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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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scheinig gewordene Einrichtung man bei dem Kerzenschein nicht gleich bemerkt,
gebe es, so sagt man, nur noch eine Familienstube voll des häßlichsten
Schmutzes; das reiche Sammtkleid, das wir an der Dame bewundern, was.
rend sie auf der Marina spazieren fährt, sei zugleich das einzige un-
geflickte, das sie besitze, überhaupt unter der glänzenden Hülle der meisten
Palermitaner ein fauler Kern verborgen. Auf die Repräsentation verwenden
sie ihr ganzes Vermögen und Wagen und Pferde, unentbehrlich für den Corso.
halten auch solche, welche nur mit Mühe die Kosten der täglichen Maccaroni
erschwingen. Von den moralischen Zuständen wollen langjährige Beobachter
gleichfalls nicht viel rühmliches wissen. In den meisten Fällen wandle der
Mann gleichgiltig neben der Frau einher, lebe jeder Theil unbekümmert um
den andern und wenn die Treue gebrochen werde, tröste sich der Leidende mit
der großen Zahl seiner Genossen.

Die Wahrheit solcher Schilderungen läßt sich nicht prüfen, gewiß ist
nur, daß die Damen der höheren Gesellschaft nichts Eiligeres zu thun haben,
als dem Fremden von den Liebhabern anderer Damen zu erzählen und daß
Männerglück und Frauenschwäche den häufigsten Gesprächsstoff im Salon
bilden. Wunderbar ist nicht das Eine, wäre nicht das Andere, da Lange¬
weile die Frauen beherrscht, Unthätigkeit die Hauptbeschäftigung der Männer
ausmacht. Erst in den Mittagsstunden beginnt der Tag des xieeiotto, des
Stutzers, sein erster Besuch gilt dem Handschuhmacher in Toledo, um sich
hier das unentbehrliche Requisit feiner Bildung, tadellos frische Handschuhe
zu holen. Die Zeit, die nach dem Aussuchen und Versuchen derselben bis
zur Promenadcstunde übrig bleibt, wird im Casino oder in einer der zahl¬
losen Plauderstuben zugebracht, die im Toledo bestehen und von geschlossenen
Gesellschaften gemiethet werden. Bei dem geringen Beitrage der Mitglieder
-- mit Ausnahme der Miethe für das im Erdgeschosse befindliche Local haben
diese Plauderstuben, ausgeräumten Kramladen zum Verwechseln ähnlich, fast
keine Kosten -- ist die Theilnahme in weiten Kreisen verbreitet. Den Abend
nimmt das Theater und nach dem Schlüsse desselben das Cafthaus, wo man
noch um Mitternacht häufig Maccaroni serviren sehen kann, in Anspruch. Die
elegante Dame wird vollends erst am Nachmittage sichtbar. Ihre erste sociale
Pflicht erfüllt sie indem sie im englischen Garten und dann auf der Marine
spazieren fährt, ihre zweite Pflicht ruft sie in reicher Balltoilette in das
Theater und von hier noch in einen Salon, in welchem man selbst in später
Nacht gesprächige Besucher findet. Bei solchem Leben kann der Mangel an
Ernst, das allmälige Versinken in das Kleine, ins nichtsnutzige nicht befrem¬
den. Im Advent, wo die Theater geschossen sind, ist das Hazardspiel in den
Casinos erlaubt. Wie sollten unsere Männer sich den langen Abend über


Grenzboten II. 1870. 62

scheinig gewordene Einrichtung man bei dem Kerzenschein nicht gleich bemerkt,
gebe es, so sagt man, nur noch eine Familienstube voll des häßlichsten
Schmutzes; das reiche Sammtkleid, das wir an der Dame bewundern, was.
rend sie auf der Marina spazieren fährt, sei zugleich das einzige un-
geflickte, das sie besitze, überhaupt unter der glänzenden Hülle der meisten
Palermitaner ein fauler Kern verborgen. Auf die Repräsentation verwenden
sie ihr ganzes Vermögen und Wagen und Pferde, unentbehrlich für den Corso.
halten auch solche, welche nur mit Mühe die Kosten der täglichen Maccaroni
erschwingen. Von den moralischen Zuständen wollen langjährige Beobachter
gleichfalls nicht viel rühmliches wissen. In den meisten Fällen wandle der
Mann gleichgiltig neben der Frau einher, lebe jeder Theil unbekümmert um
den andern und wenn die Treue gebrochen werde, tröste sich der Leidende mit
der großen Zahl seiner Genossen.

Die Wahrheit solcher Schilderungen läßt sich nicht prüfen, gewiß ist
nur, daß die Damen der höheren Gesellschaft nichts Eiligeres zu thun haben,
als dem Fremden von den Liebhabern anderer Damen zu erzählen und daß
Männerglück und Frauenschwäche den häufigsten Gesprächsstoff im Salon
bilden. Wunderbar ist nicht das Eine, wäre nicht das Andere, da Lange¬
weile die Frauen beherrscht, Unthätigkeit die Hauptbeschäftigung der Männer
ausmacht. Erst in den Mittagsstunden beginnt der Tag des xieeiotto, des
Stutzers, sein erster Besuch gilt dem Handschuhmacher in Toledo, um sich
hier das unentbehrliche Requisit feiner Bildung, tadellos frische Handschuhe
zu holen. Die Zeit, die nach dem Aussuchen und Versuchen derselben bis
zur Promenadcstunde übrig bleibt, wird im Casino oder in einer der zahl¬
losen Plauderstuben zugebracht, die im Toledo bestehen und von geschlossenen
Gesellschaften gemiethet werden. Bei dem geringen Beitrage der Mitglieder
— mit Ausnahme der Miethe für das im Erdgeschosse befindliche Local haben
diese Plauderstuben, ausgeräumten Kramladen zum Verwechseln ähnlich, fast
keine Kosten — ist die Theilnahme in weiten Kreisen verbreitet. Den Abend
nimmt das Theater und nach dem Schlüsse desselben das Cafthaus, wo man
noch um Mitternacht häufig Maccaroni serviren sehen kann, in Anspruch. Die
elegante Dame wird vollends erst am Nachmittage sichtbar. Ihre erste sociale
Pflicht erfüllt sie indem sie im englischen Garten und dann auf der Marine
spazieren fährt, ihre zweite Pflicht ruft sie in reicher Balltoilette in das
Theater und von hier noch in einen Salon, in welchem man selbst in später
Nacht gesprächige Besucher findet. Bei solchem Leben kann der Mangel an
Ernst, das allmälige Versinken in das Kleine, ins nichtsnutzige nicht befrem¬
den. Im Advent, wo die Theater geschossen sind, ist das Hazardspiel in den
Casinos erlaubt. Wie sollten unsere Männer sich den langen Abend über


Grenzboten II. 1870. 62
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[0495] scheinig gewordene Einrichtung man bei dem Kerzenschein nicht gleich bemerkt, gebe es, so sagt man, nur noch eine Familienstube voll des häßlichsten Schmutzes; das reiche Sammtkleid, das wir an der Dame bewundern, was. rend sie auf der Marina spazieren fährt, sei zugleich das einzige un- geflickte, das sie besitze, überhaupt unter der glänzenden Hülle der meisten Palermitaner ein fauler Kern verborgen. Auf die Repräsentation verwenden sie ihr ganzes Vermögen und Wagen und Pferde, unentbehrlich für den Corso. halten auch solche, welche nur mit Mühe die Kosten der täglichen Maccaroni erschwingen. Von den moralischen Zuständen wollen langjährige Beobachter gleichfalls nicht viel rühmliches wissen. In den meisten Fällen wandle der Mann gleichgiltig neben der Frau einher, lebe jeder Theil unbekümmert um den andern und wenn die Treue gebrochen werde, tröste sich der Leidende mit der großen Zahl seiner Genossen. Die Wahrheit solcher Schilderungen läßt sich nicht prüfen, gewiß ist nur, daß die Damen der höheren Gesellschaft nichts Eiligeres zu thun haben, als dem Fremden von den Liebhabern anderer Damen zu erzählen und daß Männerglück und Frauenschwäche den häufigsten Gesprächsstoff im Salon bilden. Wunderbar ist nicht das Eine, wäre nicht das Andere, da Lange¬ weile die Frauen beherrscht, Unthätigkeit die Hauptbeschäftigung der Männer ausmacht. Erst in den Mittagsstunden beginnt der Tag des xieeiotto, des Stutzers, sein erster Besuch gilt dem Handschuhmacher in Toledo, um sich hier das unentbehrliche Requisit feiner Bildung, tadellos frische Handschuhe zu holen. Die Zeit, die nach dem Aussuchen und Versuchen derselben bis zur Promenadcstunde übrig bleibt, wird im Casino oder in einer der zahl¬ losen Plauderstuben zugebracht, die im Toledo bestehen und von geschlossenen Gesellschaften gemiethet werden. Bei dem geringen Beitrage der Mitglieder — mit Ausnahme der Miethe für das im Erdgeschosse befindliche Local haben diese Plauderstuben, ausgeräumten Kramladen zum Verwechseln ähnlich, fast keine Kosten — ist die Theilnahme in weiten Kreisen verbreitet. Den Abend nimmt das Theater und nach dem Schlüsse desselben das Cafthaus, wo man noch um Mitternacht häufig Maccaroni serviren sehen kann, in Anspruch. Die elegante Dame wird vollends erst am Nachmittage sichtbar. Ihre erste sociale Pflicht erfüllt sie indem sie im englischen Garten und dann auf der Marine spazieren fährt, ihre zweite Pflicht ruft sie in reicher Balltoilette in das Theater und von hier noch in einen Salon, in welchem man selbst in später Nacht gesprächige Besucher findet. Bei solchem Leben kann der Mangel an Ernst, das allmälige Versinken in das Kleine, ins nichtsnutzige nicht befrem¬ den. Im Advent, wo die Theater geschossen sind, ist das Hazardspiel in den Casinos erlaubt. Wie sollten unsere Männer sich den langen Abend über Grenzboten II. 1870. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/495>, abgerufen am 01.09.2024.