alle Strophenlieder, man wird bei
der Composition wohl gern die Strophen alle bedenken bet der Melodie und
Harmonie der ersten, aber irgend einer Strophe zu Gunsten den musikalischen
Ausdruck als selbständigen zu verkümmern, wird ein guter Liedercomponist
nicht leicht thun. Manche haben es unternommen, dem Einzelnen aller
Strophen gerecht werden zu wollen: A. Andre' z. B. hat solche ausgetüftelte
Lieder geschrieben und in mehreren Heften herausgegeben, und hat sich nicht
wenig aus diese Vollkommenheit eingebildet, sie sind aber nie gesungen worden.
Ich habe einmal in einer Liederrecension gesagt, daß es zwei Arten gibt,
Text in Musik zu setzen: die eine, wie der Uhrmacher eine Uhr „in Oel setzt,"
wo jedes Zäpfchen, jede Spindel des Werkes mit einem Tröpfchen Oel be¬
tupft wird, — so die deklamatorische Musik; die andere, wie man den Fisch
ins Wasser setzt, — so die musikalische Musik. Ich will hier nicht noch ein-
mal sagen, was ich als meine Meinung über musikalischen Wortausdruck an
einer Stelle in meinem Buch über Harmonik (364—66) gesagt habe; wenn
man aber alles zusammen nimmt, wie es die Größten und Besten aller Zeiten
gemacht haben, so kann das doch wohl als Norm und Rechtfertigung mit
gelten. Wie man auf dem andern Wege in das Allerverrückteste gerathen
kann, theoretisch noch mehr als praktisch, — denn hier wird doch immer ein
Rest gesunden Gefühls dem ganz Absurden steuern, — das können wir in
einem Büchlein „die Melodie der Sprache" von L. Köhler erfahren, das in
dieser Hinsicht der Mühe werth ist, nachgesehen zu werden. — Das hat nun


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/93>, abgerufen am 01.09.2024.