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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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ursprüngliche Künstler selbst ein Motiv hatte, das Kleid einmal blau, das
anderem"! grün zu malen; und an ein solches wird sich denken lassen. Nun
bestand aber nicht einmal zu Holbein's Zeit eine bestimmte Convention be¬
treffs der Farbe des Madonnenkleides. Denn weit entfernt, daß es immer
blau gewesen, sieht man es in den Bildern aus jener Zeit auch roth, auch
weiß, auch goldbrokaten, und daß Grün von den Farben des Madonnen¬
kleides ausgeschlossen gewesen, stünde durchaus noch zu beweisen. Nach dem
unmittelbaren Anblick kann man sogar genug grüne Madonnenkleider aus
jener Zeit finden; besuche man nur in dieser Hinsicht, was uns hier am
nächsten liegt, die altdeutschen Zimmer im Leipziger und Dresdener Museum;
ja, in einem Bilde unseres Holbein selbst, dem Freiburger Doppelbilde, tragen
sogar beide Madonnen ein grünes Kleid, nur daß freilich der Verdacht frei
steht, daß das Grün in allen diesen Fällen auch erst aus Blau
durch einen gelb gewordenen Firniß oder eine freiwillige Veränderung
der Farbe entstanden sei, wofür sich namentlich anführen läßt, daß das
Grün, wenigstens in den meisten (nicht in allen) Fällen noch einen
Stich ins Blaue zeigt, aber eine gründliche Untersuchung darüber
(wobei insbesondere aus die Farbe des Himmels mit Rücksicht genommen wer¬
den müßte), findeich weder von Weltmann noch sonst wo geführt; und nur
auf eine solche könnte sich der Einwand stützen. Sei es aber auch, daß Grün
sonst nicht leicht zum Kleide der Madonna gewählt wurde, so konnte doch
Holbein folgenden Grund haben, es in einem beider Exemplare zu wählen.
nachweislich hat Holbein öfters in den Madonnen und heiligen Frauen
seiner Bilder die Frauen oder Töchter der Besteller oder Stifter dieser por¬
traitirr und ihnen nicht nur die Züge derselben geliehen, sondern ich kann
auch wenigstens einen Fall anführen, wo er mit den Zügen das ganze welt¬
liche Kleid einer solchen auf eine heilige Elisabeth übertragen hat. Nicht un¬
wahrscheinlich, daß etwas Aehnliches auch bei unserm Falle statt fand. Blickt
doch das Portraitartige noch durch die Züge unserer Madonna durch, und
die schon mehrfach hervorgehobene Aehnlichkeit derselben mit dem unten knien¬
den halbwüchsigen Jüngling oder Knaben spricht auch dafür, daß nur ein
weibliches Glied der Familie in ihr idealisirt dargestellt worden sei. Hier¬
nach aber ist es sehr denkbar, daß Holbein in dem einen, dem für die Kirche
bestimmten Bilde der Madonna, das jedenfalls gewöhnlichere blaue Kleid, im
anderen, dem Hausbilde, das grüne Staatskleid gab, was die betreffende
Person tragen mochte. War doch wirklich das parallelfalttge Kleid, was die
Madonna trägt, ein Costüm der Zeit, indeß Holbein der Madonna sonst
immer nur ein Kleid mit gebrochenen Falten gegeben hat; auch stimmt das
lose um den Leib geschlungene rothe Band mit fallenden Zipfeln noch besser
zu einem häuslichen als einem heiligen Kleide. Ja, liegt nicht die einfachste


ursprüngliche Künstler selbst ein Motiv hatte, das Kleid einmal blau, das
anderem«! grün zu malen; und an ein solches wird sich denken lassen. Nun
bestand aber nicht einmal zu Holbein's Zeit eine bestimmte Convention be¬
treffs der Farbe des Madonnenkleides. Denn weit entfernt, daß es immer
blau gewesen, sieht man es in den Bildern aus jener Zeit auch roth, auch
weiß, auch goldbrokaten, und daß Grün von den Farben des Madonnen¬
kleides ausgeschlossen gewesen, stünde durchaus noch zu beweisen. Nach dem
unmittelbaren Anblick kann man sogar genug grüne Madonnenkleider aus
jener Zeit finden; besuche man nur in dieser Hinsicht, was uns hier am
nächsten liegt, die altdeutschen Zimmer im Leipziger und Dresdener Museum;
ja, in einem Bilde unseres Holbein selbst, dem Freiburger Doppelbilde, tragen
sogar beide Madonnen ein grünes Kleid, nur daß freilich der Verdacht frei
steht, daß das Grün in allen diesen Fällen auch erst aus Blau
durch einen gelb gewordenen Firniß oder eine freiwillige Veränderung
der Farbe entstanden sei, wofür sich namentlich anführen läßt, daß das
Grün, wenigstens in den meisten (nicht in allen) Fällen noch einen
Stich ins Blaue zeigt, aber eine gründliche Untersuchung darüber
(wobei insbesondere aus die Farbe des Himmels mit Rücksicht genommen wer¬
den müßte), findeich weder von Weltmann noch sonst wo geführt; und nur
auf eine solche könnte sich der Einwand stützen. Sei es aber auch, daß Grün
sonst nicht leicht zum Kleide der Madonna gewählt wurde, so konnte doch
Holbein folgenden Grund haben, es in einem beider Exemplare zu wählen.
nachweislich hat Holbein öfters in den Madonnen und heiligen Frauen
seiner Bilder die Frauen oder Töchter der Besteller oder Stifter dieser por¬
traitirr und ihnen nicht nur die Züge derselben geliehen, sondern ich kann
auch wenigstens einen Fall anführen, wo er mit den Zügen das ganze welt¬
liche Kleid einer solchen auf eine heilige Elisabeth übertragen hat. Nicht un¬
wahrscheinlich, daß etwas Aehnliches auch bei unserm Falle statt fand. Blickt
doch das Portraitartige noch durch die Züge unserer Madonna durch, und
die schon mehrfach hervorgehobene Aehnlichkeit derselben mit dem unten knien¬
den halbwüchsigen Jüngling oder Knaben spricht auch dafür, daß nur ein
weibliches Glied der Familie in ihr idealisirt dargestellt worden sei. Hier¬
nach aber ist es sehr denkbar, daß Holbein in dem einen, dem für die Kirche
bestimmten Bilde der Madonna, das jedenfalls gewöhnlichere blaue Kleid, im
anderen, dem Hausbilde, das grüne Staatskleid gab, was die betreffende
Person tragen mochte. War doch wirklich das parallelfalttge Kleid, was die
Madonna trägt, ein Costüm der Zeit, indeß Holbein der Madonna sonst
immer nur ein Kleid mit gebrochenen Falten gegeben hat; auch stimmt das
lose um den Leib geschlungene rothe Band mit fallenden Zipfeln noch besser
zu einem häuslichen als einem heiligen Kleide. Ja, liegt nicht die einfachste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/61>, abgerufen am 09.11.2024.