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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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in gesunder Weise reformiren zu können. Dem Practiker wird es nicht ein¬
leuchten wollen, wie hierdurch die in England durch den eousoliäatet luna
so weise gemiedenen Schwierigkeiten eines unbeschränkten Ausgabeverweige¬
rungsrechts gelöst sein könnten, und der kritische Politiker wird vollends den
Kopf schütteln. Das ist entweder zu viel oder zu wenig Parlamentarismus.
Zuviel, wenn der Verfasser in seinen früheren Voraussetzungen Recht hat,
wenn die preußische Krone auf der Höhe ideellen Berufs bleibt, und eine
lebensvolle Gemeindefreiheit die staatliche Legislative und Executive, die bis¬
herige Unumschränktheit des Staatshaushalts und der constitutionellen Bud¬
getrechte in ihre natürlichen Grenzen zurückdrängt. Zu wenig, wenn die
vom Verfasser nicht genügend gewürdigten Elementen im Rechte bleiben,
wenn ein rücksichtsloser monarchischer Ehrgeiz auf der einen Seite, eine ebenso
rücksichtslose demokratische Allgewalt legislativer Volksrechte aus der anderen
Seite nicht reorganisirend an den inneren Ausbau des preußischen Staats¬
rechtes, sondern centralisirend an der äußeren Vollendung der deutschen
Volkseinheit fortwirken.

Nachdem unsere Schrift in ihrer methodischen Weise noch einen beson¬
deren Abschnitt dem practisch allerdings sehr wichtigen Capitel der parla¬
mentarischen "Geschäftsordnung" gewidmet hat, den deutschen Liebhabereien
für Fractions- und Commissionswirthschaft und für die große Redeaction der
Tribüne, wendet sie sich in ihrem letzten, kürzesten Theil zu den Spitzen des
Versassungsstaats: Staatsministerium, Staatsrath, Staatsgerichtshof und
Krone. Wir begegnen auch hier wieder vielen recht beachtenswerthen Finger¬
zeigen einer nicht doctrinären, sondern sachlichen Reform, manchen sehr eigen¬
artigen und in ihrer Ausführbarkeit bedenklichen Vorschlägen, wie den für
die fast souveräne Competenz des Staatsgerichtshofs aufgestellten Postulaten
und den Restaurationsversuchen des Staatsraths, endlich einigen Parteien,
die den Eindruck zurücklassen, der Verfasser habe nicht sagen wollen, was
bereits von anderer Seite reichlich behandelt war. Dahin möchte ich die
in der That der vielmißhandelten Materie von der Ministerverantwortlich¬
keit kaum einen neuen oder fruchtbaren Gesichtspunkt zufügenden Erörte¬
rungen des VIII. Capitels, und die Schlußbemerkungen über die Krone
zählen.

Trotzdem es hiernach scheinen könnte, als sei der Gesichtskreis des klugen und
gedankenreichen Practikers nicht überall weit genug für die Lösung der schwierig¬
sten politischen Aufgaben, welche jemals einem Volke gestellt worden sind, so
wünschen wir dem Buche doch viele und aufmerksame Leser. Sollte es Gefahr
lausen, diese Beachtung nicht zu finden, die es in vollstem Maße verdient, so wird
die Schuld nicht an den Eigenschaften des Schriftstellers liegen, die ihm selbst im
Vorworte Besorgnis) erregen, seiner Unabhängigkeit von der conservativen


in gesunder Weise reformiren zu können. Dem Practiker wird es nicht ein¬
leuchten wollen, wie hierdurch die in England durch den eousoliäatet luna
so weise gemiedenen Schwierigkeiten eines unbeschränkten Ausgabeverweige¬
rungsrechts gelöst sein könnten, und der kritische Politiker wird vollends den
Kopf schütteln. Das ist entweder zu viel oder zu wenig Parlamentarismus.
Zuviel, wenn der Verfasser in seinen früheren Voraussetzungen Recht hat,
wenn die preußische Krone auf der Höhe ideellen Berufs bleibt, und eine
lebensvolle Gemeindefreiheit die staatliche Legislative und Executive, die bis¬
herige Unumschränktheit des Staatshaushalts und der constitutionellen Bud¬
getrechte in ihre natürlichen Grenzen zurückdrängt. Zu wenig, wenn die
vom Verfasser nicht genügend gewürdigten Elementen im Rechte bleiben,
wenn ein rücksichtsloser monarchischer Ehrgeiz auf der einen Seite, eine ebenso
rücksichtslose demokratische Allgewalt legislativer Volksrechte aus der anderen
Seite nicht reorganisirend an den inneren Ausbau des preußischen Staats¬
rechtes, sondern centralisirend an der äußeren Vollendung der deutschen
Volkseinheit fortwirken.

Nachdem unsere Schrift in ihrer methodischen Weise noch einen beson¬
deren Abschnitt dem practisch allerdings sehr wichtigen Capitel der parla¬
mentarischen „Geschäftsordnung" gewidmet hat, den deutschen Liebhabereien
für Fractions- und Commissionswirthschaft und für die große Redeaction der
Tribüne, wendet sie sich in ihrem letzten, kürzesten Theil zu den Spitzen des
Versassungsstaats: Staatsministerium, Staatsrath, Staatsgerichtshof und
Krone. Wir begegnen auch hier wieder vielen recht beachtenswerthen Finger¬
zeigen einer nicht doctrinären, sondern sachlichen Reform, manchen sehr eigen¬
artigen und in ihrer Ausführbarkeit bedenklichen Vorschlägen, wie den für
die fast souveräne Competenz des Staatsgerichtshofs aufgestellten Postulaten
und den Restaurationsversuchen des Staatsraths, endlich einigen Parteien,
die den Eindruck zurücklassen, der Verfasser habe nicht sagen wollen, was
bereits von anderer Seite reichlich behandelt war. Dahin möchte ich die
in der That der vielmißhandelten Materie von der Ministerverantwortlich¬
keit kaum einen neuen oder fruchtbaren Gesichtspunkt zufügenden Erörte¬
rungen des VIII. Capitels, und die Schlußbemerkungen über die Krone
zählen.

Trotzdem es hiernach scheinen könnte, als sei der Gesichtskreis des klugen und
gedankenreichen Practikers nicht überall weit genug für die Lösung der schwierig¬
sten politischen Aufgaben, welche jemals einem Volke gestellt worden sind, so
wünschen wir dem Buche doch viele und aufmerksame Leser. Sollte es Gefahr
lausen, diese Beachtung nicht zu finden, die es in vollstem Maße verdient, so wird
die Schuld nicht an den Eigenschaften des Schriftstellers liegen, die ihm selbst im
Vorworte Besorgnis) erregen, seiner Unabhängigkeit von der conservativen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/422>, abgerufen am 27.07.2024.