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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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wärtigen Regiments in Corso ti Vittore Emmanuele umwandeln mußte, im
Volksmunde aber noch immer der Cassaro heißt. Im rechten Winkel fällt
auf den Cassaro die Straße Macqueda, sodaß die Stadt naturgemäß in vier
Viertel eingetheilt wird, die auch bei den älteren Topographen ihre beson¬
deren Namen führen: Loggia und Capo rechts vom Cassaro, Kalfa und
Albergaria links von demselben. Stellt man sich auf den Durchschneidungspunkt
der beiden Hauptstraßen, die kleine, auch amphitheatralisch reich geschmückte
piasW al yuattro eautoui, so sieht man rechts und links durch die lang¬
gestreckte Macquedastraße weit in die offene Landschaft bis zu den Bergen
hinaus und gewahrt vor sich das Hauptthor der Stadt und die Berge von
Monreale; wendet man sich aber, so erblickt man das Meer. Keine Stadt
von gleichem Umfange kann sich ähnlich freier Durchsichten rühmen. Die
Regelmäßigkeit wird aber noch größer werden, wenn die begonnene Ni-
vellirung der Hauptstraße wird vollendet und die mit dem Cassaro parallel
laufende Via Lincoln und Cavour werden ausgebaut sein. Auch mit dem
Winkelwerke, das zwischen den Hauptlinien des Verkehrs bisher geduldet
wurde, beginnt man eifrig aufzuräumen. Straßen werden durchbrochen, Plätze
erweitert oder neu angelegt, überall für frische Luft und freien Zutritt der
Sonne gesorgt.

Wie in den meisten anderen Städten Italiens hat sich auch in Palermo
die Cholera als die wirksamste Sanitätspoltzei bewährt. Ihre Verheerungen
waren in den luft- und lichtarmer Gassen so furchtbar, daß selbst die stumpf¬
sinnigsten und Trägsten aufgerüttelt und zur Wegräumung der auffallendsten
Giftquellen aufgemuntert wurden. Die Regierung, in Erinnerung des hart¬
näckigen Aufstandes im September 1866, hatte gleichfalls ein Interesse daran,
die Stadt den stürmenden Truppen und den Kanonen zugänglicher zu machen,
und da ihr durch die Aufhebung der Kirchen und Klöster sehr viele Bau¬
stellen in die Hände fielen, so fanden die Freunde der Stadtregulirung bei
ihr eifrige Förderung. Die Einheimischen gewinnen durch die neuen Polizei¬
maßregeln Großes, die Stadt wird gesünder und wohnlicher, für den Aufent¬
halt und Verkehr geeigneter; der Fremde freilich wird manche malerische
Winkel, manche classische Schmutzflecken vermissen, manche charakteristische
Sitte vergebens suchen. Schon jetzt muß er Nebenstraßen betreten, will er
im Schatten sicilianischer Wäsche wandeln, die früher knapp in Manneshöhe
von Haus zu Haus quer gespannt oder an langen Bambusrohren weit
hinausgehängt, alle Gassen überdeckte und bei webenden Winde nasse Küh¬
lung verbreitete.

Daraus folgt noch nicht, daß die Hauptstraße, der Toledo, einen monu¬
mentalen Charakter besitzt. Im Verhältniß zu ihrer Länge ist sie zu schmal,
daher schlauchartig, sie hat weniger Paläste als viele andere Straßen wie


wärtigen Regiments in Corso ti Vittore Emmanuele umwandeln mußte, im
Volksmunde aber noch immer der Cassaro heißt. Im rechten Winkel fällt
auf den Cassaro die Straße Macqueda, sodaß die Stadt naturgemäß in vier
Viertel eingetheilt wird, die auch bei den älteren Topographen ihre beson¬
deren Namen führen: Loggia und Capo rechts vom Cassaro, Kalfa und
Albergaria links von demselben. Stellt man sich auf den Durchschneidungspunkt
der beiden Hauptstraßen, die kleine, auch amphitheatralisch reich geschmückte
piasW al yuattro eautoui, so sieht man rechts und links durch die lang¬
gestreckte Macquedastraße weit in die offene Landschaft bis zu den Bergen
hinaus und gewahrt vor sich das Hauptthor der Stadt und die Berge von
Monreale; wendet man sich aber, so erblickt man das Meer. Keine Stadt
von gleichem Umfange kann sich ähnlich freier Durchsichten rühmen. Die
Regelmäßigkeit wird aber noch größer werden, wenn die begonnene Ni-
vellirung der Hauptstraße wird vollendet und die mit dem Cassaro parallel
laufende Via Lincoln und Cavour werden ausgebaut sein. Auch mit dem
Winkelwerke, das zwischen den Hauptlinien des Verkehrs bisher geduldet
wurde, beginnt man eifrig aufzuräumen. Straßen werden durchbrochen, Plätze
erweitert oder neu angelegt, überall für frische Luft und freien Zutritt der
Sonne gesorgt.

Wie in den meisten anderen Städten Italiens hat sich auch in Palermo
die Cholera als die wirksamste Sanitätspoltzei bewährt. Ihre Verheerungen
waren in den luft- und lichtarmer Gassen so furchtbar, daß selbst die stumpf¬
sinnigsten und Trägsten aufgerüttelt und zur Wegräumung der auffallendsten
Giftquellen aufgemuntert wurden. Die Regierung, in Erinnerung des hart¬
näckigen Aufstandes im September 1866, hatte gleichfalls ein Interesse daran,
die Stadt den stürmenden Truppen und den Kanonen zugänglicher zu machen,
und da ihr durch die Aufhebung der Kirchen und Klöster sehr viele Bau¬
stellen in die Hände fielen, so fanden die Freunde der Stadtregulirung bei
ihr eifrige Förderung. Die Einheimischen gewinnen durch die neuen Polizei¬
maßregeln Großes, die Stadt wird gesünder und wohnlicher, für den Aufent¬
halt und Verkehr geeigneter; der Fremde freilich wird manche malerische
Winkel, manche classische Schmutzflecken vermissen, manche charakteristische
Sitte vergebens suchen. Schon jetzt muß er Nebenstraßen betreten, will er
im Schatten sicilianischer Wäsche wandeln, die früher knapp in Manneshöhe
von Haus zu Haus quer gespannt oder an langen Bambusrohren weit
hinausgehängt, alle Gassen überdeckte und bei webenden Winde nasse Küh¬
lung verbreitete.

Daraus folgt noch nicht, daß die Hauptstraße, der Toledo, einen monu¬
mentalen Charakter besitzt. Im Verhältniß zu ihrer Länge ist sie zu schmal,
daher schlauchartig, sie hat weniger Paläste als viele andere Straßen wie


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[0492] wärtigen Regiments in Corso ti Vittore Emmanuele umwandeln mußte, im Volksmunde aber noch immer der Cassaro heißt. Im rechten Winkel fällt auf den Cassaro die Straße Macqueda, sodaß die Stadt naturgemäß in vier Viertel eingetheilt wird, die auch bei den älteren Topographen ihre beson¬ deren Namen führen: Loggia und Capo rechts vom Cassaro, Kalfa und Albergaria links von demselben. Stellt man sich auf den Durchschneidungspunkt der beiden Hauptstraßen, die kleine, auch amphitheatralisch reich geschmückte piasW al yuattro eautoui, so sieht man rechts und links durch die lang¬ gestreckte Macquedastraße weit in die offene Landschaft bis zu den Bergen hinaus und gewahrt vor sich das Hauptthor der Stadt und die Berge von Monreale; wendet man sich aber, so erblickt man das Meer. Keine Stadt von gleichem Umfange kann sich ähnlich freier Durchsichten rühmen. Die Regelmäßigkeit wird aber noch größer werden, wenn die begonnene Ni- vellirung der Hauptstraße wird vollendet und die mit dem Cassaro parallel laufende Via Lincoln und Cavour werden ausgebaut sein. Auch mit dem Winkelwerke, das zwischen den Hauptlinien des Verkehrs bisher geduldet wurde, beginnt man eifrig aufzuräumen. Straßen werden durchbrochen, Plätze erweitert oder neu angelegt, überall für frische Luft und freien Zutritt der Sonne gesorgt. Wie in den meisten anderen Städten Italiens hat sich auch in Palermo die Cholera als die wirksamste Sanitätspoltzei bewährt. Ihre Verheerungen waren in den luft- und lichtarmer Gassen so furchtbar, daß selbst die stumpf¬ sinnigsten und Trägsten aufgerüttelt und zur Wegräumung der auffallendsten Giftquellen aufgemuntert wurden. Die Regierung, in Erinnerung des hart¬ näckigen Aufstandes im September 1866, hatte gleichfalls ein Interesse daran, die Stadt den stürmenden Truppen und den Kanonen zugänglicher zu machen, und da ihr durch die Aufhebung der Kirchen und Klöster sehr viele Bau¬ stellen in die Hände fielen, so fanden die Freunde der Stadtregulirung bei ihr eifrige Förderung. Die Einheimischen gewinnen durch die neuen Polizei¬ maßregeln Großes, die Stadt wird gesünder und wohnlicher, für den Aufent¬ halt und Verkehr geeigneter; der Fremde freilich wird manche malerische Winkel, manche classische Schmutzflecken vermissen, manche charakteristische Sitte vergebens suchen. Schon jetzt muß er Nebenstraßen betreten, will er im Schatten sicilianischer Wäsche wandeln, die früher knapp in Manneshöhe von Haus zu Haus quer gespannt oder an langen Bambusrohren weit hinausgehängt, alle Gassen überdeckte und bei webenden Winde nasse Küh¬ lung verbreitete. Daraus folgt noch nicht, daß die Hauptstraße, der Toledo, einen monu¬ mentalen Charakter besitzt. Im Verhältniß zu ihrer Länge ist sie zu schmal, daher schlauchartig, sie hat weniger Paläste als viele andere Straßen wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/492>, abgerufen am 27.07.2024.