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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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garder Beobachter, der demokratische Correspondent, oder das Frankfurter
Journal ist, sondern bei den eigenen politischen Parteigenossen. Man zuckt
die Achsel über ihre "Borussomanie" und bleibt steif und fest dabei, daß
es doch eigentlich eine Art von Degradation ist, wenn sich der Süden dem
Norden als gleichberechtigt zuordnen, geschweige denn unterordnen soll.

Der Norden kennt den Süden besser als dieser jenen, aber er kennt ihn
doch auch noch nicht gut, sagten wir vorhin. Woher dies komme, wollen
wir hier nicht erörtern, aber constatiren, daß trotz der massenhaften Tou¬
ristenzüge aus allen Städten des Nordens nach dem bayrischen Gebirge,
nach Tirol, Salzkammergut, Berchtesgaden :c., die nunmehr doch schon
seit 16--20 Jahren, wenn auch neuerdings unverhältnißmäßig gegen früher
angeschwollen, stattfinden, die Gebildeten des Nordens -- und von denen
kann hier wieder nur allein die Rede sein -- sehr wenig an wirklicher Kennt¬
niß des Südens gewachsen sind. Und zwar ist hier das Borurtheil oder die
Verirrung des Urtheils nur gerade nach der entgegengesetzten Seite ebenso
massenhaft und wie es scheint unüberwindlich, wie bei den Menschen aus
dem Süden. Im Norden überschätzt man noch immer den Süden auf eine
wunderliche Weise. Als in den vierziger Jahren Berthold Auerbachs
schwäbische Dorfgeschichten die deutsche Lesewelt entzückten und natürlich un¬
verhältnißmäßig am meisten im Norden Sensation machten, weil man dort
eben unverhältnißmäßig mehr liest als im Süden, mochte es einem gebildeten
Berliner oder Hamburger Kind erlaubt sein, sich den ganzen Schwarzwald
und ganz Schwaben und mit einer naheliegenden Ausschweifung der geo¬
graphischen Phantasie das ganze Süddeutschland als ein duftiges Wunder¬
land voll gemüthreicher Kraftgestalten und natursrischer Originalgenies zu
träumen. Damals wurde alles was Schwaben und schwäbisch hieß im Nor¬
den förmlich Mode und wir erinnern uns selbst noch recht wohl, wie wir
nut unserer angeborenen süddeutschen Reserve und damals noch unvertilgtem
Herabsehen auf alles norddeutsche, diese Schwärmerei als einen Beweis der
Berliner Thorheit verhöhnten. Das war freilich kein großes Verdienst, da
nur eben keine Augen und Ohren hätten besitzen müssen, um die wirklichen
Schwaben und vollends die Süddeutschen insgemein nicht sehr genau von
jenen liebenswürdigen Gebilden eines frei schaffenden Dichtergeistes zu unter¬
scheiden. Einige Jahre später wurden die bayrischen Alpen und was daran
liegt, im Norden modisch und der Strom der Begeisterung für den Süden
ergoß auch dorthin eine ganz überschwängliche Fülle der wohlwollendsten
Gefühle. Damals war die gute Zeit der Münchner Fliegenden Blätter,
deren Witz bekanntlich schon nach dem Jahre 1848 nicht mehr recht hat
gedeihen wollen, obgleich derselbe noch heut für Verleger und Heraus¬
geber triebkräftig genug zu sein scheint. Mit welcher Virtuosität und mit


Grenzboten II. 1870. 54

garder Beobachter, der demokratische Correspondent, oder das Frankfurter
Journal ist, sondern bei den eigenen politischen Parteigenossen. Man zuckt
die Achsel über ihre „Borussomanie" und bleibt steif und fest dabei, daß
es doch eigentlich eine Art von Degradation ist, wenn sich der Süden dem
Norden als gleichberechtigt zuordnen, geschweige denn unterordnen soll.

Der Norden kennt den Süden besser als dieser jenen, aber er kennt ihn
doch auch noch nicht gut, sagten wir vorhin. Woher dies komme, wollen
wir hier nicht erörtern, aber constatiren, daß trotz der massenhaften Tou¬
ristenzüge aus allen Städten des Nordens nach dem bayrischen Gebirge,
nach Tirol, Salzkammergut, Berchtesgaden :c., die nunmehr doch schon
seit 16—20 Jahren, wenn auch neuerdings unverhältnißmäßig gegen früher
angeschwollen, stattfinden, die Gebildeten des Nordens — und von denen
kann hier wieder nur allein die Rede sein — sehr wenig an wirklicher Kennt¬
niß des Südens gewachsen sind. Und zwar ist hier das Borurtheil oder die
Verirrung des Urtheils nur gerade nach der entgegengesetzten Seite ebenso
massenhaft und wie es scheint unüberwindlich, wie bei den Menschen aus
dem Süden. Im Norden überschätzt man noch immer den Süden auf eine
wunderliche Weise. Als in den vierziger Jahren Berthold Auerbachs
schwäbische Dorfgeschichten die deutsche Lesewelt entzückten und natürlich un¬
verhältnißmäßig am meisten im Norden Sensation machten, weil man dort
eben unverhältnißmäßig mehr liest als im Süden, mochte es einem gebildeten
Berliner oder Hamburger Kind erlaubt sein, sich den ganzen Schwarzwald
und ganz Schwaben und mit einer naheliegenden Ausschweifung der geo¬
graphischen Phantasie das ganze Süddeutschland als ein duftiges Wunder¬
land voll gemüthreicher Kraftgestalten und natursrischer Originalgenies zu
träumen. Damals wurde alles was Schwaben und schwäbisch hieß im Nor¬
den förmlich Mode und wir erinnern uns selbst noch recht wohl, wie wir
nut unserer angeborenen süddeutschen Reserve und damals noch unvertilgtem
Herabsehen auf alles norddeutsche, diese Schwärmerei als einen Beweis der
Berliner Thorheit verhöhnten. Das war freilich kein großes Verdienst, da
nur eben keine Augen und Ohren hätten besitzen müssen, um die wirklichen
Schwaben und vollends die Süddeutschen insgemein nicht sehr genau von
jenen liebenswürdigen Gebilden eines frei schaffenden Dichtergeistes zu unter¬
scheiden. Einige Jahre später wurden die bayrischen Alpen und was daran
liegt, im Norden modisch und der Strom der Begeisterung für den Süden
ergoß auch dorthin eine ganz überschwängliche Fülle der wohlwollendsten
Gefühle. Damals war die gute Zeit der Münchner Fliegenden Blätter,
deren Witz bekanntlich schon nach dem Jahre 1848 nicht mehr recht hat
gedeihen wollen, obgleich derselbe noch heut für Verleger und Heraus¬
geber triebkräftig genug zu sein scheint. Mit welcher Virtuosität und mit


Grenzboten II. 1870. 54
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[0431] garder Beobachter, der demokratische Correspondent, oder das Frankfurter Journal ist, sondern bei den eigenen politischen Parteigenossen. Man zuckt die Achsel über ihre „Borussomanie" und bleibt steif und fest dabei, daß es doch eigentlich eine Art von Degradation ist, wenn sich der Süden dem Norden als gleichberechtigt zuordnen, geschweige denn unterordnen soll. Der Norden kennt den Süden besser als dieser jenen, aber er kennt ihn doch auch noch nicht gut, sagten wir vorhin. Woher dies komme, wollen wir hier nicht erörtern, aber constatiren, daß trotz der massenhaften Tou¬ ristenzüge aus allen Städten des Nordens nach dem bayrischen Gebirge, nach Tirol, Salzkammergut, Berchtesgaden :c., die nunmehr doch schon seit 16—20 Jahren, wenn auch neuerdings unverhältnißmäßig gegen früher angeschwollen, stattfinden, die Gebildeten des Nordens — und von denen kann hier wieder nur allein die Rede sein — sehr wenig an wirklicher Kennt¬ niß des Südens gewachsen sind. Und zwar ist hier das Borurtheil oder die Verirrung des Urtheils nur gerade nach der entgegengesetzten Seite ebenso massenhaft und wie es scheint unüberwindlich, wie bei den Menschen aus dem Süden. Im Norden überschätzt man noch immer den Süden auf eine wunderliche Weise. Als in den vierziger Jahren Berthold Auerbachs schwäbische Dorfgeschichten die deutsche Lesewelt entzückten und natürlich un¬ verhältnißmäßig am meisten im Norden Sensation machten, weil man dort eben unverhältnißmäßig mehr liest als im Süden, mochte es einem gebildeten Berliner oder Hamburger Kind erlaubt sein, sich den ganzen Schwarzwald und ganz Schwaben und mit einer naheliegenden Ausschweifung der geo¬ graphischen Phantasie das ganze Süddeutschland als ein duftiges Wunder¬ land voll gemüthreicher Kraftgestalten und natursrischer Originalgenies zu träumen. Damals wurde alles was Schwaben und schwäbisch hieß im Nor¬ den förmlich Mode und wir erinnern uns selbst noch recht wohl, wie wir nut unserer angeborenen süddeutschen Reserve und damals noch unvertilgtem Herabsehen auf alles norddeutsche, diese Schwärmerei als einen Beweis der Berliner Thorheit verhöhnten. Das war freilich kein großes Verdienst, da nur eben keine Augen und Ohren hätten besitzen müssen, um die wirklichen Schwaben und vollends die Süddeutschen insgemein nicht sehr genau von jenen liebenswürdigen Gebilden eines frei schaffenden Dichtergeistes zu unter¬ scheiden. Einige Jahre später wurden die bayrischen Alpen und was daran liegt, im Norden modisch und der Strom der Begeisterung für den Süden ergoß auch dorthin eine ganz überschwängliche Fülle der wohlwollendsten Gefühle. Damals war die gute Zeit der Münchner Fliegenden Blätter, deren Witz bekanntlich schon nach dem Jahre 1848 nicht mehr recht hat gedeihen wollen, obgleich derselbe noch heut für Verleger und Heraus¬ geber triebkräftig genug zu sein scheint. Mit welcher Virtuosität und mit Grenzboten II. 1870. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/431>, abgerufen am 28.07.2024.