Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

deutenden des Parnasses von Plundersweilern: immer bleibt es verfänglich
parodisch, daß unmittelbar nach der Feier von Wieland's göttlicher und
pfalzgräflich kritischer Bedeutung der himmelentschwebende Ruhmesgenius mit
seinem Lorberkranz nur ankommt, um sofort betrübt wieder umzukehren.

Daß Wteland, der unter den Weihnachtskindern der Herzogin Amalie
anwesend zu denken ist, schon an der Aufdeckung der Mayenlaube seiner
Halberstädter Freunde sich schlecht erbaut und nun nach der barocken Vor¬
stellung seiner eigenen Mission in dem leisen elegischen Zug der himmlischen
Ceremonie ein böses Lüftchen gespürt, das ihm Husten zuzog, darf man muth-
maßlich unter der Zeile des goetheschen Vorberichts lesen, wo er sagt: "Dieser
Scherz gelang zur Ergetzung der höchsten Gönnerin, nicht ohne kleinen Ver¬
druß einiger Gegenwärtigen, die sich getroffen fühlen mochten." Da die hohe
Gönnerin das Vergnügen an diesem Bild und seiner gereimten Auslegung
nicht auf den Kreis dieses Abends beschränkt wissen, sondern wiederholt und
noch mit andern Vertrauten genießen wollte, kann sich der Dichter sehr bald
veranlaßt gesehen haben, den Vers 208 zu mildern. An die Stelle der be¬
trübten Umkehr zum Himmel hat er vielleicht schon damals das nicht so ent¬
schieden hoffnungslose Verweilen des Genius im Umsehen und Suchen nach
Brüdern gesetzt, wie es der betreffende Vers in der Druckausgabe des Ge¬
dichtes ausspricht. Aber die nach aller Wahrscheinlichkeit erste Fassung des
Verses, die er in die Tiefurter Handschrift übergehen ließ, ist doch der Auf¬
merksamkeit und des Nachdenkens werth genug, um künftig in jeder sorg¬
fältig hergestellten Ausgabe dem Leser als Originalvariante unter dem Text
mitgetheilt zu werden.

In den Text aber ist die Lesart des Tiefurter Manuskripts, mit der
ich nun die Erhebungen aus ihm beschließe, aufzunehmen ganz nothwendig.
Denn an ihrer Stelle hat schon die erste Druckausgabe keine Variante, son¬
dern blos eine Lücke, die auszufüllen der Dichter auch in allen späteren dem
Scharfsinn der Leser überlassen und ihnen dazu kein weiteres Mittel geboten
hat, als daß es nur Ortsnamen sein können, die zu errathen einerseits die
im Nächstfolgenden angegebene Local-Jndustrie dienen muß, andererseits der
geforderte Reim der Ortsnamen-Endung auf das seyn der vorhergehenden
Zeile. Ebenso nothwendig setzt man dabei voraus, daß der berührten Local-
Jndustrie etwas Ehrenrühriges anhängen müsse; weil sonst die Unterdrückung
der speciellen Ortsbezeichnung ganz unmotivirt bleibt. Es ist vielmehr für die
Einführung dieser Lücke V. 8 schon in den Erstdruck dieselbe vorausgegangene
Rücksicht, Verfängliches zu verschleiern, wie für die der Variante in V. 208
als Ursache anzunehmen. Zunächst scheint es sich freilich nur um eine Gegend
zu handeln, wo viele Vogelbauer für den Verkauf von Vögeln producirt
werden. Faßt man blos dies ins Auge, so ist die Schwierigkett nicht, daß


deutenden des Parnasses von Plundersweilern: immer bleibt es verfänglich
parodisch, daß unmittelbar nach der Feier von Wieland's göttlicher und
pfalzgräflich kritischer Bedeutung der himmelentschwebende Ruhmesgenius mit
seinem Lorberkranz nur ankommt, um sofort betrübt wieder umzukehren.

Daß Wteland, der unter den Weihnachtskindern der Herzogin Amalie
anwesend zu denken ist, schon an der Aufdeckung der Mayenlaube seiner
Halberstädter Freunde sich schlecht erbaut und nun nach der barocken Vor¬
stellung seiner eigenen Mission in dem leisen elegischen Zug der himmlischen
Ceremonie ein böses Lüftchen gespürt, das ihm Husten zuzog, darf man muth-
maßlich unter der Zeile des goetheschen Vorberichts lesen, wo er sagt: „Dieser
Scherz gelang zur Ergetzung der höchsten Gönnerin, nicht ohne kleinen Ver¬
druß einiger Gegenwärtigen, die sich getroffen fühlen mochten." Da die hohe
Gönnerin das Vergnügen an diesem Bild und seiner gereimten Auslegung
nicht auf den Kreis dieses Abends beschränkt wissen, sondern wiederholt und
noch mit andern Vertrauten genießen wollte, kann sich der Dichter sehr bald
veranlaßt gesehen haben, den Vers 208 zu mildern. An die Stelle der be¬
trübten Umkehr zum Himmel hat er vielleicht schon damals das nicht so ent¬
schieden hoffnungslose Verweilen des Genius im Umsehen und Suchen nach
Brüdern gesetzt, wie es der betreffende Vers in der Druckausgabe des Ge¬
dichtes ausspricht. Aber die nach aller Wahrscheinlichkeit erste Fassung des
Verses, die er in die Tiefurter Handschrift übergehen ließ, ist doch der Auf¬
merksamkeit und des Nachdenkens werth genug, um künftig in jeder sorg¬
fältig hergestellten Ausgabe dem Leser als Originalvariante unter dem Text
mitgetheilt zu werden.

In den Text aber ist die Lesart des Tiefurter Manuskripts, mit der
ich nun die Erhebungen aus ihm beschließe, aufzunehmen ganz nothwendig.
Denn an ihrer Stelle hat schon die erste Druckausgabe keine Variante, son¬
dern blos eine Lücke, die auszufüllen der Dichter auch in allen späteren dem
Scharfsinn der Leser überlassen und ihnen dazu kein weiteres Mittel geboten
hat, als daß es nur Ortsnamen sein können, die zu errathen einerseits die
im Nächstfolgenden angegebene Local-Jndustrie dienen muß, andererseits der
geforderte Reim der Ortsnamen-Endung auf das seyn der vorhergehenden
Zeile. Ebenso nothwendig setzt man dabei voraus, daß der berührten Local-
Jndustrie etwas Ehrenrühriges anhängen müsse; weil sonst die Unterdrückung
der speciellen Ortsbezeichnung ganz unmotivirt bleibt. Es ist vielmehr für die
Einführung dieser Lücke V. 8 schon in den Erstdruck dieselbe vorausgegangene
Rücksicht, Verfängliches zu verschleiern, wie für die der Variante in V. 208
als Ursache anzunehmen. Zunächst scheint es sich freilich nur um eine Gegend
zu handeln, wo viele Vogelbauer für den Verkauf von Vögeln producirt
werden. Faßt man blos dies ins Auge, so ist die Schwierigkett nicht, daß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0356" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123976"/>
          <p xml:id="ID_1060" prev="#ID_1059"> deutenden des Parnasses von Plundersweilern: immer bleibt es verfänglich<lb/>
parodisch, daß unmittelbar nach der Feier von Wieland's göttlicher und<lb/>
pfalzgräflich kritischer Bedeutung der himmelentschwebende Ruhmesgenius mit<lb/>
seinem Lorberkranz nur ankommt, um sofort betrübt wieder umzukehren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1061"> Daß Wteland, der unter den Weihnachtskindern der Herzogin Amalie<lb/>
anwesend zu denken ist, schon an der Aufdeckung der Mayenlaube seiner<lb/>
Halberstädter Freunde sich schlecht erbaut und nun nach der barocken Vor¬<lb/>
stellung seiner eigenen Mission in dem leisen elegischen Zug der himmlischen<lb/>
Ceremonie ein böses Lüftchen gespürt, das ihm Husten zuzog, darf man muth-<lb/>
maßlich unter der Zeile des goetheschen Vorberichts lesen, wo er sagt: &#x201E;Dieser<lb/>
Scherz gelang zur Ergetzung der höchsten Gönnerin, nicht ohne kleinen Ver¬<lb/>
druß einiger Gegenwärtigen, die sich getroffen fühlen mochten." Da die hohe<lb/>
Gönnerin das Vergnügen an diesem Bild und seiner gereimten Auslegung<lb/>
nicht auf den Kreis dieses Abends beschränkt wissen, sondern wiederholt und<lb/>
noch mit andern Vertrauten genießen wollte, kann sich der Dichter sehr bald<lb/>
veranlaßt gesehen haben, den Vers 208 zu mildern. An die Stelle der be¬<lb/>
trübten Umkehr zum Himmel hat er vielleicht schon damals das nicht so ent¬<lb/>
schieden hoffnungslose Verweilen des Genius im Umsehen und Suchen nach<lb/>
Brüdern gesetzt, wie es der betreffende Vers in der Druckausgabe des Ge¬<lb/>
dichtes ausspricht. Aber die nach aller Wahrscheinlichkeit erste Fassung des<lb/>
Verses, die er in die Tiefurter Handschrift übergehen ließ, ist doch der Auf¬<lb/>
merksamkeit und des Nachdenkens werth genug, um künftig in jeder sorg¬<lb/>
fältig hergestellten Ausgabe dem Leser als Originalvariante unter dem Text<lb/>
mitgetheilt zu werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1062" next="#ID_1063"> In den Text aber ist die Lesart des Tiefurter Manuskripts, mit der<lb/>
ich nun die Erhebungen aus ihm beschließe, aufzunehmen ganz nothwendig.<lb/>
Denn an ihrer Stelle hat schon die erste Druckausgabe keine Variante, son¬<lb/>
dern blos eine Lücke, die auszufüllen der Dichter auch in allen späteren dem<lb/>
Scharfsinn der Leser überlassen und ihnen dazu kein weiteres Mittel geboten<lb/>
hat, als daß es nur Ortsnamen sein können, die zu errathen einerseits die<lb/>
im Nächstfolgenden angegebene Local-Jndustrie dienen muß, andererseits der<lb/>
geforderte Reim der Ortsnamen-Endung auf das seyn der vorhergehenden<lb/>
Zeile. Ebenso nothwendig setzt man dabei voraus, daß der berührten Local-<lb/>
Jndustrie etwas Ehrenrühriges anhängen müsse; weil sonst die Unterdrückung<lb/>
der speciellen Ortsbezeichnung ganz unmotivirt bleibt. Es ist vielmehr für die<lb/>
Einführung dieser Lücke V. 8 schon in den Erstdruck dieselbe vorausgegangene<lb/>
Rücksicht, Verfängliches zu verschleiern, wie für die der Variante in V. 208<lb/>
als Ursache anzunehmen. Zunächst scheint es sich freilich nur um eine Gegend<lb/>
zu handeln, wo viele Vogelbauer für den Verkauf von Vögeln producirt<lb/>
werden.  Faßt man blos dies ins Auge, so ist die Schwierigkett nicht, daß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0356] deutenden des Parnasses von Plundersweilern: immer bleibt es verfänglich parodisch, daß unmittelbar nach der Feier von Wieland's göttlicher und pfalzgräflich kritischer Bedeutung der himmelentschwebende Ruhmesgenius mit seinem Lorberkranz nur ankommt, um sofort betrübt wieder umzukehren. Daß Wteland, der unter den Weihnachtskindern der Herzogin Amalie anwesend zu denken ist, schon an der Aufdeckung der Mayenlaube seiner Halberstädter Freunde sich schlecht erbaut und nun nach der barocken Vor¬ stellung seiner eigenen Mission in dem leisen elegischen Zug der himmlischen Ceremonie ein böses Lüftchen gespürt, das ihm Husten zuzog, darf man muth- maßlich unter der Zeile des goetheschen Vorberichts lesen, wo er sagt: „Dieser Scherz gelang zur Ergetzung der höchsten Gönnerin, nicht ohne kleinen Ver¬ druß einiger Gegenwärtigen, die sich getroffen fühlen mochten." Da die hohe Gönnerin das Vergnügen an diesem Bild und seiner gereimten Auslegung nicht auf den Kreis dieses Abends beschränkt wissen, sondern wiederholt und noch mit andern Vertrauten genießen wollte, kann sich der Dichter sehr bald veranlaßt gesehen haben, den Vers 208 zu mildern. An die Stelle der be¬ trübten Umkehr zum Himmel hat er vielleicht schon damals das nicht so ent¬ schieden hoffnungslose Verweilen des Genius im Umsehen und Suchen nach Brüdern gesetzt, wie es der betreffende Vers in der Druckausgabe des Ge¬ dichtes ausspricht. Aber die nach aller Wahrscheinlichkeit erste Fassung des Verses, die er in die Tiefurter Handschrift übergehen ließ, ist doch der Auf¬ merksamkeit und des Nachdenkens werth genug, um künftig in jeder sorg¬ fältig hergestellten Ausgabe dem Leser als Originalvariante unter dem Text mitgetheilt zu werden. In den Text aber ist die Lesart des Tiefurter Manuskripts, mit der ich nun die Erhebungen aus ihm beschließe, aufzunehmen ganz nothwendig. Denn an ihrer Stelle hat schon die erste Druckausgabe keine Variante, son¬ dern blos eine Lücke, die auszufüllen der Dichter auch in allen späteren dem Scharfsinn der Leser überlassen und ihnen dazu kein weiteres Mittel geboten hat, als daß es nur Ortsnamen sein können, die zu errathen einerseits die im Nächstfolgenden angegebene Local-Jndustrie dienen muß, andererseits der geforderte Reim der Ortsnamen-Endung auf das seyn der vorhergehenden Zeile. Ebenso nothwendig setzt man dabei voraus, daß der berührten Local- Jndustrie etwas Ehrenrühriges anhängen müsse; weil sonst die Unterdrückung der speciellen Ortsbezeichnung ganz unmotivirt bleibt. Es ist vielmehr für die Einführung dieser Lücke V. 8 schon in den Erstdruck dieselbe vorausgegangene Rücksicht, Verfängliches zu verschleiern, wie für die der Variante in V. 208 als Ursache anzunehmen. Zunächst scheint es sich freilich nur um eine Gegend zu handeln, wo viele Vogelbauer für den Verkauf von Vögeln producirt werden. Faßt man blos dies ins Auge, so ist die Schwierigkett nicht, daß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/356
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/356>, abgerufen am 01.09.2024.