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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Standpunkte aus hätte man nie zu diesem traurigen Nothbehelf kommen
können. So war der Entwurf politisch geboten, und bezüglich des momen¬
tanen Sinkens der Schulen möchte man sich mit der allmälig steigenden
Bildung der Lehrer trösten.

Während dessen waren Ereignisse eingetreten, die den Streit zwischen
Kirche und Staat nach jeder Richtung nur verschärfen konnten. Die Zoll-
Parlamentswahlen und die Wahlen zum Landtage im Jahre 1869 hatten
gezeigt, daß der Clerus auf dem besten Wege ist. den ganzen Staat an sich
zu reißen. Denn die ländliche und katholische Bevölkerung in Bayern und
mithin die Majorität in der Kammer hat keine andere politische Meinung
als die, zu der der Clerus die Parole ausgibt. Er hat die jüngsten Wahlen
gemacht, in seine Hände ist der Geldbeutel des Landes und damit die
Macht gekommen. Das hätte wohl auch Niemand an der Wiege unserer
Constitution gesungen, daß wir gerade durch sie dem Clerus mit gebun¬
denen Händen ausgeliefert werden sollten, und daß eine Zeit in Bayern
kommen würde, in der man Gott für jedes Kron- und Regierungs-Recht
danken muß. das noch übrig ist. Angesichts dieser Thatsache, daß die Geistlich,
keit die konstitutionellen Rechte des Landes zu absorbiren droht, ist es fast
unbegreiflich , wie noch immer Liberale sich für die Losung: "freie Kirche im
freien Staate" zu begeistern vermögen. Nur 10 Jahre die Freiheit der
katholischen Kirche in Bayern, wie sie Preußen bei seiner überwiegend protestan¬
tischen, den Staat sichernden Bevölkerung unbedenklich gewähren konnte, und
das ganze Land würde dermaßen mit ultramontanen Anschauungen impräg-
nirt sein, daß jedes Rechr, welches die Verfassung gewährt oder noch ge¬
währen wird, sich in einen Machtzuwachs für den Clerus verwandeln würde.

So standen die Sachen bereits oder drohten es jeden Augenblick zu
wenden, als auch noch die Berufung des allgemeinen Concils zur Unfehlbar¬
keitserklärung des Papstes von Rom aus erging. Waren für den Staat
bisher schon die höchsten Interessen an die Bekämpfung der romanistischen
Tendenzen geknüpft, so durfte er am wenigsten die Krönung des Papal-
systems ruhig mit ansehen. Bei dem Glaubenshunger und der Autoritäts¬
sucht der altbayrischen Bevölkerung mußte ein die Gewissen aller Gläubigen
bindendes Dogma von der Jnfallibilität dem Papste und dem ihm unbedingt
ergebenen Clerus eine neue unberechenbare Macht über die Gemüther ver¬
schaffen, und in welcher Richtung diese gebraucht werden würde, zeigte der
Syllabus und die Encyclica. Wieder trafen die Interessen des Staates mit
denen der deutsch-historischen Schule zusammen. Sie, die Gesammtheit der
Gläubigen gegenüber der kirchenlichen Centralisation, die Wissenschaft gegen
die Jndex-Congregation vertheidigend, konnte ebensowenig einen unfehlbaren
Papst brauchen, der das gesammte Leben der Kirche absorbirte. Es erfolgte


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Standpunkte aus hätte man nie zu diesem traurigen Nothbehelf kommen
können. So war der Entwurf politisch geboten, und bezüglich des momen¬
tanen Sinkens der Schulen möchte man sich mit der allmälig steigenden
Bildung der Lehrer trösten.

Während dessen waren Ereignisse eingetreten, die den Streit zwischen
Kirche und Staat nach jeder Richtung nur verschärfen konnten. Die Zoll-
Parlamentswahlen und die Wahlen zum Landtage im Jahre 1869 hatten
gezeigt, daß der Clerus auf dem besten Wege ist. den ganzen Staat an sich
zu reißen. Denn die ländliche und katholische Bevölkerung in Bayern und
mithin die Majorität in der Kammer hat keine andere politische Meinung
als die, zu der der Clerus die Parole ausgibt. Er hat die jüngsten Wahlen
gemacht, in seine Hände ist der Geldbeutel des Landes und damit die
Macht gekommen. Das hätte wohl auch Niemand an der Wiege unserer
Constitution gesungen, daß wir gerade durch sie dem Clerus mit gebun¬
denen Händen ausgeliefert werden sollten, und daß eine Zeit in Bayern
kommen würde, in der man Gott für jedes Kron- und Regierungs-Recht
danken muß. das noch übrig ist. Angesichts dieser Thatsache, daß die Geistlich,
keit die konstitutionellen Rechte des Landes zu absorbiren droht, ist es fast
unbegreiflich , wie noch immer Liberale sich für die Losung: „freie Kirche im
freien Staate" zu begeistern vermögen. Nur 10 Jahre die Freiheit der
katholischen Kirche in Bayern, wie sie Preußen bei seiner überwiegend protestan¬
tischen, den Staat sichernden Bevölkerung unbedenklich gewähren konnte, und
das ganze Land würde dermaßen mit ultramontanen Anschauungen impräg-
nirt sein, daß jedes Rechr, welches die Verfassung gewährt oder noch ge¬
währen wird, sich in einen Machtzuwachs für den Clerus verwandeln würde.

So standen die Sachen bereits oder drohten es jeden Augenblick zu
wenden, als auch noch die Berufung des allgemeinen Concils zur Unfehlbar¬
keitserklärung des Papstes von Rom aus erging. Waren für den Staat
bisher schon die höchsten Interessen an die Bekämpfung der romanistischen
Tendenzen geknüpft, so durfte er am wenigsten die Krönung des Papal-
systems ruhig mit ansehen. Bei dem Glaubenshunger und der Autoritäts¬
sucht der altbayrischen Bevölkerung mußte ein die Gewissen aller Gläubigen
bindendes Dogma von der Jnfallibilität dem Papste und dem ihm unbedingt
ergebenen Clerus eine neue unberechenbare Macht über die Gemüther ver¬
schaffen, und in welcher Richtung diese gebraucht werden würde, zeigte der
Syllabus und die Encyclica. Wieder trafen die Interessen des Staates mit
denen der deutsch-historischen Schule zusammen. Sie, die Gesammtheit der
Gläubigen gegenüber der kirchenlichen Centralisation, die Wissenschaft gegen
die Jndex-Congregation vertheidigend, konnte ebensowenig einen unfehlbaren
Papst brauchen, der das gesammte Leben der Kirche absorbirte. Es erfolgte


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[0521] Standpunkte aus hätte man nie zu diesem traurigen Nothbehelf kommen können. So war der Entwurf politisch geboten, und bezüglich des momen¬ tanen Sinkens der Schulen möchte man sich mit der allmälig steigenden Bildung der Lehrer trösten. Während dessen waren Ereignisse eingetreten, die den Streit zwischen Kirche und Staat nach jeder Richtung nur verschärfen konnten. Die Zoll- Parlamentswahlen und die Wahlen zum Landtage im Jahre 1869 hatten gezeigt, daß der Clerus auf dem besten Wege ist. den ganzen Staat an sich zu reißen. Denn die ländliche und katholische Bevölkerung in Bayern und mithin die Majorität in der Kammer hat keine andere politische Meinung als die, zu der der Clerus die Parole ausgibt. Er hat die jüngsten Wahlen gemacht, in seine Hände ist der Geldbeutel des Landes und damit die Macht gekommen. Das hätte wohl auch Niemand an der Wiege unserer Constitution gesungen, daß wir gerade durch sie dem Clerus mit gebun¬ denen Händen ausgeliefert werden sollten, und daß eine Zeit in Bayern kommen würde, in der man Gott für jedes Kron- und Regierungs-Recht danken muß. das noch übrig ist. Angesichts dieser Thatsache, daß die Geistlich, keit die konstitutionellen Rechte des Landes zu absorbiren droht, ist es fast unbegreiflich , wie noch immer Liberale sich für die Losung: „freie Kirche im freien Staate" zu begeistern vermögen. Nur 10 Jahre die Freiheit der katholischen Kirche in Bayern, wie sie Preußen bei seiner überwiegend protestan¬ tischen, den Staat sichernden Bevölkerung unbedenklich gewähren konnte, und das ganze Land würde dermaßen mit ultramontanen Anschauungen impräg- nirt sein, daß jedes Rechr, welches die Verfassung gewährt oder noch ge¬ währen wird, sich in einen Machtzuwachs für den Clerus verwandeln würde. So standen die Sachen bereits oder drohten es jeden Augenblick zu wenden, als auch noch die Berufung des allgemeinen Concils zur Unfehlbar¬ keitserklärung des Papstes von Rom aus erging. Waren für den Staat bisher schon die höchsten Interessen an die Bekämpfung der romanistischen Tendenzen geknüpft, so durfte er am wenigsten die Krönung des Papal- systems ruhig mit ansehen. Bei dem Glaubenshunger und der Autoritäts¬ sucht der altbayrischen Bevölkerung mußte ein die Gewissen aller Gläubigen bindendes Dogma von der Jnfallibilität dem Papste und dem ihm unbedingt ergebenen Clerus eine neue unberechenbare Macht über die Gemüther ver¬ schaffen, und in welcher Richtung diese gebraucht werden würde, zeigte der Syllabus und die Encyclica. Wieder trafen die Interessen des Staates mit denen der deutsch-historischen Schule zusammen. Sie, die Gesammtheit der Gläubigen gegenüber der kirchenlichen Centralisation, die Wissenschaft gegen die Jndex-Congregation vertheidigend, konnte ebensowenig einen unfehlbaren Papst brauchen, der das gesammte Leben der Kirche absorbirte. Es erfolgte 65*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/521>, abgerufen am 01.09.2024.