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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Bogen fortgeschickt. Das historisch-kritische über die französische Oper finde
ich ganz vortrefflich, in vollkommenem Besitz der Sache dargelegt; die Wür¬
digung Glucks ganz nobel, mit aller Anerkennung seiner großen Eigenschaf¬
ten und ohne blinde Anbetung, in die sich so viele auch sehr gute Musiker
hineingerannt haben, während andere wieder nur seine harmonischen Mängel
aufzufinden wissen. Ich erinnere mich aus Forkels M. Bibl. der Besprechung
der Iphigenie von Gluck und einer Oper Walter, ich glaube von Schwerer,
wo letztere in den Himmel gehoben, die erstere ganz gering gemacht wird. --
Wer weiß jetzt noch vom Walter, wer weiß von dem Kriticus, während die
Iphigenie noch immer glänzt. Das Beurtheilte gibt eben auch eine Beur¬
theilung über den Beurtheilenden und es heißt wie das Buch bei Logan
sagt: "Leser wie gefall ich Dir? Leser wie gefällst Du mir?" Wenn aber
ein Componist sagt, er suche bei der Composition vor allem ganz zu ver¬
gessen, daß er Musiker sei -- so wird das immer nicht das ganz Rechte sein
können: auch die Aeußerung im allereingehendsten Sinne genommen. Wenn
er durch und durch Musiker ist, so wird er es so wenig vergessen können,
als er überhaupt daran denken kann, er wird eben was er zu sagen hat und
was zu sagen ist, nur als Musiker sagen können, es kann und darf außer¬
halb der musikalischen Kunstsphäre mit all ihren organischen Bedingungen
und Gesetzen für ihn kein musikalischer Ausdruck denkbar sein. Will er einen
andern, so vergißt er nicht blos, daß er Musiker ist, er vergißt, daß er Künst¬
ler überhaupt sein soll.

Wie vieles kommt hier vor, was unsere liebe Zukunft berührt, ja sie in
ihrem innersten Wesen oder Unwesen trifft, aber Glucks Weise doch stolz
über diesen stehen läßt. Ueber den unzulässigen Vergleich von Poesie und
Musik mit Zeichnung und Colont kann man nichts besseres sagen, als Sie
es in dem Buche gethan haben. Gott sei es gedankt, daß von jeher die
guten Componisten noch etwas anderes gethan haben als die Wortcontoure
illuminiren, daß sie, wie die ungeschickten Kinder, mit dem Pinsel fleißig
übergefahren sind und es so gemacht haben, daß wir uns an ihrer Musik,
mit der sie dem Texte Leben gaben, noch heut erfreuen können, wo die Poesie
ohne diese Musik längst als Maculatur verbraucht sein würde. Und ist denn
die Musik hier etwa bloße "Sonderkunst"? wenn mir ein Stück aus einer
Mozart'schen Oper in den Sinn kommt, aus Don Juan oder Figaro, so ist's
ja doch nicht blos die Musik; es ist zugleich die ganze dramatische Situation
mit all ihren Personen und mit all den Leiden und Freuden dieser; nur
freilich nicht immer gerade den einzelnen Worten nach, in denen diese ausge¬
sprochen sind, sondern eben dem musikalischen Ausdrucke nach, zu dem die
nicht immer sehr bedeutenden Worte gesprochen werden. Daher läßt sich


Grenzboten II. 1870. 12

Bogen fortgeschickt. Das historisch-kritische über die französische Oper finde
ich ganz vortrefflich, in vollkommenem Besitz der Sache dargelegt; die Wür¬
digung Glucks ganz nobel, mit aller Anerkennung seiner großen Eigenschaf¬
ten und ohne blinde Anbetung, in die sich so viele auch sehr gute Musiker
hineingerannt haben, während andere wieder nur seine harmonischen Mängel
aufzufinden wissen. Ich erinnere mich aus Forkels M. Bibl. der Besprechung
der Iphigenie von Gluck und einer Oper Walter, ich glaube von Schwerer,
wo letztere in den Himmel gehoben, die erstere ganz gering gemacht wird. —
Wer weiß jetzt noch vom Walter, wer weiß von dem Kriticus, während die
Iphigenie noch immer glänzt. Das Beurtheilte gibt eben auch eine Beur¬
theilung über den Beurtheilenden und es heißt wie das Buch bei Logan
sagt: „Leser wie gefall ich Dir? Leser wie gefällst Du mir?" Wenn aber
ein Componist sagt, er suche bei der Composition vor allem ganz zu ver¬
gessen, daß er Musiker sei — so wird das immer nicht das ganz Rechte sein
können: auch die Aeußerung im allereingehendsten Sinne genommen. Wenn
er durch und durch Musiker ist, so wird er es so wenig vergessen können,
als er überhaupt daran denken kann, er wird eben was er zu sagen hat und
was zu sagen ist, nur als Musiker sagen können, es kann und darf außer¬
halb der musikalischen Kunstsphäre mit all ihren organischen Bedingungen
und Gesetzen für ihn kein musikalischer Ausdruck denkbar sein. Will er einen
andern, so vergißt er nicht blos, daß er Musiker ist, er vergißt, daß er Künst¬
ler überhaupt sein soll.

Wie vieles kommt hier vor, was unsere liebe Zukunft berührt, ja sie in
ihrem innersten Wesen oder Unwesen trifft, aber Glucks Weise doch stolz
über diesen stehen läßt. Ueber den unzulässigen Vergleich von Poesie und
Musik mit Zeichnung und Colont kann man nichts besseres sagen, als Sie
es in dem Buche gethan haben. Gott sei es gedankt, daß von jeher die
guten Componisten noch etwas anderes gethan haben als die Wortcontoure
illuminiren, daß sie, wie die ungeschickten Kinder, mit dem Pinsel fleißig
übergefahren sind und es so gemacht haben, daß wir uns an ihrer Musik,
mit der sie dem Texte Leben gaben, noch heut erfreuen können, wo die Poesie
ohne diese Musik längst als Maculatur verbraucht sein würde. Und ist denn
die Musik hier etwa bloße „Sonderkunst"? wenn mir ein Stück aus einer
Mozart'schen Oper in den Sinn kommt, aus Don Juan oder Figaro, so ist's
ja doch nicht blos die Musik; es ist zugleich die ganze dramatische Situation
mit all ihren Personen und mit all den Leiden und Freuden dieser; nur
freilich nicht immer gerade den einzelnen Worten nach, in denen diese ausge¬
sprochen sind, sondern eben dem musikalischen Ausdrucke nach, zu dem die
nicht immer sehr bedeutenden Worte gesprochen werden. Daher läßt sich


Grenzboten II. 1870. 12
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/95>, abgerufen am 18.12.2024.