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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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das ihn umgab, und die gute Laune im eigenen Kampf mit dem Leben
steigerten.

Denn wer da meint, daß die Traumgebilde eines Dichters nur wie
flüchtige Schatten durch die Seelen der Leser gleiten, der verkennt die beste
Wirkung der Poesie. Wie Alles, was wir erleben, so läßt auch alles Wirk-
same, das wir gern lasen, seinen Abdruck in unserer Seele zurück. Aus der
Sprache des Dichters geht in unsere über, seine Gedanken werden unser Eigen,
thun, auch der Humor lebt in uns fort, er färbt immer wieder unsere
Betrachtung der Menschen und erhöht uns zu heiterer Freiheit, so oft die
empfangene Stimmung in uns lebendig wird. Sehr ernst ist unser Leben
zwischen deutschen Wintern und Sommern, Vielen wird es ein schwerer Kampf,
leicht wird unsere Hingabe in einem engen Kreis von Standesinteressen
beschränkt. Da ist uns die Mahnung an eine ewige Vernunft der Dinge,
die Vorführung anderer Lebenskreise, vor Allem ein fröhliches Herz, das aus
der Ueberfülle seiner warmen Empfindung Freude mittheilt, fast unentbehrlich.
Solche bildende Gewalt über die Zeitgenossen erhält freilich nur der wahre
Dichter, der aus dem Vollen gibt und wie mühelos seine Schätze spendet.
Und er bildet am kräftigsten in der Jugend und in denen, die Verhältniß-
mäßig wenig lesen.

Daß diese kräftige Einwirkung des englischen Dichters uns Deutschen
gerade in den Jahren half, wo die eigene produktive Kraft schwach, das
nationale Leben krank, das Einströmen der französischen Oppositionsliteratur,
socialistischer Ideen und frecher Hetärengeschichten übermächtig zu werden
drohte, das ist sehr Vielen der jetzt thätigen Generation ein Segen geworden,
für den wir dem Todten recht innigen Dank schulden.

Er hat darum auch einen politischen Einfluß geübt, den wir wohl zu
würdigen wissen und dem die Engländer Anerkennung zollen mögen. Vor¬
nehmlich durch ihn wurde uns englisches Wesen heimisch und vertraulich in
Jahren, wo uns die englischen Politiker keineswegs freundlichen Antheil be-
wiesen. Freilich leitete nicht er allein diese geheime Mission zu Gunsten
einer politischen Annäherung. Viele bedeutende Dichter Englands sind auch
die unsern geworden: Shakespeare, W. Scott, Byron, noch kurz vor ihm und
neben ihm war Bulwer in derselben Richtung sehr thätig. Aber seit seinem
Auftreten darf er doch den größten Antheil an solchem Liebeswerk beanspruchen.
Sein London hat er uns so nahe gelegt, daß wir zuweilen besser darin
Bescheid wissen, auch wenn wir nie dort waren, als der Süddeutsche in
Berlin, der Rheinländer in Wien. Diese schlauen Taschendiebe und das Stäb¬
chen der hilfreichen Constabler, Verkehr und Schrecken der Themse, die unüber-
treffliche Schlauheit der Entdeckungsbeamten! Durch ihn kennen wir freilich
auch genau gewisse sociale Leiden der Vettern von drüben: die Heuchelei, die


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das ihn umgab, und die gute Laune im eigenen Kampf mit dem Leben
steigerten.

Denn wer da meint, daß die Traumgebilde eines Dichters nur wie
flüchtige Schatten durch die Seelen der Leser gleiten, der verkennt die beste
Wirkung der Poesie. Wie Alles, was wir erleben, so läßt auch alles Wirk-
same, das wir gern lasen, seinen Abdruck in unserer Seele zurück. Aus der
Sprache des Dichters geht in unsere über, seine Gedanken werden unser Eigen,
thun, auch der Humor lebt in uns fort, er färbt immer wieder unsere
Betrachtung der Menschen und erhöht uns zu heiterer Freiheit, so oft die
empfangene Stimmung in uns lebendig wird. Sehr ernst ist unser Leben
zwischen deutschen Wintern und Sommern, Vielen wird es ein schwerer Kampf,
leicht wird unsere Hingabe in einem engen Kreis von Standesinteressen
beschränkt. Da ist uns die Mahnung an eine ewige Vernunft der Dinge,
die Vorführung anderer Lebenskreise, vor Allem ein fröhliches Herz, das aus
der Ueberfülle seiner warmen Empfindung Freude mittheilt, fast unentbehrlich.
Solche bildende Gewalt über die Zeitgenossen erhält freilich nur der wahre
Dichter, der aus dem Vollen gibt und wie mühelos seine Schätze spendet.
Und er bildet am kräftigsten in der Jugend und in denen, die Verhältniß-
mäßig wenig lesen.

Daß diese kräftige Einwirkung des englischen Dichters uns Deutschen
gerade in den Jahren half, wo die eigene produktive Kraft schwach, das
nationale Leben krank, das Einströmen der französischen Oppositionsliteratur,
socialistischer Ideen und frecher Hetärengeschichten übermächtig zu werden
drohte, das ist sehr Vielen der jetzt thätigen Generation ein Segen geworden,
für den wir dem Todten recht innigen Dank schulden.

Er hat darum auch einen politischen Einfluß geübt, den wir wohl zu
würdigen wissen und dem die Engländer Anerkennung zollen mögen. Vor¬
nehmlich durch ihn wurde uns englisches Wesen heimisch und vertraulich in
Jahren, wo uns die englischen Politiker keineswegs freundlichen Antheil be-
wiesen. Freilich leitete nicht er allein diese geheime Mission zu Gunsten
einer politischen Annäherung. Viele bedeutende Dichter Englands sind auch
die unsern geworden: Shakespeare, W. Scott, Byron, noch kurz vor ihm und
neben ihm war Bulwer in derselben Richtung sehr thätig. Aber seit seinem
Auftreten darf er doch den größten Antheil an solchem Liebeswerk beanspruchen.
Sein London hat er uns so nahe gelegt, daß wir zuweilen besser darin
Bescheid wissen, auch wenn wir nie dort waren, als der Süddeutsche in
Berlin, der Rheinländer in Wien. Diese schlauen Taschendiebe und das Stäb¬
chen der hilfreichen Constabler, Verkehr und Schrecken der Themse, die unüber-
treffliche Schlauheit der Entdeckungsbeamten! Durch ihn kennen wir freilich
auch genau gewisse sociale Leiden der Vettern von drüben: die Heuchelei, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/489>, abgerufen am 01.09.2024.