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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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kalter auf^den Fremden machen, jener unbedingter Liebenswürdigkeit. Sie ver¬
leugnen den südlichen Charakter nicht. Jedes Wort begleiten sie mit dem
lebendigsten Minenspiel und ersetzen durch die Geste in vielen Fällen wirk¬
sam das Wort. Während aber z. B. bei den Neapolitanern die Geberden
leicht übertrieben werden, an die Carrikatur streifen, bewahren die Palermi-
taner stets eine gemessene Würde. Ihre Handbewegungen sind rund und
leicht, lassen den Arm beinahe ganz ruhig und sind doch der verschieden
artigsten Modulationen fähig. Von dieser anschaulichen Handsprache haben
wir Nordländer keinen Begriff, von dieser Beredsamkeit der Geberde, ohne
daß die Grazie vergessen wird, kaum unsere besten Schauspieler eine Ahnung.
Zwischen steifer Haltung und gewaltsamen Recken kennen wir gewöhnlich kein
Mittelglied. Die natürliche Anmuth und fröhliche Lebendigkeit verleihen dem
Verkehr mit den Eingebornen einen großen Reiz. Ein verlegenes Benehmen,
eine sich wegwerfende Unterthänigkeit bemerkt man auch bei untergeordneten
Volksclassen nicht. Eher wird der Fremde ein Opfer ihres selbstgefälligen
Stolzes, aber diese Ueberhebung ist von so angenehmen Formen begleitet,
daß man nicht leicht beleidigt wird. Bezeichnend ist das Auftreten der Krä¬
mer, wenn man eine Waare von ihnen verlangt, die sie nicht führen, was,
nebenbei gesagt, sehr häufig vorkommt. Sie entschuldigen sich nicht etwa,
oder vertrösten den Käufer auf eine spätere Zeit, sie zucken leicht die Achseln,
heben die Hand abwehrend in die Höhe und schnalzen leise mit der Zunge.
Mit vollkommener Deutlichkeit dollmetscht man ihre Geberde: Wie kann ein
Mensch so albern sein und solche unerhörte Dinge verlangen. Daß diese
Sprache eigentlich grob sei, sagt man sich erst draußen vor der Thüre; so
lange man dem Verkäufer gegenüber steht, bleibt man durch die ruhige
Würde des Mannes gebannt.

So angenehm der Verkehr mit den Palermitanern, so zugänglich die-
selben und freundlich beflissen, den Fremden zu dienen, so wird man doch sehr
schwer in einen nähern Umgang mit ihnen treten. Der Salon, das Club¬
haus und die Promenade sind die einzigen Orte, wo der Verkehr blüht;
nur in voller Toilette ist der feine Parlermitaner dem Fremden sichtbar.
Unser Medium des freundschaftlichen Umganges, das Zusammen-Essen und
-Trinken, und wenn es auch nur eine Tasse Thee wäre, kennt er nicht. Ob
ein Sicilianer, dessen Bekanntschaft wir unterhalten, verheirathet sei oder
nicht, erfahren wir selten oder gar nicht. Er besucht uns, promenirt mit uns,
führt uns in sein Casino ein, von seiner Frau ist niemals die Rede. Nur
Damen, die ein offenes Haus halten, kommen an den Gesellschaftsabenden mit
Fremden in Berührung. Böse Zungen meinen, diese Zurückhaltung diene dazu,
die Armuth und Verkommenheit der meisten Familien zu verhüllen. Neben
dem Prachtsalon, dessen riesige Verhältnisse man bewundert, dessen etwas faden-


kalter auf^den Fremden machen, jener unbedingter Liebenswürdigkeit. Sie ver¬
leugnen den südlichen Charakter nicht. Jedes Wort begleiten sie mit dem
lebendigsten Minenspiel und ersetzen durch die Geste in vielen Fällen wirk¬
sam das Wort. Während aber z. B. bei den Neapolitanern die Geberden
leicht übertrieben werden, an die Carrikatur streifen, bewahren die Palermi-
taner stets eine gemessene Würde. Ihre Handbewegungen sind rund und
leicht, lassen den Arm beinahe ganz ruhig und sind doch der verschieden
artigsten Modulationen fähig. Von dieser anschaulichen Handsprache haben
wir Nordländer keinen Begriff, von dieser Beredsamkeit der Geberde, ohne
daß die Grazie vergessen wird, kaum unsere besten Schauspieler eine Ahnung.
Zwischen steifer Haltung und gewaltsamen Recken kennen wir gewöhnlich kein
Mittelglied. Die natürliche Anmuth und fröhliche Lebendigkeit verleihen dem
Verkehr mit den Eingebornen einen großen Reiz. Ein verlegenes Benehmen,
eine sich wegwerfende Unterthänigkeit bemerkt man auch bei untergeordneten
Volksclassen nicht. Eher wird der Fremde ein Opfer ihres selbstgefälligen
Stolzes, aber diese Ueberhebung ist von so angenehmen Formen begleitet,
daß man nicht leicht beleidigt wird. Bezeichnend ist das Auftreten der Krä¬
mer, wenn man eine Waare von ihnen verlangt, die sie nicht führen, was,
nebenbei gesagt, sehr häufig vorkommt. Sie entschuldigen sich nicht etwa,
oder vertrösten den Käufer auf eine spätere Zeit, sie zucken leicht die Achseln,
heben die Hand abwehrend in die Höhe und schnalzen leise mit der Zunge.
Mit vollkommener Deutlichkeit dollmetscht man ihre Geberde: Wie kann ein
Mensch so albern sein und solche unerhörte Dinge verlangen. Daß diese
Sprache eigentlich grob sei, sagt man sich erst draußen vor der Thüre; so
lange man dem Verkäufer gegenüber steht, bleibt man durch die ruhige
Würde des Mannes gebannt.

So angenehm der Verkehr mit den Palermitanern, so zugänglich die-
selben und freundlich beflissen, den Fremden zu dienen, so wird man doch sehr
schwer in einen nähern Umgang mit ihnen treten. Der Salon, das Club¬
haus und die Promenade sind die einzigen Orte, wo der Verkehr blüht;
nur in voller Toilette ist der feine Parlermitaner dem Fremden sichtbar.
Unser Medium des freundschaftlichen Umganges, das Zusammen-Essen und
-Trinken, und wenn es auch nur eine Tasse Thee wäre, kennt er nicht. Ob
ein Sicilianer, dessen Bekanntschaft wir unterhalten, verheirathet sei oder
nicht, erfahren wir selten oder gar nicht. Er besucht uns, promenirt mit uns,
führt uns in sein Casino ein, von seiner Frau ist niemals die Rede. Nur
Damen, die ein offenes Haus halten, kommen an den Gesellschaftsabenden mit
Fremden in Berührung. Böse Zungen meinen, diese Zurückhaltung diene dazu,
die Armuth und Verkommenheit der meisten Familien zu verhüllen. Neben
dem Prachtsalon, dessen riesige Verhältnisse man bewundert, dessen etwas faden-


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[0494] kalter auf^den Fremden machen, jener unbedingter Liebenswürdigkeit. Sie ver¬ leugnen den südlichen Charakter nicht. Jedes Wort begleiten sie mit dem lebendigsten Minenspiel und ersetzen durch die Geste in vielen Fällen wirk¬ sam das Wort. Während aber z. B. bei den Neapolitanern die Geberden leicht übertrieben werden, an die Carrikatur streifen, bewahren die Palermi- taner stets eine gemessene Würde. Ihre Handbewegungen sind rund und leicht, lassen den Arm beinahe ganz ruhig und sind doch der verschieden artigsten Modulationen fähig. Von dieser anschaulichen Handsprache haben wir Nordländer keinen Begriff, von dieser Beredsamkeit der Geberde, ohne daß die Grazie vergessen wird, kaum unsere besten Schauspieler eine Ahnung. Zwischen steifer Haltung und gewaltsamen Recken kennen wir gewöhnlich kein Mittelglied. Die natürliche Anmuth und fröhliche Lebendigkeit verleihen dem Verkehr mit den Eingebornen einen großen Reiz. Ein verlegenes Benehmen, eine sich wegwerfende Unterthänigkeit bemerkt man auch bei untergeordneten Volksclassen nicht. Eher wird der Fremde ein Opfer ihres selbstgefälligen Stolzes, aber diese Ueberhebung ist von so angenehmen Formen begleitet, daß man nicht leicht beleidigt wird. Bezeichnend ist das Auftreten der Krä¬ mer, wenn man eine Waare von ihnen verlangt, die sie nicht führen, was, nebenbei gesagt, sehr häufig vorkommt. Sie entschuldigen sich nicht etwa, oder vertrösten den Käufer auf eine spätere Zeit, sie zucken leicht die Achseln, heben die Hand abwehrend in die Höhe und schnalzen leise mit der Zunge. Mit vollkommener Deutlichkeit dollmetscht man ihre Geberde: Wie kann ein Mensch so albern sein und solche unerhörte Dinge verlangen. Daß diese Sprache eigentlich grob sei, sagt man sich erst draußen vor der Thüre; so lange man dem Verkäufer gegenüber steht, bleibt man durch die ruhige Würde des Mannes gebannt. So angenehm der Verkehr mit den Palermitanern, so zugänglich die- selben und freundlich beflissen, den Fremden zu dienen, so wird man doch sehr schwer in einen nähern Umgang mit ihnen treten. Der Salon, das Club¬ haus und die Promenade sind die einzigen Orte, wo der Verkehr blüht; nur in voller Toilette ist der feine Parlermitaner dem Fremden sichtbar. Unser Medium des freundschaftlichen Umganges, das Zusammen-Essen und -Trinken, und wenn es auch nur eine Tasse Thee wäre, kennt er nicht. Ob ein Sicilianer, dessen Bekanntschaft wir unterhalten, verheirathet sei oder nicht, erfahren wir selten oder gar nicht. Er besucht uns, promenirt mit uns, führt uns in sein Casino ein, von seiner Frau ist niemals die Rede. Nur Damen, die ein offenes Haus halten, kommen an den Gesellschaftsabenden mit Fremden in Berührung. Böse Zungen meinen, diese Zurückhaltung diene dazu, die Armuth und Verkommenheit der meisten Familien zu verhüllen. Neben dem Prachtsalon, dessen riesige Verhältnisse man bewundert, dessen etwas faden-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/494>, abgerufen am 27.07.2024.