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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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z. B. die Allora und Macqueda, und ihr mangelt auch, was Ersatz dafür
bieten könnte, die reiche Ausstattung der Verkaufsgewölbe. Jede nordische
Provinzialstadt übertrifft darin die Sicilianische Capitale. Man findet weder
im Innern große mit Waarenmassen erfüllte Räume, nach außen zierlich ge¬
ordnete lockende Schaufenster, selbst das Spiegelglas, das einem nordischen
Kaufmann fast unentbehrlich erscheint, ist unbekannt. Nur der gewaltige
Menschenstrom, der vom Morgen bis zum Abend den Toledo durchzieht, das
unaufhörliche Wagengerassel, das Toben und Lärmen der Kleinhändler läßt
erkennen, daß der Verkehr hier seine Pulsader hat. Nicht zu vergessen, daß
der Toledo auch das Hauptquartier der Bettler bildet. Man kann nicht
zehn Schritte machen, ohne von einer Jammergestalt um ein Almosen an-
gesprochen, kein Boutique betreten, ohne von einem Bettler am Arm gestoßen
und an die Pflicht der Wohlthätigkett erinnert zu werden. Am schlimmsten
ergeht es dem, welchen Naschlust zu Gnu, dem ersten Zuckerbäcker Palermo's
führt. Hier herrscht stets das größte Gedränge. Die Palermitaner scheinen
Süßigkeiten noch mehr als die Königsberger zu lieben und wenn sie es auch
nicht thäten, so verpflichtet sie schon die Frömmigkeit zu häufigen Besuchen
Gnus. Denn jedem christlichen Feste, jedem katholischen Hauptheiligen ist eine
besondere Sorte von Backwerk gewidmet und die Andacht wäre nicht vollkom¬
men, begleitete man sie nicht mit dem Genuß einer hinreichenden Quantität
solcher Weihekuchen, die leider ihre symbolische Form verloren haben, sonst
müßte man noch stets den bestimmten Griechengott mitschmecken. Die Gnu
bereitet, schmecken nicht heidnisch, aber süß, daher der große Zuspruch. Bis
auf die Straße hinaus stehen dichtgedrängt die Käufer und wo sie eine Lücke
gelassen haben, schleicht ein Bettler hinein und ächzt und stöhnt um ein
Almosen. Nur in Palermo kann man noch die ächte alte Bettlerrace stu-
diren. Das übrige Italien ist im Vergleich zu früher wie reinlich so auch
bettlerfrei geworden. Man findet sie dort fast nur noch an Kirchenthüren,
von welchem Rechtsboden sie keine profane Polizei verweisen kann; in Pa¬
lermo gehört ihnen noch die ganze Straße. Auch Tracht und Aussehen be¬
wahren das alte Gepräge. Wem der Vorzug gebührt, ob den männlichen
Bettlern, deren brauner Kapuzenmantel wirklich nur aneinander gemähte Löcher
zeigt, oder den Bettlerinnen, an deren Rockfetzen Schmutz die Nath vertritt,
wird wohl niemals entschieden werden. Beiden gemeinsam ist die Verach¬
tung des Schuhwerkes, der Besitz eines dicken Knüppelstocks, der sie bei ihrer
angeblichen Schwäche unterstützen soll -- an seinerstatt werden auch Kinder,
auf deren Schultern sich die Bettler stützen, benutzt -- gemeinsam die Kunst des
Zitterns, Blindscheinens und anderer Almosenpressen. Schade, daß daS
Bettler Wesen so sehr wuchert.

Ohne dieses öffentliche Aergerniß wäre der Eindruck, den die Palermi-


z. B. die Allora und Macqueda, und ihr mangelt auch, was Ersatz dafür
bieten könnte, die reiche Ausstattung der Verkaufsgewölbe. Jede nordische
Provinzialstadt übertrifft darin die Sicilianische Capitale. Man findet weder
im Innern große mit Waarenmassen erfüllte Räume, nach außen zierlich ge¬
ordnete lockende Schaufenster, selbst das Spiegelglas, das einem nordischen
Kaufmann fast unentbehrlich erscheint, ist unbekannt. Nur der gewaltige
Menschenstrom, der vom Morgen bis zum Abend den Toledo durchzieht, das
unaufhörliche Wagengerassel, das Toben und Lärmen der Kleinhändler läßt
erkennen, daß der Verkehr hier seine Pulsader hat. Nicht zu vergessen, daß
der Toledo auch das Hauptquartier der Bettler bildet. Man kann nicht
zehn Schritte machen, ohne von einer Jammergestalt um ein Almosen an-
gesprochen, kein Boutique betreten, ohne von einem Bettler am Arm gestoßen
und an die Pflicht der Wohlthätigkett erinnert zu werden. Am schlimmsten
ergeht es dem, welchen Naschlust zu Gnu, dem ersten Zuckerbäcker Palermo's
führt. Hier herrscht stets das größte Gedränge. Die Palermitaner scheinen
Süßigkeiten noch mehr als die Königsberger zu lieben und wenn sie es auch
nicht thäten, so verpflichtet sie schon die Frömmigkeit zu häufigen Besuchen
Gnus. Denn jedem christlichen Feste, jedem katholischen Hauptheiligen ist eine
besondere Sorte von Backwerk gewidmet und die Andacht wäre nicht vollkom¬
men, begleitete man sie nicht mit dem Genuß einer hinreichenden Quantität
solcher Weihekuchen, die leider ihre symbolische Form verloren haben, sonst
müßte man noch stets den bestimmten Griechengott mitschmecken. Die Gnu
bereitet, schmecken nicht heidnisch, aber süß, daher der große Zuspruch. Bis
auf die Straße hinaus stehen dichtgedrängt die Käufer und wo sie eine Lücke
gelassen haben, schleicht ein Bettler hinein und ächzt und stöhnt um ein
Almosen. Nur in Palermo kann man noch die ächte alte Bettlerrace stu-
diren. Das übrige Italien ist im Vergleich zu früher wie reinlich so auch
bettlerfrei geworden. Man findet sie dort fast nur noch an Kirchenthüren,
von welchem Rechtsboden sie keine profane Polizei verweisen kann; in Pa¬
lermo gehört ihnen noch die ganze Straße. Auch Tracht und Aussehen be¬
wahren das alte Gepräge. Wem der Vorzug gebührt, ob den männlichen
Bettlern, deren brauner Kapuzenmantel wirklich nur aneinander gemähte Löcher
zeigt, oder den Bettlerinnen, an deren Rockfetzen Schmutz die Nath vertritt,
wird wohl niemals entschieden werden. Beiden gemeinsam ist die Verach¬
tung des Schuhwerkes, der Besitz eines dicken Knüppelstocks, der sie bei ihrer
angeblichen Schwäche unterstützen soll — an seinerstatt werden auch Kinder,
auf deren Schultern sich die Bettler stützen, benutzt — gemeinsam die Kunst des
Zitterns, Blindscheinens und anderer Almosenpressen. Schade, daß daS
Bettler Wesen so sehr wuchert.

Ohne dieses öffentliche Aergerniß wäre der Eindruck, den die Palermi-


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[0493] z. B. die Allora und Macqueda, und ihr mangelt auch, was Ersatz dafür bieten könnte, die reiche Ausstattung der Verkaufsgewölbe. Jede nordische Provinzialstadt übertrifft darin die Sicilianische Capitale. Man findet weder im Innern große mit Waarenmassen erfüllte Räume, nach außen zierlich ge¬ ordnete lockende Schaufenster, selbst das Spiegelglas, das einem nordischen Kaufmann fast unentbehrlich erscheint, ist unbekannt. Nur der gewaltige Menschenstrom, der vom Morgen bis zum Abend den Toledo durchzieht, das unaufhörliche Wagengerassel, das Toben und Lärmen der Kleinhändler läßt erkennen, daß der Verkehr hier seine Pulsader hat. Nicht zu vergessen, daß der Toledo auch das Hauptquartier der Bettler bildet. Man kann nicht zehn Schritte machen, ohne von einer Jammergestalt um ein Almosen an- gesprochen, kein Boutique betreten, ohne von einem Bettler am Arm gestoßen und an die Pflicht der Wohlthätigkett erinnert zu werden. Am schlimmsten ergeht es dem, welchen Naschlust zu Gnu, dem ersten Zuckerbäcker Palermo's führt. Hier herrscht stets das größte Gedränge. Die Palermitaner scheinen Süßigkeiten noch mehr als die Königsberger zu lieben und wenn sie es auch nicht thäten, so verpflichtet sie schon die Frömmigkeit zu häufigen Besuchen Gnus. Denn jedem christlichen Feste, jedem katholischen Hauptheiligen ist eine besondere Sorte von Backwerk gewidmet und die Andacht wäre nicht vollkom¬ men, begleitete man sie nicht mit dem Genuß einer hinreichenden Quantität solcher Weihekuchen, die leider ihre symbolische Form verloren haben, sonst müßte man noch stets den bestimmten Griechengott mitschmecken. Die Gnu bereitet, schmecken nicht heidnisch, aber süß, daher der große Zuspruch. Bis auf die Straße hinaus stehen dichtgedrängt die Käufer und wo sie eine Lücke gelassen haben, schleicht ein Bettler hinein und ächzt und stöhnt um ein Almosen. Nur in Palermo kann man noch die ächte alte Bettlerrace stu- diren. Das übrige Italien ist im Vergleich zu früher wie reinlich so auch bettlerfrei geworden. Man findet sie dort fast nur noch an Kirchenthüren, von welchem Rechtsboden sie keine profane Polizei verweisen kann; in Pa¬ lermo gehört ihnen noch die ganze Straße. Auch Tracht und Aussehen be¬ wahren das alte Gepräge. Wem der Vorzug gebührt, ob den männlichen Bettlern, deren brauner Kapuzenmantel wirklich nur aneinander gemähte Löcher zeigt, oder den Bettlerinnen, an deren Rockfetzen Schmutz die Nath vertritt, wird wohl niemals entschieden werden. Beiden gemeinsam ist die Verach¬ tung des Schuhwerkes, der Besitz eines dicken Knüppelstocks, der sie bei ihrer angeblichen Schwäche unterstützen soll — an seinerstatt werden auch Kinder, auf deren Schultern sich die Bettler stützen, benutzt — gemeinsam die Kunst des Zitterns, Blindscheinens und anderer Almosenpressen. Schade, daß daS Bettler Wesen so sehr wuchert. Ohne dieses öffentliche Aergerniß wäre der Eindruck, den die Palermi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/493>, abgerufen am 01.09.2024.