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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Die Vergangenheit Siziliens.

Geschichte Siciliens im Alterthum von Ad. Holm. Erster Band. Leipzig 1870.

Als der nationale Drang unseres Jahrhunderts vor zehn Jahren das
Königreich Italien ins Leben rief, da gehörten selbstverständlich die beiden
größten Inseln des Mittelmeeres mit zu der neuen Schöpfung. Denn sie
waren durch Sprache und Sitte volle und nicht die schlechtesten Glieder der
Nation und waren ja mit den Staaten des italischen Festlandes auch
schon politisch verbunden gewesen. Das Recht aber, mit andern Volks-Bruch-
theilen zusammen sich an der Herstellung eines einheitlichen Nationalstaates
zu betheiligen, wird nicht allein durch die Gemeinsamkeit der Sprache ge¬
währt, es existirt erst und wird -- praktisch wenigstens -- erst als ein gewon¬
nenes oder als ein zu erstrebendes Glück aufgefaßt, wenn es zugleich aus
der Geschichte beruht, wenn aus der Vergangenheit sich die Zusammengehörig-
kett erweisen läßt. Von dieser Seite die Sache betrachtet, könnte man bei
der wichtigeren und größeren dieser beiden Inseln. Stcilien. bezweifeln, und
Vor allen bezweifeln es ihre Einwohner selbst, ob sie die Verpflichtung
haben, eine Provinz ihres angeblichen größeren Vaterlandes zu bilden, denn
des Rechtes Italiener zu sein, entäußert sich die Majorität der Insulaner
mit Freuden. Schon hinsichtlich der Sprache und Dialectbildung besteht
Zwischen dem Norden und Süden eine durchgreifende Verschiedenheit, stärker
als die zwischen Pommern und Baiern, die einmal im preußischen Landtage
so bedenkliche Aeußerungen hervorrief, so stark, daß es einem ehrlichen Nord¬
deutschen schon passiren kann, den Dolmetscher zwischen piemontesischen Finanz¬
räthen und sicilianischen Dampfschiffscommandanten abzugeben. Noch stärker
ist der Unterschied in Bildung, Lebensanschauung und Sitte zwischen dem
Norden Italiens, der durchaus europäisch ist. und dem Süden und Sicilien,
Welche vielmehr der orientalischen und afrikanischen Cultur angehören, so daß
Man dreist behaupten kann, in den angegebenen Verhältnissen stehe Piemont,
Lombardei, Toscana Deutschland viel näher, als der südlichen Insel. Vollends
nun aber, wenn wir die Perioden der Weltgeschichte vor unserm Blicke vor-


Grcnzboten II. 1870. 46
Die Vergangenheit Siziliens.

Geschichte Siciliens im Alterthum von Ad. Holm. Erster Band. Leipzig 1870.

Als der nationale Drang unseres Jahrhunderts vor zehn Jahren das
Königreich Italien ins Leben rief, da gehörten selbstverständlich die beiden
größten Inseln des Mittelmeeres mit zu der neuen Schöpfung. Denn sie
waren durch Sprache und Sitte volle und nicht die schlechtesten Glieder der
Nation und waren ja mit den Staaten des italischen Festlandes auch
schon politisch verbunden gewesen. Das Recht aber, mit andern Volks-Bruch-
theilen zusammen sich an der Herstellung eines einheitlichen Nationalstaates
zu betheiligen, wird nicht allein durch die Gemeinsamkeit der Sprache ge¬
währt, es existirt erst und wird — praktisch wenigstens — erst als ein gewon¬
nenes oder als ein zu erstrebendes Glück aufgefaßt, wenn es zugleich aus
der Geschichte beruht, wenn aus der Vergangenheit sich die Zusammengehörig-
kett erweisen läßt. Von dieser Seite die Sache betrachtet, könnte man bei
der wichtigeren und größeren dieser beiden Inseln. Stcilien. bezweifeln, und
Vor allen bezweifeln es ihre Einwohner selbst, ob sie die Verpflichtung
haben, eine Provinz ihres angeblichen größeren Vaterlandes zu bilden, denn
des Rechtes Italiener zu sein, entäußert sich die Majorität der Insulaner
mit Freuden. Schon hinsichtlich der Sprache und Dialectbildung besteht
Zwischen dem Norden und Süden eine durchgreifende Verschiedenheit, stärker
als die zwischen Pommern und Baiern, die einmal im preußischen Landtage
so bedenkliche Aeußerungen hervorrief, so stark, daß es einem ehrlichen Nord¬
deutschen schon passiren kann, den Dolmetscher zwischen piemontesischen Finanz¬
räthen und sicilianischen Dampfschiffscommandanten abzugeben. Noch stärker
ist der Unterschied in Bildung, Lebensanschauung und Sitte zwischen dem
Norden Italiens, der durchaus europäisch ist. und dem Süden und Sicilien,
Welche vielmehr der orientalischen und afrikanischen Cultur angehören, so daß
Man dreist behaupten kann, in den angegebenen Verhältnissen stehe Piemont,
Lombardei, Toscana Deutschland viel näher, als der südlichen Insel. Vollends
nun aber, wenn wir die Perioden der Weltgeschichte vor unserm Blicke vor-


Grcnzboten II. 1870. 46
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[0367] Die Vergangenheit Siziliens. Geschichte Siciliens im Alterthum von Ad. Holm. Erster Band. Leipzig 1870. Als der nationale Drang unseres Jahrhunderts vor zehn Jahren das Königreich Italien ins Leben rief, da gehörten selbstverständlich die beiden größten Inseln des Mittelmeeres mit zu der neuen Schöpfung. Denn sie waren durch Sprache und Sitte volle und nicht die schlechtesten Glieder der Nation und waren ja mit den Staaten des italischen Festlandes auch schon politisch verbunden gewesen. Das Recht aber, mit andern Volks-Bruch- theilen zusammen sich an der Herstellung eines einheitlichen Nationalstaates zu betheiligen, wird nicht allein durch die Gemeinsamkeit der Sprache ge¬ währt, es existirt erst und wird — praktisch wenigstens — erst als ein gewon¬ nenes oder als ein zu erstrebendes Glück aufgefaßt, wenn es zugleich aus der Geschichte beruht, wenn aus der Vergangenheit sich die Zusammengehörig- kett erweisen läßt. Von dieser Seite die Sache betrachtet, könnte man bei der wichtigeren und größeren dieser beiden Inseln. Stcilien. bezweifeln, und Vor allen bezweifeln es ihre Einwohner selbst, ob sie die Verpflichtung haben, eine Provinz ihres angeblichen größeren Vaterlandes zu bilden, denn des Rechtes Italiener zu sein, entäußert sich die Majorität der Insulaner mit Freuden. Schon hinsichtlich der Sprache und Dialectbildung besteht Zwischen dem Norden und Süden eine durchgreifende Verschiedenheit, stärker als die zwischen Pommern und Baiern, die einmal im preußischen Landtage so bedenkliche Aeußerungen hervorrief, so stark, daß es einem ehrlichen Nord¬ deutschen schon passiren kann, den Dolmetscher zwischen piemontesischen Finanz¬ räthen und sicilianischen Dampfschiffscommandanten abzugeben. Noch stärker ist der Unterschied in Bildung, Lebensanschauung und Sitte zwischen dem Norden Italiens, der durchaus europäisch ist. und dem Süden und Sicilien, Welche vielmehr der orientalischen und afrikanischen Cultur angehören, so daß Man dreist behaupten kann, in den angegebenen Verhältnissen stehe Piemont, Lombardei, Toscana Deutschland viel näher, als der südlichen Insel. Vollends nun aber, wenn wir die Perioden der Weltgeschichte vor unserm Blicke vor- Grcnzboten II. 1870. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/367>, abgerufen am 27.07.2024.