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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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welch noch viel größerem Erfolge sie sich der verschiedenen Typen der schwär¬
menden Norddeutschen oder "Berliner" -- denn soweit war man damals
in München seit 1806 von dem abstract verschwommenen "Norddeutschen"
zu concreteren Anschauungen vorgerückt -- bemächtigt haben, ist Jedermann
bekannt. Von da aus transptrirte der in Civjl reisende Gardelieutenant,
das Pensionspflänzchen mit Schmachtlocken und die empfindsame alte Tante
in eine ganze Fluth obscurer Winkelliteratur und in die volksmäßige Posse
des Vorstadttheaters, wo sie bis heutigen Tages, nur gewürzt durch allerlei
weniger den Parfüms als dem Gegentheil davon angehörigen Droguen je¬
suitischer und demokratischer Plantagen unsterblich und jeder Zeit der voll¬
kommensten Wirkung auf ihr Publicum sicher sind. Unzweifelhaft ist es
auch höchst komisch, wenn sich der gute Herr von Prudelwitz unter der
Sennerliesi ein Wesen von der Art der Claurenschen Mimili zusammen-
phantasirt, die übrigens ja auch aus einem Berliner Hirn geboren war. Ein
ächter Münchener wußte sehr wohl, daß es nichts schmutzigeres und hä߬
licheres gebe, als eine Sennerin auf der Alp, aber er würde es doch sehr
übel vermerkt haben, wenn ein Berliner es gewagt hätte, das offen heraus
zu sagen oder gar drucken zu lassen. Auch ist dies in der That nicht ge¬
schehen, sondern Berlin oder vielmehr ganz Norddeutschland oder wie es
jetzt g. xvtiori heißt, die Preußen, schwärmen trotz aller tausendfältig bitteren
Erfahrung, die ihr Geldbeutel oder gar Haut und Haare im Oberlande ge¬
macht haben, heute noch wie damals nicht blos für seine schöne Natur w
abstracto, sondern auch für die trutzige Herrlichkeit seiner lustigen Buben
und Dierndel. Wer eine Statistik der Prügel anlegen wollte oder könnte,
die schwärmende Reisende ohne alles Verschulden -- die verschuldeten gönnen
wir ihnen von Herzen -- nur als handgreifliche Beweise jener wunderbaren
Lebensfreudigkeit des bayrischen Stammes mit nach Hause tragen und in
stillem Gemüthe verdauen, würde es mit stattlichen Zahlen zu thun haben.
Aber von solchen "wüsten" Dingen redet man nicht gerne und so mag denn
auch die Nachwelt an gleichem Orte die gleichen Genüsse sich anheimsen. --

Unser Verf. von Nord- und Süddeutschland hat, wie schon erwähnt,
entschiedene Sympathien für alle süddeutsche Volkstümlichkeit, wozu das
Raufen an erster Stelle gehört und daher wundern wir uns nicht, wenn er
das Treiben der bäurischen Heroen mit den glänzendsten Farben schildert,
über welche sein Pinsel gebietet: "Wenn der Bursche in den Alpen "lnsel"
oder "fidäl" oder gar "kreuzfidäl" ist -- und das ist er immer, wenn er gesund
ist und Geld in der Tasche hat -- dann tanzt, singt und lärmt er, stampft
vor Lust mit den schweren, dickbesohlten und benagelten Bergschuhen, daß sich
der Tanzboden biegt und das Haus dröhnt, er klatscht mit seinen derben,
schwieligen Händen auf seine "festen" Waden und Sohlen, wirst draußen in


welch noch viel größerem Erfolge sie sich der verschiedenen Typen der schwär¬
menden Norddeutschen oder „Berliner" — denn soweit war man damals
in München seit 1806 von dem abstract verschwommenen „Norddeutschen"
zu concreteren Anschauungen vorgerückt — bemächtigt haben, ist Jedermann
bekannt. Von da aus transptrirte der in Civjl reisende Gardelieutenant,
das Pensionspflänzchen mit Schmachtlocken und die empfindsame alte Tante
in eine ganze Fluth obscurer Winkelliteratur und in die volksmäßige Posse
des Vorstadttheaters, wo sie bis heutigen Tages, nur gewürzt durch allerlei
weniger den Parfüms als dem Gegentheil davon angehörigen Droguen je¬
suitischer und demokratischer Plantagen unsterblich und jeder Zeit der voll¬
kommensten Wirkung auf ihr Publicum sicher sind. Unzweifelhaft ist es
auch höchst komisch, wenn sich der gute Herr von Prudelwitz unter der
Sennerliesi ein Wesen von der Art der Claurenschen Mimili zusammen-
phantasirt, die übrigens ja auch aus einem Berliner Hirn geboren war. Ein
ächter Münchener wußte sehr wohl, daß es nichts schmutzigeres und hä߬
licheres gebe, als eine Sennerin auf der Alp, aber er würde es doch sehr
übel vermerkt haben, wenn ein Berliner es gewagt hätte, das offen heraus
zu sagen oder gar drucken zu lassen. Auch ist dies in der That nicht ge¬
schehen, sondern Berlin oder vielmehr ganz Norddeutschland oder wie es
jetzt g. xvtiori heißt, die Preußen, schwärmen trotz aller tausendfältig bitteren
Erfahrung, die ihr Geldbeutel oder gar Haut und Haare im Oberlande ge¬
macht haben, heute noch wie damals nicht blos für seine schöne Natur w
abstracto, sondern auch für die trutzige Herrlichkeit seiner lustigen Buben
und Dierndel. Wer eine Statistik der Prügel anlegen wollte oder könnte,
die schwärmende Reisende ohne alles Verschulden — die verschuldeten gönnen
wir ihnen von Herzen — nur als handgreifliche Beweise jener wunderbaren
Lebensfreudigkeit des bayrischen Stammes mit nach Hause tragen und in
stillem Gemüthe verdauen, würde es mit stattlichen Zahlen zu thun haben.
Aber von solchen „wüsten" Dingen redet man nicht gerne und so mag denn
auch die Nachwelt an gleichem Orte die gleichen Genüsse sich anheimsen. —

Unser Verf. von Nord- und Süddeutschland hat, wie schon erwähnt,
entschiedene Sympathien für alle süddeutsche Volkstümlichkeit, wozu das
Raufen an erster Stelle gehört und daher wundern wir uns nicht, wenn er
das Treiben der bäurischen Heroen mit den glänzendsten Farben schildert,
über welche sein Pinsel gebietet: „Wenn der Bursche in den Alpen „lnsel"
oder „fidäl" oder gar „kreuzfidäl" ist — und das ist er immer, wenn er gesund
ist und Geld in der Tasche hat — dann tanzt, singt und lärmt er, stampft
vor Lust mit den schweren, dickbesohlten und benagelten Bergschuhen, daß sich
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schwieligen Händen auf seine „festen" Waden und Sohlen, wirst draußen in


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[0432] welch noch viel größerem Erfolge sie sich der verschiedenen Typen der schwär¬ menden Norddeutschen oder „Berliner" — denn soweit war man damals in München seit 1806 von dem abstract verschwommenen „Norddeutschen" zu concreteren Anschauungen vorgerückt — bemächtigt haben, ist Jedermann bekannt. Von da aus transptrirte der in Civjl reisende Gardelieutenant, das Pensionspflänzchen mit Schmachtlocken und die empfindsame alte Tante in eine ganze Fluth obscurer Winkelliteratur und in die volksmäßige Posse des Vorstadttheaters, wo sie bis heutigen Tages, nur gewürzt durch allerlei weniger den Parfüms als dem Gegentheil davon angehörigen Droguen je¬ suitischer und demokratischer Plantagen unsterblich und jeder Zeit der voll¬ kommensten Wirkung auf ihr Publicum sicher sind. Unzweifelhaft ist es auch höchst komisch, wenn sich der gute Herr von Prudelwitz unter der Sennerliesi ein Wesen von der Art der Claurenschen Mimili zusammen- phantasirt, die übrigens ja auch aus einem Berliner Hirn geboren war. Ein ächter Münchener wußte sehr wohl, daß es nichts schmutzigeres und hä߬ licheres gebe, als eine Sennerin auf der Alp, aber er würde es doch sehr übel vermerkt haben, wenn ein Berliner es gewagt hätte, das offen heraus zu sagen oder gar drucken zu lassen. Auch ist dies in der That nicht ge¬ schehen, sondern Berlin oder vielmehr ganz Norddeutschland oder wie es jetzt g. xvtiori heißt, die Preußen, schwärmen trotz aller tausendfältig bitteren Erfahrung, die ihr Geldbeutel oder gar Haut und Haare im Oberlande ge¬ macht haben, heute noch wie damals nicht blos für seine schöne Natur w abstracto, sondern auch für die trutzige Herrlichkeit seiner lustigen Buben und Dierndel. Wer eine Statistik der Prügel anlegen wollte oder könnte, die schwärmende Reisende ohne alles Verschulden — die verschuldeten gönnen wir ihnen von Herzen — nur als handgreifliche Beweise jener wunderbaren Lebensfreudigkeit des bayrischen Stammes mit nach Hause tragen und in stillem Gemüthe verdauen, würde es mit stattlichen Zahlen zu thun haben. Aber von solchen „wüsten" Dingen redet man nicht gerne und so mag denn auch die Nachwelt an gleichem Orte die gleichen Genüsse sich anheimsen. — Unser Verf. von Nord- und Süddeutschland hat, wie schon erwähnt, entschiedene Sympathien für alle süddeutsche Volkstümlichkeit, wozu das Raufen an erster Stelle gehört und daher wundern wir uns nicht, wenn er das Treiben der bäurischen Heroen mit den glänzendsten Farben schildert, über welche sein Pinsel gebietet: „Wenn der Bursche in den Alpen „lnsel" oder „fidäl" oder gar „kreuzfidäl" ist — und das ist er immer, wenn er gesund ist und Geld in der Tasche hat — dann tanzt, singt und lärmt er, stampft vor Lust mit den schweren, dickbesohlten und benagelten Bergschuhen, daß sich der Tanzboden biegt und das Haus dröhnt, er klatscht mit seinen derben, schwieligen Händen auf seine „festen" Waden und Sohlen, wirst draußen in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/432>, abgerufen am 28.07.2024.