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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Grenzboten Gelegenheit zu geben, durch Vergleicheng mit den früher in diesen
Blättern gegebenen Andeutungen über unsere Verfassungsverhältnisse sich von
dem Grund solcher Beschwerden zu überzeugen, die kaum präciser zu formu-
liren wären.

Ein großes Unglück für das Land entsteht freilich nicht, wenn seine "Ver¬
tretung" vorläufig nicht in der Lage ist, ihre Tagesordnung zu erledigen.
Dafür hat die Regierung, wie ein Blick auf die Borlagen lehrt, landes¬
väterlich vorgesorgt; denn außer einigen Wahlen sollten nur administrative An¬
gelegenheiten erledigt werden, die aufzuschieben immerhin besser ist, als daß
dafür durch Aufgeben der Opposition und Betheiligung der Majorität an
den Landtagsarbeiten von ihr die Rechtsbeständigkeit der Verfassung aner¬
kannt würde.

Während die Regierung von Strelitz mit ihrem Verfassungsexperiment
in Schönberg ein so klägliches Fiasko gemacht hat, tagt in dem lauenburgi-
schen Theil der Stadt Ratzeburg der gleichfalls auf den 10. Juni einberufene
Landtag des Herzogthums Lauenburg, der im Begriff steht, die vollständige
Annexion dieses Zwitterstaates zu poliren. -- Mit Interesse verdient auch
im angrenzenden eigentlichen Mecklenburg die Entwickelung der Dinge in
Schönberg verfolgt zu werden. Bekanntlich ist das Aeußerste einer Ver¬
fassungsreform, zu dem man sich in Mecklenburg ohne zwingenden Anstoß
jemals entschließen möchte, eine veränderte Zusammensetzung des Landtags,
der etwa nach Art des todtgeborenen Ratzeburgischen Parlaments zu reorgani-
siren wäre. Ist nicht die Annahme berechtigt, daß das in Schönberg gegebene
Beispiel in Sternberg und Malchin Nachahmung finden könnte? In selner jetzi¬
gen Zusammensetzung ist der Mecklenburgische Landtag ohne Rücksicht auf
die Zahl der Mitglieder jederzeit beschlußfähig. Aus den Ersahrungen, die
man in Schönberg gemacht, wird man die Lehre ziehen, daß es am Ge-
rathensten sei, in Mecklenburg lieber Alles beim Alten zu lassen.

Die Ratzeburger Stände dem Mecklenburgischen Landtag einzuverleiben,
war ohne dessen Zustimmung nicht, und felbst mit dieser kaum möglich.
Denn die Verhältnisse des letztern sind in ihrer landesgrundgesetzlich geregelten
Form dermaßen versteinert, daß sich nichts einfügen läßt, ohne das Ganze
zu zerbrechen. Man machte daher den Versuch, einen eigenen Ratzeburger
Landtag zu schaffen. Das papiergeborene Geschöpf war fertig, aber man
vergaß, ihm lebendigen Odem einzublasen. Deßhalb brachte man nichts
weiter zu Stande, als ein Rumpfparlament en minis-durs wie es wohl noch
kaum erlebt ist. Die Herren aber, welche es bildeten, werden die ganze Würde
ihres Standes nöthig gehabt haben, um sich über das Tragikomische der
-- e. --' Situation hinwegzusetzen.






Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag.
Verlag von F. L. Herbig. -- Druck von Hüthel " Legler in Leipzig.

Grenzboten Gelegenheit zu geben, durch Vergleicheng mit den früher in diesen
Blättern gegebenen Andeutungen über unsere Verfassungsverhältnisse sich von
dem Grund solcher Beschwerden zu überzeugen, die kaum präciser zu formu-
liren wären.

Ein großes Unglück für das Land entsteht freilich nicht, wenn seine „Ver¬
tretung" vorläufig nicht in der Lage ist, ihre Tagesordnung zu erledigen.
Dafür hat die Regierung, wie ein Blick auf die Borlagen lehrt, landes¬
väterlich vorgesorgt; denn außer einigen Wahlen sollten nur administrative An¬
gelegenheiten erledigt werden, die aufzuschieben immerhin besser ist, als daß
dafür durch Aufgeben der Opposition und Betheiligung der Majorität an
den Landtagsarbeiten von ihr die Rechtsbeständigkeit der Verfassung aner¬
kannt würde.

Während die Regierung von Strelitz mit ihrem Verfassungsexperiment
in Schönberg ein so klägliches Fiasko gemacht hat, tagt in dem lauenburgi-
schen Theil der Stadt Ratzeburg der gleichfalls auf den 10. Juni einberufene
Landtag des Herzogthums Lauenburg, der im Begriff steht, die vollständige
Annexion dieses Zwitterstaates zu poliren. — Mit Interesse verdient auch
im angrenzenden eigentlichen Mecklenburg die Entwickelung der Dinge in
Schönberg verfolgt zu werden. Bekanntlich ist das Aeußerste einer Ver¬
fassungsreform, zu dem man sich in Mecklenburg ohne zwingenden Anstoß
jemals entschließen möchte, eine veränderte Zusammensetzung des Landtags,
der etwa nach Art des todtgeborenen Ratzeburgischen Parlaments zu reorgani-
siren wäre. Ist nicht die Annahme berechtigt, daß das in Schönberg gegebene
Beispiel in Sternberg und Malchin Nachahmung finden könnte? In selner jetzi¬
gen Zusammensetzung ist der Mecklenburgische Landtag ohne Rücksicht auf
die Zahl der Mitglieder jederzeit beschlußfähig. Aus den Ersahrungen, die
man in Schönberg gemacht, wird man die Lehre ziehen, daß es am Ge-
rathensten sei, in Mecklenburg lieber Alles beim Alten zu lassen.

Die Ratzeburger Stände dem Mecklenburgischen Landtag einzuverleiben,
war ohne dessen Zustimmung nicht, und felbst mit dieser kaum möglich.
Denn die Verhältnisse des letztern sind in ihrer landesgrundgesetzlich geregelten
Form dermaßen versteinert, daß sich nichts einfügen läßt, ohne das Ganze
zu zerbrechen. Man machte daher den Versuch, einen eigenen Ratzeburger
Landtag zu schaffen. Das papiergeborene Geschöpf war fertig, aber man
vergaß, ihm lebendigen Odem einzublasen. Deßhalb brachte man nichts
weiter zu Stande, als ein Rumpfparlament en minis-durs wie es wohl noch
kaum erlebt ist. Die Herren aber, welche es bildeten, werden die ganze Würde
ihres Standes nöthig gehabt haben, um sich über das Tragikomische der
— e. —' Situation hinwegzusetzen.






Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag.
Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hüthel » Legler in Leipzig.
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[0486] Grenzboten Gelegenheit zu geben, durch Vergleicheng mit den früher in diesen Blättern gegebenen Andeutungen über unsere Verfassungsverhältnisse sich von dem Grund solcher Beschwerden zu überzeugen, die kaum präciser zu formu- liren wären. Ein großes Unglück für das Land entsteht freilich nicht, wenn seine „Ver¬ tretung" vorläufig nicht in der Lage ist, ihre Tagesordnung zu erledigen. Dafür hat die Regierung, wie ein Blick auf die Borlagen lehrt, landes¬ väterlich vorgesorgt; denn außer einigen Wahlen sollten nur administrative An¬ gelegenheiten erledigt werden, die aufzuschieben immerhin besser ist, als daß dafür durch Aufgeben der Opposition und Betheiligung der Majorität an den Landtagsarbeiten von ihr die Rechtsbeständigkeit der Verfassung aner¬ kannt würde. Während die Regierung von Strelitz mit ihrem Verfassungsexperiment in Schönberg ein so klägliches Fiasko gemacht hat, tagt in dem lauenburgi- schen Theil der Stadt Ratzeburg der gleichfalls auf den 10. Juni einberufene Landtag des Herzogthums Lauenburg, der im Begriff steht, die vollständige Annexion dieses Zwitterstaates zu poliren. — Mit Interesse verdient auch im angrenzenden eigentlichen Mecklenburg die Entwickelung der Dinge in Schönberg verfolgt zu werden. Bekanntlich ist das Aeußerste einer Ver¬ fassungsreform, zu dem man sich in Mecklenburg ohne zwingenden Anstoß jemals entschließen möchte, eine veränderte Zusammensetzung des Landtags, der etwa nach Art des todtgeborenen Ratzeburgischen Parlaments zu reorgani- siren wäre. Ist nicht die Annahme berechtigt, daß das in Schönberg gegebene Beispiel in Sternberg und Malchin Nachahmung finden könnte? In selner jetzi¬ gen Zusammensetzung ist der Mecklenburgische Landtag ohne Rücksicht auf die Zahl der Mitglieder jederzeit beschlußfähig. Aus den Ersahrungen, die man in Schönberg gemacht, wird man die Lehre ziehen, daß es am Ge- rathensten sei, in Mecklenburg lieber Alles beim Alten zu lassen. Die Ratzeburger Stände dem Mecklenburgischen Landtag einzuverleiben, war ohne dessen Zustimmung nicht, und felbst mit dieser kaum möglich. Denn die Verhältnisse des letztern sind in ihrer landesgrundgesetzlich geregelten Form dermaßen versteinert, daß sich nichts einfügen läßt, ohne das Ganze zu zerbrechen. Man machte daher den Versuch, einen eigenen Ratzeburger Landtag zu schaffen. Das papiergeborene Geschöpf war fertig, aber man vergaß, ihm lebendigen Odem einzublasen. Deßhalb brachte man nichts weiter zu Stande, als ein Rumpfparlament en minis-durs wie es wohl noch kaum erlebt ist. Die Herren aber, welche es bildeten, werden die ganze Würde ihres Standes nöthig gehabt haben, um sich über das Tragikomische der — e. —' Situation hinwegzusetzen. Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag. Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hüthel » Legler in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/486>, abgerufen am 27.07.2024.