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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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ist. Es liegt eine gewaltige dämonische Kraft in dem demokratischen Geist
unserer Tage, feindlich dem aristokratischen Individualismus und dem Son
derrecht des Selfgovernments, aber desto unaufhaltsamer wirkend für die Zer
Setzung aller Particularitäten und für die Volkseinheit. Als Graf Bis-
marck in dem constituirenden Reichstage das allgemeine directe Wahlrecht
vertheidigte, schien ihn lediglich die einfache Folgerichtigkeit zu leiten, welche
gegenüber den Künsteleien und doctrinären Willkürlichkeiten des älteren Con-
stitutionalismus die demokratische Raison auszeichnet. In Wirklichkeit konnte
er seine Schöpfung auf keine sichere Basis stellen, und ihr kein festeres Binde¬
mittel mitgeben, als es durch die rückhaltslose Heranziehung des allgemeinen
Stimmrechts geschehen ist. Das unterwühlt stetiger und furchtbarer die dem
Einheitsstaate hinderlichen Organismen in dem Kern ihres Wesens, als es
äußerlich die von demselben Geiste beherrschte Reichsgesetzgebung thut. Was
Uhland uns einst vorausverkündet hat, daß der deutsche Kaiser des vollen
Tropfens demokratischen Oels für seine Krönung nicht wird entbehren kön¬
nen, die Prophezeiung trifft ebenso ersichtlich die deutsche Nation und die
Krönung ihres Einheitswerkes. Wie wollen wir in dem verödeten Kreise
des preußischen Verfassungsrechtes jemals hoffen, durch noch so gewissenhafte
organische Reformarbett die Gewalten zu neutralisiren, die erbarmungslos
Alles darniederwerfen, was sich deutscher Macht und deutscher Herrlichkeit
entgegenzustellen wagt, droht diese Macht und diese Herrlichkeit sich schließlich
auch in der unheimlichen Gestalt cäsarischer Volksgröße zu enthüllen.

Deßhalb ist auch nur geringe Aussicht vorhanden, das preußische Par-
lament zu einem so practisch arbeitenden Körper umzugestalten, wie es
dem Verfasser, von seiner guten Kenntniß des englischen Parlamentarismus
beeinflußt, nach seinem Plane vorschwebt. Zwar will er nicht die Herr¬
schaft der Majoritäten und die eigentliche parlamentarische Regierung; dazu
erkennt er zu genau die Regierungsunsähigkeit unserer jetzigen Parteien und
°le geschichtliche Bedeutung preußischen Königthums. Aber indem er den
vollsten Accent aus die Finanzrechte der Volksvertretung legt, trotzdem aber
sowohl die Nothwendigkeit einer absoluten Steuerverweigerungsrechtes als
widersinnig, wie die Nützlichkeit der Trennung des Budgets in ein ordent¬
liches und außerordentliches als unbefriedigend verwirft, glaubt er durch Be¬
seitigung des Budgetrechts des Herrenhauses. Erweiterung der Oberrechnungs-
kammer zu einem jede Ausgabe vorgängig controlirenden Departement
ok Lxedequer und Einführung der englischen sogenannten Appropriations-
clausel (Aufhebung der virements), sodann durch Zuweisung der die Neu-
Wahlen ausschreibenden Befugnisse an den Präsidenten des Abgeordneten¬
hauses und Kräftigung der parlamentarischen Jnformationsausschüsse, auch
für das Gebiet der auswärtigen Politik, die Befugnisse der Volksvertretung


ist. Es liegt eine gewaltige dämonische Kraft in dem demokratischen Geist
unserer Tage, feindlich dem aristokratischen Individualismus und dem Son
derrecht des Selfgovernments, aber desto unaufhaltsamer wirkend für die Zer
Setzung aller Particularitäten und für die Volkseinheit. Als Graf Bis-
marck in dem constituirenden Reichstage das allgemeine directe Wahlrecht
vertheidigte, schien ihn lediglich die einfache Folgerichtigkeit zu leiten, welche
gegenüber den Künsteleien und doctrinären Willkürlichkeiten des älteren Con-
stitutionalismus die demokratische Raison auszeichnet. In Wirklichkeit konnte
er seine Schöpfung auf keine sichere Basis stellen, und ihr kein festeres Binde¬
mittel mitgeben, als es durch die rückhaltslose Heranziehung des allgemeinen
Stimmrechts geschehen ist. Das unterwühlt stetiger und furchtbarer die dem
Einheitsstaate hinderlichen Organismen in dem Kern ihres Wesens, als es
äußerlich die von demselben Geiste beherrschte Reichsgesetzgebung thut. Was
Uhland uns einst vorausverkündet hat, daß der deutsche Kaiser des vollen
Tropfens demokratischen Oels für seine Krönung nicht wird entbehren kön¬
nen, die Prophezeiung trifft ebenso ersichtlich die deutsche Nation und die
Krönung ihres Einheitswerkes. Wie wollen wir in dem verödeten Kreise
des preußischen Verfassungsrechtes jemals hoffen, durch noch so gewissenhafte
organische Reformarbett die Gewalten zu neutralisiren, die erbarmungslos
Alles darniederwerfen, was sich deutscher Macht und deutscher Herrlichkeit
entgegenzustellen wagt, droht diese Macht und diese Herrlichkeit sich schließlich
auch in der unheimlichen Gestalt cäsarischer Volksgröße zu enthüllen.

Deßhalb ist auch nur geringe Aussicht vorhanden, das preußische Par-
lament zu einem so practisch arbeitenden Körper umzugestalten, wie es
dem Verfasser, von seiner guten Kenntniß des englischen Parlamentarismus
beeinflußt, nach seinem Plane vorschwebt. Zwar will er nicht die Herr¬
schaft der Majoritäten und die eigentliche parlamentarische Regierung; dazu
erkennt er zu genau die Regierungsunsähigkeit unserer jetzigen Parteien und
°le geschichtliche Bedeutung preußischen Königthums. Aber indem er den
vollsten Accent aus die Finanzrechte der Volksvertretung legt, trotzdem aber
sowohl die Nothwendigkeit einer absoluten Steuerverweigerungsrechtes als
widersinnig, wie die Nützlichkeit der Trennung des Budgets in ein ordent¬
liches und außerordentliches als unbefriedigend verwirft, glaubt er durch Be¬
seitigung des Budgetrechts des Herrenhauses. Erweiterung der Oberrechnungs-
kammer zu einem jede Ausgabe vorgängig controlirenden Departement
ok Lxedequer und Einführung der englischen sogenannten Appropriations-
clausel (Aufhebung der virements), sodann durch Zuweisung der die Neu-
Wahlen ausschreibenden Befugnisse an den Präsidenten des Abgeordneten¬
hauses und Kräftigung der parlamentarischen Jnformationsausschüsse, auch
für das Gebiet der auswärtigen Politik, die Befugnisse der Volksvertretung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/421>, abgerufen am 27.07.2024.